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Moment mal, Mr. Musk!
Illustration von Stephan Schmitz

Moment mal, Mr. Musk!

Von Neurotechnologie verspricht sich mancher ungekannte medizinische Fortschritte. Dabei tauchen jedoch nicht nur praktische Fragen auf, sondern auch ethische Bedenken.

 

Nicht nur um die Verbesserung menschlicher Fähigkeiten geht es dem Unternehmer Elon Musk, sondern um nichts Geringeres als die Rettung der Menschheit. Die Menschheit sei nicht etwa in erster Linie durch Klimawandel, Atomkriege oder Massenvernichtungswaffen bedroht, sondern durch das, was unseren Wohlstand in den nächsten Jahrzehnten massgeblich verbessern soll: künstliche Intelligenz, kurz KI.

Wie viele Anhänger des Science-Fiction-Autors Iain Banks glaubt auch Musk, dass die KI unsere natürliche, menschliche Intelligenz schon in wenigen Jahren weit in den Schatten stellen wird. Wie dann diese Superintelligenz zu uns Menschen steht, sei noch nicht ausgemacht. Im besten Fall lebten wir dann in einer Welt unvorstellbarer technologischer Möglichkeiten, in denen menschliche Arbeit und materielle Not der Vergangenheit angehörten. Im schlechtesten Falle aber würde uns die KI eines Tages ganz einfach das «Licht ausknipsen» und Entscheidungen treffen, in denen menschliches Leben eine unwesentliche Rolle spiele. Bereits jetzt haben Wissenschafter Probleme damit, all die Faktoren zu verstehen, die wesentlich zu einem bestimmten Ergebnis ihrer intelligenten Programme geführt haben.1 Zudem ist es gut ­vorstellbar, dass immer mehr Entscheidungen an KI ausgelagert werden, auch solche über Leben und Tod.

Wie liesse sich der totale Kontrollverlust und drohende Untergang der Menschheit verhindern? Laut Musk, indem wir unser Gehirn technologisch aufrüsten, damit wir der Superintelligenz zumindest auf Augenhöhe begegnen können. Das Werkzeug dazu, eine spezielle Gehirn-Computer-Schnittstelle, möchte Musk in seinem 2016 gegründeten Unternehmen Neuralink liefern. Dass die Aufrüstung unserer Gehirne auch Behinderungen wie Lähmungen, Blind- und Taubheit oder Krankheiten wie Depres­sionen, Angststörungen oder Substanzabhängigkeiten überwindet, sei ein nützlicher Nebenaspekt, aber keineswegs die Hauptmotivation der Unternehmensgründung gewesen, so Musk.

Riskante Implantation

Die Idee, eine direkte Verbindung zwischen einem Gehirn und ­einem Computer herzustellen, ist nicht neu: Gehirn-Computer-Schnittstellen oder englisch Brain-Computer Interfaces (BCI) wurden bereits Anfang der 1970er Jahre von Jacques Vidal vorgedacht. Zunächst eher exotisch, sind sie inzwischen aus Wissenschaft und Medizin nicht mehr wegzudenken. BCI übersetzen elektrische, magnetische oder metabolische Hirnaktivität in Steuer­signale digitaler Systeme – und zwar nahezu in Echtzeit. Verständlich, dass dafür zunächst bestimmte technologische Entwicklungen im Bereich der Sensorik, der Miniaturisierung von ­Rechenleistung (Stichwort: Ubiquitous Computing) sowie Funktechnologie (Stichwort: Smartphone, Bluetooth, 5G) erforderlich waren. Der rasante Aufstieg der Smartphones in den letzten zehn Jahren hat auch die Entwicklung im Bereich der Gehirn-Computer-Schnittstellen katalysiert. Und so wundert es nicht, dass sich viele Elemente der neusten Handygeneration (wie zum Beispiel induktives Aufladen, Bluetooth, hocheffiziente Mikroprozessoren) im aktuellen Neuralink-Prototyp wiederfinden. Gleichzeitig sind auch die Kosten für BCI in den letzten Jahren um mehrere Grössenordnungen gesunken.

Lange bevor maschinelle Lernverfahren in der Echtzeit-­Signalanalyse etabliert wurden, machte ein Wissenschafter an der University of Washington eine wichtige Entdeckung. Eberhard Fetz implantierte einem Makaken eine feine Elektrode in das ­Bewegungsareal des Gehirns. Die Elektrode schloss er an einen Hebel, an dessen Ende schmackhafte Food-Pellets befestigt waren. Immer wenn die Elektrode vermehrte Aktivität einer bestimmten Nervenzelle mass, wurde der Hebel in die Richtung des Makaken bewegt. Während sich der Hebel anfangs nur selten und eher zufällig bewegte, lernte der Affe mit der Zeit, diese eine isolierte Nervenzelle gezielt zu aktivieren, um den Hebel ganz in seinem Sinne in Richtung Mund zu bewegen. Hierfür waren keine komplexen Berechnungen nötig, sondern lediglich einfachste ­Algebra – und ein lernfähiges, plastisches Gehirn. Dieses Prinzip der operanten Konditionierung von Hirnaktivität wurde zur Grundlage der meisten Gehirn-Computer-Schnittstellen. Mittlerweile ermöglichte zum Beispiel ein solches implantierbares System, das sogenannte BrainGate, einem Querschnittsgelähmten, gleichzeitig zwei Armprothesen zu steuern, um mit Messer und Gabel zu essen.2 Aufgrund möglicher Blutungen oder Infektionen ist die Implantation von Mikroelektroden ins Gehirn jedoch riskant. Zudem sind die eigens dafür entwickelten Roboterarme nicht für den Alltag zu gebrauchen, und bei einem Defekt müssten die Elektroden aufwendig wieder aus dem Körper entfernt werden.

Elon Musk möchte ebenfalls Mikroelektroden einsetzen. Einer Reihe von Schweinen wurden bereits Elektroden mit über 1000 Kontakten in die oberen Schichten des Gehirns eingepflanzt. Die Implantation erfolgte mittels eines speziellen Roboters. Schon in den nächsten zwei Jahren soll das System bei einem Menschen erprobt werden.

Erweckung des Gehirns

Wesentlich weniger riskant ist der Einsatz von sogenannten nichtinvasiven Schnittstellen, bei denen die Hirnaktivität von der Kopfoberfläche abgeleitet wird. Dabei werden beispielsweise die elektrischen Felder des Gehirns gemessen. Die räumliche Auf­lösung ist um ein Vielfaches geringer als bei Mikroelektroden. Eine operante Konditionierung der Aktivität ist jedoch weiterhin möglich. Und da nicht nur die Lokalisation, sondern auch die Frequenz der bioelektrischen Felder eine funktionelle Bedeutung hat, lassen sich zumindest einfache motorische Befehle auslesen: zum Beispiel Hand auf oder Hand zu.

Genau dieses Prinzip haben wir vor einigen Jahren ausgenutzt, um Querschnittspatienten mit kompletter Fingerlähmung zu ermöglichen, in einem Restaurant wieder unabhängig zu essen und zu trinken. Die Probanden trugen dafür einen tragbaren ­Roboter, ein sogenanntes Exoskelett. Das System übersetzte die elektrische Aktivität, die mit dem Gedanken oder der Vorstellung «Hand zu» einherging, in ein entsprechendes Steuersignal, um einen Kartoffelchip oder ein Glas Wasser zu greifen.3 Um die ­Zuverlässigkeit des Systems in Alltagsumgebungen zu erhöhen, wurden zusätzlich auch Augenbewegungen berücksichtigt. Lähmungen der oberen Extremität ergeben sich nicht nur bei Verletzungen des Rückenmarks oder peripherer Nerven, sondern auch durch einen Schlaganfall, also eine Minderversorgung bestimmter Hirnregionen mit Sauerstoff. Etwa ein Drittel aller Schlag­anfallüberlebenden leiden unter schweren Lähmungen und sind auf Hilfe im Alltag angewiesen. Die Fähigkeit, die gelähmten ­Finger mittels eines neuralen Exoskeletts wieder zu bewegen, begeisterte auch diese Patientengruppe. Doch noch etwas anderes fiel uns auf: Nach etwa einem Monat täglicher Anwendung konnten einige der Probanden ihre zuvor komplett gelähmten Finger wieder selbständig bewegen. Mittels bildgebender Verfahren stellten wir fest, dass sich die Hirnrinde durch den regelmässigen Einsatz des neuralgesteuerten Exoskeletts reorganisiert hatte. Wie in der Studie von Eberhard Fetz passte sich das Gehirn der Probanden an, um über die Schnittstelle einen bestimmten Effekt zu erzielen. Anscheinend wurden hierbei auch Erholungsprozesse angestossen.

Was für Lähmungen nach Schlaganfall gilt, könnte auch für andere Erkrankungen des Gehirns, zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen, gelten. Entsprechend wird die Entwicklung von BCI-Systemen für die Wiederherstellung oder Verbesserung von Hirnfunktionen von führenden Forschungsförderinstitutionen, zum Beispiel dem Europäischen Forschungsrat oder der Einstein-Stiftung Berlin, gezielt gefördert. Bedenkt man, dass etwa 20 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Erkrankung des Gehirns leiden, ist die Entwicklung effektiver und nebenwirkungsarmer Behandlungsmethoden dringend notwendig.4 Gehirn-Computer-Schnittstellen können dabei eine wichtige Hilfe sein. Implantierbare Schnittstellen werden allerdings aufgrund der genannten Risiken mit hoher Wahrscheinlichkeit eine untergeordnete Rolle spielen. Technologische Fortschritte im Bereich der Quantentechnologie ermöglichen schon heute, Hirnaktivität von der Kopfoberfläche in bisher unerreichter Auflösung zu messen. Winzige Quantensensoren von zukünftig nur wenigen Millimetern Grösse messen hierbei die biomagnetischen Felder des Gehirns, die weder durch den Schädelknochen gedämpft werden noch den Gesetzmässigkeiten der elektrischen Volumenleitung unterliegen. Dadurch sind Auflösungen möglich, die bisher nur von implantierten Elektroden erreicht werden. Dennoch können implantierbare Systeme zu wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beitragen und zu einem gewissen Anteil auch medizinische Behandlungslücken füllen. Insbesondere solange keine gleichwertigen nichtinvasiven Systeme zur Verfügung stehen.

Neben der operanten Konditionierung von Hirnaktivität wurde in den letzten Jahren auch noch ein anderer Ansatz für BCIs entwickelt: Mustererkennung auf der Basis maschineller Lernverfahren, insbesondere sogenannter tiefer neuronaler Netze. Gegenüber der operanten Konditionierung, die von der Lernfähigkeit und Plastizität des Gehirns abhängt, lernt hierbei die Software des Computers, bestimmte Hirnsignale zu interpretieren. Dazu müssen Aktivitätsmuster von der Software richtig zugeordnet werden. Je nach Komplexität des Musters sind dazu allerdings Tausende, wenn nicht Hunderttausende oder gar Millionen Lerndurchgänge notwendig. Bei jedem dieser Lerndurchgänge muss die richtige Zuordnung durch eine dritte Instanz ­bestätigt werden (Supervised Learning). Während dies für instruiertes Verhalten, zum Beispiel eine befohlene Bewegung, oder die Veränderung von Hirnaktivität durch sensorische Stimulation (genannt evozierte Aktivität) zu einem gewissen Grad möglich ist, kommt dieses Verfahren bei der Zuordnung von intrinsischer (also nichtevozierter) Aktivität zu bestimmten Gedanken oder ­Gefühlen schnell an seine Grenzen. Genau das soll jedoch die neue Gehirn-Computer-Schnittstelle von Elon Musk bald leisten. Ist das realistisch?

Zwischen Hoffnung und Naivität

Lange ist man davon ausgegangen, dass neuronale Repräsentationen, das heisst die neuronalen Abbildungen einer bestimmten Vorstellung oder eines subjektiv erlebten Zustands, an keinem bestimmten Ort im Gehirn gespeichert sind, sondern wie ein ­Hologramm durch das Zusammenwirken vieler Teile des Gehirns entstehen. Dies würde so auch für unser Gedächtnis gelten. Die neuronale Repräsentation einer bestimmten Person, z.B. unserer Grossmutter, sollte demnach nicht an die spezifische Aktivität ­einer einzelnen Nervenzelle geknüpft sein. Dies wäre eine eher schlechte Nachricht für die Entwicklung leistungsfähiger Gehirn-Computer-Schnittstellen, müssten dann doch unwahrscheinlich viele Elektroden überall im Gehirn implantiert werden, um die Aktivitätsmuster der Nervenzellen einzelnen Gedanken zuzuordnen.

«Ob es letztlich ­möglich sein wird, Musik oder einen ­Podcast

direkt ins Gehirn zu laden, ­darauf darf man ­gespannt sein.»

Vor rund zwanzig Jahren musste dieses Konzept der distri­buierten Repräsentation jedoch aufgrund einer Reihe von Stu­dienergebnissen erweitert werden. Die Hirnsignale von Epilepsiepatienten, denen zur Lokalisation ihres epileptischen Herds eine Mikroelektrode mit 64 Kanälen implantiert wurde, wiesen etwas sehr Erstaunliches auf: Immer wenn eine Abbildung der Schauspielerin Jennifer Aniston oder bloss ihr Name auf einem Bildschirm erschien, erhöhte sich die Aktivität einer bestimmten Nervenzelle. Auch der Gedanke an Jennifer Aniston erhöhte die Aktivität. Die Existenz solch hochspezialisierter Neurone hat eine wichtige Konsequenz für die Zukunft von Gehirn-Computer-Schnittstellen: Genügend Elektroden vorausgesetzt, könnte mittels maschineller Lernverfahren eine grobe Landkarte der wichtigsten Repräsentationen für eine bestimmte Anwendung erstellt werden. Einmal identifiziert, könnten diese Schlüssel­repräsentationen dann mittels operanter Konditionierung über die Schnittstelle stabilisiert werden. Was genau über einen solchen Ansatz letztlich möglich sein wird, darüber lässt sich aktuell nur spekulieren. Ob aus einer solch intimen Mensch-Maschine-Interaktion eine neue, bessere Form von Intelligenz entsteht, ist zweifelhaft. Weiterhin ist unklar, in welchem Mass sich das Prinzip der Schnittstelle auch umkehren lässt, das heisst inwieweit sich neuronale Repräsentationen gezielt durch eine direkte Stimulation der Nervenzellen aktivieren lassen. Die technolo­gischen Voraussetzungen, um diese wichtigen wissenschaftlichen Fragen zu beantworten, werden gerade durch das Engagement privater Unternehmen in grosser Geschwindigkeit geschaffen. Ob es letztlich möglich sein wird, Musik oder einen Podcast direkt ins Gehirn zu laden, wie aus dem Silicon Valley (noch auf klassischem Wege) zu hören ist, darauf darf man gespannt sein. Allerdings kann man sich zu Recht fragen, wie dieses in privaten, profitorientierten Institutionen erworbene Wissen letztlich für das Gemeinwohl genutzt wird. Nicht ohne Grund wurden Ende 2020 sämtliche Patente des BrainGate-Projektes an die Tufts University übertragen, um einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Technologie zu sichern.

Bereits im Kontext medizinischer Anwendungen ergeben sich zahlreiche komplexe neuroethische Fragen. Neben Aspekten wie Datenschutz, Schutz der Privatsphäre oder Zugänglichkeit stellen sich im Kontext des Neuroenhancements noch wesentlich komplexere ethische Fragen. Aktuell unterliegt dieser Bereich keinerlei Regulierung. Doch die rasante Entwicklung im Bereich der Neurotechnologie lässt dies mittlerweile etwas unvorsichtig bis hin zu naiv erscheinen. Vielleicht wird man in ein paar Jahr­zehnten mit Schrecken auf die Euphorie zurückblicken, die neurotechno­logischen Anwendungen entgegengebracht wurde.

Doch für manche medizinischen Anwendungen gehen ethischer und technischer Imperativ Hand in Hand. Zum Beispiel ist mittlerweile bekannt, dass etwa 30 bis 40 Prozent aller Koma-Diagnosen inkorrekt sind beziehungsweise dass sich der Bewusstseinszustand von Koma-Patienten verändern kann, ohne dass dies äusserlich festzustellen ist.5 In einer ähnlichen Situation befinden sich Menschen, die am Spätstadium von Erkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose leiden: In vielen Fällen verlieren sie die Fähigkeit, sich zu bewegen, selbständig zu atmen, schliesslich auch ihre Augen zu bewegen. In diesem Complete ­Locked-in Syndrome (CLIS, auch Pseudokoma) wäre eine funktionierende Gehirn-Computer-Schnittstelle das einzige Tor zur Aussenwelt. Noch muss allerdings eine solche Schnittstelle ent­wickelt und getestet werden. Dann wäre Neurotechnologie für diese Menschen tatsächlich eine Rettung.

  1. Peter Haas: The Real Reason to be Afraid of Artificial Intelligence, youtube.com/watch?v=TRzBk_KuIaM

  2. JHU Applied Physics Laboratory: Have Robot Arms, Will Eat Twinkie, youtube.com/watch?v=x615GSqicZE

  3. Science Robotics (2016), Hybrid EEG/EOG-based brain/neural hand exoskeleton restores fully independent daily living activities after quadriplegia,
    youtube.com/watch?v=zs5k7MpS1g0

  4. Surjo Soekadar: How We Can Use Technology to Fight Brain Disorders, youtube.com/watch?v=RSQYKb_rchs

  5. Martin Pistorius: How My Mind Came Back to Life – and No One Knew, youtube.com/watch?v=OPzfxvJ9cq8

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