Brüssels Protektionismus ist ein Verrat an den eigenen Werten
Die EU wurde auf den Grundsätzen der freien Marktwirtschaft gegründet. Heute ist sie zu einem der grössten Hindernisse für ebendiese geworden. Und der Fisch stinkt vom Kopf her.

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Die von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Handelskriege und der damit verbundene Protektionismus haben für Furore gesorgt. Kommentatoren weisen zu Recht auf die Schäden für den Welthandel sowie die steigenden Preise für Produkte und Dienstleistungen hin. Der Europäischen Union hingegen wurde in den letzten Jahren deutlich weniger Kritik entgegengebracht – obwohl auch sie einen protektionistischen Kurs verfolgt.
Schon seit längerer Zeit (eigentlich seit seinen Anfängen) enthält das EU-Projekt neben vielen Freihandelsaspekten auch protektionistische Elemente, insbesondere den gemeinsamen Aussenzoll. Die Vereinigten Staaten sind zwar ähnlich protektionistisch, jedoch setzt die EU bei der Landwirtschaft und bei Autoimporten deutlich höhere Zölle an.
Was die Öffnung des Aussenhandels betrifft, war die EU bis zum Brexit-Referendum 2016 relativ erfolgreich. Seither hat die EU Schwierigkeiten, wichtige Handelsliberalisierungen auszuhandeln. Hauptsächlich liegt es daran, dass die EU vermehrt versucht, ihre eigenen spezifischen regulatorischen Vorstellungen in Handelsverhandlungen durchzusetzen, und diese dadurch überfrachtet.
Dies war beispielsweise der Grund für das Scheitern des Handelsabkommens zwischen der EU und Australien 2023. Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), beklagte damals, dass die Verhandlungen an der «lächerlichen Frage» der Schaf- und Rindfleischproduktion gescheitert seien. Er kritisierte den Einfluss landwirtschaftlicher Interessen auf Handelsabkommen, den er als «völlig unverhältnismässig im Vergleich zur wirtschaftlichen Bedeutung der Landwirtschaft in Europa» bezeichnete.
Das Mercosur-Abkommen zwischen der EU und dem lateinamerikanischen Handelsblock wurde von derselben Problematik in Geiselhaft genommen. Während der Verhandlungen brachte die EU plötzlich neue Forderungen ein, um den lateinamerikanischen Handelspartnern allerlei Umweltstandards aufzuerlegen. Obwohl Frankreich aufgrund von Trumps Handelskrieg seine ablehnende Haltung inzwischen gelockert hat, steht die Ratifizierung durch die EU-Regierungen noch aus.
Eigene Regeln den anderen aufzwingen
Die wachsende Handelsfeindlichkeit der EU zeigt sich besonders in der Art und Weise, wie sie zwei nahestehende Volkswirtschaften behandelt: die Schweiz und Grossbritannien. Statt die bilateralen Handelsabkommen aus den 1990er-Jahren mit der Schweiz zu modernisieren, nutzt die EU die Verhandlungen, um ihren obersten Gerichtshof – wenn auch indirekt – als letzte Instanz durchzusetzen. Das wäre, als würden die Vereinigten Staaten darauf bestehen, dass bei einem Streit zwischen der EU und den USA im Rahmen eines transatlantischen Handelsabkommens der Supreme Court das letzte Wort haben sollte.
Während der Brexit-Verhandlungen machte die EU keinen Hehl daraus, dass sie offenen Handel als «Zugeständnis» betrachtete, was suggeriert, dass dies etwas Negatives sei – obwohl die europäischen Unternehmen und Konsumenten von der Senkung der Handelsbarrieren zwischen der EU und Grossbritannien profitieren würden. Auch hier machte die Obsession der EU, sowohl ihre Regulierungen als auch ihr eigenes oberstes Gericht durchzusetzen, die Dinge weitaus komplizierter als nötig.
Fairerweise muss man einräumen, dass auch die bizarren Versuche der britischen Premierministerin Theresa May, Grossbritannien an die EU-Handelspolitik zu binden, den Prozess erheblich verzögerten. Erst nach dreimaliger Ablehnung ihres Plans durch das britische Parlament konnte eine Einigung zwischen der EU und Grossbritannien erzielt werden. Bemerkenswert ist, dass das Abkommen letztendlich grosse Flexibilität bot und auf eine «Pick-and-Choose»-Lösung hinauslief: Grossbritannien erhielt begrenzten Marktzugang und durfte dafür bei der Regulierung weitgehend eigene Wege gehen – ungeachtet der endlosen Beteuerungen der Eurokraten, dass ein solches Abkommen unmöglich sei.
Unter der ersten Von-der-Leyen-Kommission verstärkte die EU ihren aggressiven Ansatz, Handelspartner zur Übernahme ihrer regulatorischen Standards zu bewegen. Dies geschah durch die Einführung «grüner» Vorschriften, die effektiv als nichttarifäre Handelshemmnisse wirken. Eine davon ist die neue CSRD-Richtlinie der EU, die Unternehmen zwingt, über ihren ökologischen Fussabdruck und ihre Klimarisiken zu berichten. Hinzu kommt die Sorgfaltspflicht-Richtlinie, die Unternehmen verpflichtet, ökologische und soziale Schäden in ihren Lieferketten zu identifizieren.
Der Trump-Faktor
In US-Wirtschaftskreisen hat dies grosse Besorgnis ausgelöst. Dies wird nun von der neuen amerikanischen Regierung infrage gestellt. «Donald Trump steht für America First. Und wenn es ein Beispiel für eine ausländische Regulierung gibt, die Amerika an die letzte Stelle setzt, dann ist es die Klimaagenda der EU», warnte der republikanische US-Kongressabgeordnete Andy Barr. Er kündigte an: «Eine America-First-Agenda wird erbitterten Widerstand gegen eine Europäische Union leisten, die versucht, ihre kostspieligen, belastenden Vorschriften amerikanischen Unternehmen aufzuzwingen.»
Ironischerweise könnten sich die neuen grünen EU-Vorschriften aus von der Leyens erster Amtszeit jetzt als nützlich erweisen. Die EU könnte sie zurücknehmen als Zugeständnis im Austausch für Zollerleichterungen. Die europäischen Sozialisten sehen dem nicht gerade erwartungsvoll entgegen, doch ihr Einfluss wurde durch die letztjährige EU-Parlamentswahl deutlich geschwächt – erkennbar an der verstärkten Zusammenarbeit zwischen Mitte-rechts- und rechtspopulistischen Kräften. Auch die EU-Kommission zeigt sich mittlerweile offen für Gespräche über den Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse.
Jenseits von Trump
Schon vor der Wahl von Donald Trump existierte das Problem, dass die EU ihre Handelspolitik zweckentfremdete. Die oberste Handelsbeauftragte der EU-Kommission, Sabine Weyand, räumte dies 2024 ein. In einer Rede stellte sie fest, dass Handelspartner zunehmend die Rolle der EU als «globaler Regulierer» infrage stellten. Sie räumte ein: «Wir haben durch unseren verstärkten Einsatz autonomer Handelsmassnahmen viele Partner vertrieben, die wir brauchen – unilaterale Massnahmen, die andere Länder als Auferlegung extraterritorialer Wirkungen unserer Gesetzgebung betrachten. […] Es gibt grosse Bedenken. Wir müssen über unsere Attraktivität für unsere Handelspartner nachdenken. Wir müssen einen angemessenen kooperativen Ansatz verfolgen.»
Neben den grünen protektionistischen Vorschriften hat die EU kürzlich auch ein neues Zollsystem eingeführt, das CO2-Grenzausgleichssystem. Die Idee dahinter ist, bestimmte Importe in die EU mit Zöllen zu belasten, da der Rest der Welt die nicht gleichen kostspieligen Klimaschutzmassnahmen wie die EU umsetzt. Länder wie Indien haben heftig gegen diese Massnahme protestiert und argumentieren, dass sie gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstösst, aber in den Medien haben wir darüber wenig erfahren.
Protektionismus im Innern
In den letzten Jahren hat die EU zunehmend ihre Aufgabe vernachlässigt, gegen den Binnenprotektionismus zwischen den EU-Mitgliedstaaten vorzugehen. Der EU-Vertrag garantiert zwar den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital, doch die Europäische Kommission zeigt immer weniger Interesse daran, die Einhaltung des Vertrags zu überwachen. 2023 berichtete die «Financial Times», dass die Verfahren der EU-Kommission wegen Verstössen gegen den Binnenmarkt zwischen 2020 und 2022 um 80 Prozent zurückgegangen seien. Dies veranlasste Wirtschaftsverbände und einige Mitgliedstaaten zu der Warnung, dass das Binnenmarktprojekt «gefährdet» sei.
Vor drei Jahren wurde die Kommission von der EU-Bürgerbeauftragten sogar offiziell gerügt, da sie nicht gegen den von den deutschen Bundesländern praktizierten Protektionismus vorgegangen war.
Die Dänin Margrethe Vestager ist seit zehn Jahren EU-Kommissarin für Wettbewerbspolitik. Bereits bei ihrem Amtsantritt 2014 erklärte sie unverblümt, sie finde es «natürlich, dass Wettbewerbspolitik politisch ist». Diese Politisierung der Regeldurchsetzung für fairen Wettbewerb ist genau das, was die EU nicht braucht.
Die Situation verschlechterte sich während der Covidkrise zusehends und zeigt seither keine Besserung. Mittlerweile gewähren EU-Mitgliedstaaten bedenkenlos massive Subventionen, um eine drohende Deindustrialisierung abzuwenden, die aus den hohen Energiepreisen resultiert – was wiederum auf die EU-Klimapolitik sowie weitreichende Experimente mit der Energieversorgung zurückgeht.
Die Binnenmarktregeln werden für den Protektionismus missbraucht
Vestager vernachlässigte nicht nur die EU-Binnenmarktregeln. Sie missbrauchte auch das EU-Beihilfeverbot, um gegen US-Technologiekonzerne wie Apple vorzugehen. Vestager verlor mehrere dieser Fälle vor dem obersten EU-Gericht. Das Gericht der Europäischen Union, die untere Instanz des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), stellte 2020 fest, dass die Kommission «nach dem erforderlichen Rechtsstandard» nicht nachweisen könne, dass Apple eine Vorzugsbehandlung erhalten habe, die einer illegalen staatlichen Beihilfe gleichgekommen sei.
Ihr Vorgehen gegen amerikanische Unternehmen zielte darauf ab, diese zu höheren Steuerzahlungen zu zwingen – trotz rechtlicher Grauzonen. Gleichzeitig ignorierte sie eindeutige Verstösse gegen EU-Recht. Ein ausgewogenerer Ansatz wäre gewesen, sowohl Steuerfragen als auch klare Verstösse gegen das EU-Beihilfeverbot zu verfolgen, doch genau das tat sie nicht.
Der Drang zur Schuldenunion
Der Fisch stinkt vom Kopf her. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spielt in all dem ebenfalls keine sehr positive Rolle. Statt ihre Wettbewerbsabteilung zur konsequenten Aufgabenerfüllung anzuhalten, schlug sie neue Subventionen auf EU-Ebene in Form eines «Europäischen Souveränitätsfonds» vor. Glücklicherweise haben die Mitgliedstaaten diesen Vorschlag vorerst abgeschwächt, doch die Kommission wird zweifellos einen neuen Anlauf nehmen.
«Statt ihre Wettbewerbsabteilung zur konsequenten Aufgabenerfüllung anzuhalten, schlug von der Leyen neue Subventionen vor.»
Die Kommission drängt nicht nur auf höhere EU-Ausgaben, sondern auch auf vermehrte gemeinsame Schuldenaufnahme. Es scheint, als wäre dies die Lösung der Kommission für jedes Problem, seit die Mitgliedstaaten 2020 zugestimmt haben, den umstrittenen Covid-Wiederaufbaufonds durch gemeinsame Schulden zu finanzieren.
Damals gehörte die Niederlande unter Mark Rutte zu den Skeptikern. Er versicherte, dass es sich um eine einmalige Aktion handle. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Mitgliedstaaten die Schulden einfach an die EU-Kommission zurückzahlen werden oder dass die Kommission Steuerkompetenzen erhält, um das Geld direkt von EU-Bürgern einzutreiben. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Kommission die Erlaubnis erhält, einen neuen Kredit aufzunehmen, um die alten Kredite zurückzuzahlen – was im Grunde das Standardverfahren für Mitgliedstaaten zur Eigenfinanzierung ist. In diesem Zusammenhang kommt es gelegen, eine Zentralbank zu haben, die begierig darauf ist, die Zinssätze zu drücken oder sogar die Schulden aufzukaufen.
Die Europäische Kommission nutzt jede Krise, um ihr Projekt der gemeinsamen Schuldenaufnahme voranzutreiben. Das jüngste Beispiel ist ihr Plan zur «Wiederbewaffnung Europas». Zwar hat das niederländische Parlament in einer Resolution dagegengestimmt, doch die Eurokraten werden die Idee kaum aufgeben, da sie eine bedeutende Verlagerung von Macht und Einfluss auf die EU-Ebene bedeuten würde. Dass dieser bürokratischen Verwaltungsebene die demokratische Legitimation fehlt, um sich in sensible Fragen der Verteidigungs- und Aussenpolitik einzumischen, wird dabei einfach ausgeblendet.
Die EU wird häufig als Friedensprojekt bezeichnet. Das stimmt zwar, aber selten wird dann erklärt, dass die Methode zur Erreichung des Friedens der Abbau von Handelsbarrieren sei. Die Aussage «Wenn Waren nicht über Grenzen gehen, werden es Armeen tun» trifft den Kern der Sache, auch wenn es vor dem Ersten Weltkrieg bereits regen Handel zwischen den Ländern gab. Zusammen mit dem militärischen Schutz der USA verdient die EU daher Anerkennung dafür, die Kriegsgefahr in Europa reduziert zu haben. Doch indem sie sich von ihrer Kernaufgabe der Förderung des Freihandels abwendet, verstösst die EU gegen ihre eigenen Grundwerte.