Zürichs linke Bilderstürmer sind geschichtsvergessen
Die links-grüne Zürcher Sittenpolizei brandmarkt Figurenköpfe in einem Schulhaus als rassistisch und will «Mohren» aus dem Stadtbild tilgen. Dabei übersieht sie die positiven Einflüsse, welche die Schweiz schwarzen Menschen verdankt.
Wer durch die Zürcher Altstadt spaziert, stösst an der Niederdorfstrasse 29 auf ein Haus, das in jüngster Zeit immer wieder für rote Köpfe gesorgt hat. «Zum Mohrentanz» steht in goldenen Lettern über dem Eingang eines denkmalgeschützten Gebäudes. Ein paar Schritte weiter, am Neumarkt 13, prangt die Inschrift «Zum Mohrenkopf».
Dem Zürcher Stadtrat waren diese Fassadeninschriften ein Dorn im Auge – zu sehr erinnerten sie an koloniale Klischees. Für die Stadtregierung war klar: Der «Mohr» muss verschwinden. Doch dieser bilderstürmerische Ansatz stiess nicht überall auf Gegenliebe. Der Zürcher Heimatschutz rekurrierte gegen den Plan, die Inschriften abzudecken. Die Begründung: Ein solches Vorhaben würde das Erscheinungsbild der historischen Gebäude beeinträchtigen. Das Baurekursgericht gab den Heimatschützern recht. Doch der Stadtrat zog den Fall ans Verwaltungsgericht weiter – und dieses kippte den Entscheid. Weil die geplanten Abdeckungen reversibel seien, sei der historische Wert der Häuser nicht gefährdet. Der Heimatschutz zog den Fall abermals weiter. Doch das Bundesgericht zog sich in diesem Sommer elegant aus der Affäre: Es trat auf die Beschwerde gar nicht erst ein. Damit bleibt das Urteil des Verwaltungsgerichts in Kraft – und die Stadt Zürich darf die unliebsamen Inschriften abdecken.
Nächster Halt: Schulhaus Hirschengraben
Damit ist der juristische Streit zwar entschieden, die gesellschaftliche Debatte aber keineswegs. Nun gerät die «Galerie der Völker» im Zürcher Schulhaus Hirschengraben ins Visier der Sittenwächter. Obwohl ein 300-seitiges Gutachten der Historiker Joseph Jung und Matthias Frehner zum Schluss kommt, dass die Holzfiguren nicht rassistisch seien, wird das Ergebnis von SP, Grünen und der Alternativen Liste öffentlich angegriffen. So wird das Schulhaus Hirschengraben zur nächsten Projektionsfläche des linken Moralaktivismus.
Man darf davon ausgehen, dass die links-grüne Gesinnungspolizei nach der erfolgreichen Mohren-Verbannung nicht eher Ruhe geben wird, bis die Figuren im Hirschengraben-Schulhaus ebenfalls «verschleiert» werden. Der linksgerichtete Verein «Zürich kolonial» verlangt bereits ein neues Gutachten von «richtigen» Kolonialismus- und Rassismusexperten und liebäugelt mit der Abschiebung der Figuren in ein Museum.
Vom Diskurs zur Säuberung
Der Diskurs, der einst zur Aufklärung führen sollte, ist zur Ersatzreligion der Empörten geworden, die sich nicht mit der Geschichte auseinandersetzen, sondern diese ausradieren wollen. Wenn es nach manchen im Zürcher Stadtparlament ginge, würde wohl bald auch Alfred Escher, der «Übervater» der modernen Schweiz, vom Sockel gestossen – zu weiss, zu männlich, zu bürgerlich für den neuen moralischen Massstab.
Was sich als moralischer Fortschritt inszeniert, ist in Wahrheit Ausdruck eines neuen, selbstgerechten Aktivismus von links – genährt von einem überkorrekten Zeitgeist, der glaubt, Geschichte könne ausgebessert werden, indem man sie unsichtbar macht. Statt sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, wird sie übertüncht – buchstäblich. Man löscht, wo man erklären müsste. Das ist keine Aufarbeitung, sondern Geschichtsklitterung.
Was als Kampf gegen koloniale Klischees begann, ist längst zur moralischen Selbstinszenierung geworden. Das Ergebnis? Im Eifer, koloniale Klischees zu tilgen, schafft man eine Stadt, die sich selbst von jeder Geschichte reinzuwaschen versucht. Was bleibt, ist eine geschichtsvergessene Leere – ein Stadtbild, das zunehmend so puritanisch, so korrekt und so langweilig wird, wie es der empörte Zeitgeist verlangt.
Im nahen Konstanz haben die Empörten gleich selbst Hand angelegt. Dort wurde die Mohren-Apotheke über Nacht zur «Ohren-Apotheke». Wer das «M» im Namensschriftzug abmontiert hat, blieb ungeklärt. Bei den Konstanzerinnen und Konstanzern sorgte der verschwundene Buchstabe für angeregte, teils hitzige Diskussionen. Ist der Begriff «Mohr» kolonial und rassistisch belastet? Die Debatte wurde schliesslich in einer Ausstellung aufgegriffen, die sich kritisch mit dem transatlantischen Sklaven- und Kolonialhandel auseinandersetzte. Das idyllisch am Bodensee gelegene Konstanz hatte zwar keinen Zugang zu den Weltmeeren, doch Kaufleute aus der Stadt waren in das blutige Geschäft der Versklavung von Menschen verstrickt – wie auch die Schweiz, die als wirtschaftliche Trittbrettfahrerin von den kolonialen Ausbeutungssystemen profitierte.
Verständlich, dass vor diesem Hintergrund der Begriff «Mohr» von vielen Menschen als rassistisch und diskriminierend empfunden wird – besonders weil er historisch oft (wenn auch nicht ausschliesslich) als abwertende Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe verwendet wurde. Spätestens mit der «Black Lives Matter»-Bewegung ist weltweit eine breite Diskussion über Alltagsrassismus entbrannt, worauf auch unter anderem die Migros die bekannten, aber umstrittenen Dubler-«Mohrenköpfe» aus dem Sortiment nahm. In den Kommentarspalten kochte daraufhin die Volksseele hoch: Für die einen war «Mohr» direkt mit der Versklavung schwarzer Afrikaner verknüpft, für andere bloss ein altes Wort für «Maure», ohne herabsetzende Bedeutung.
Klar ist: Der Streit um den «Mohren» und den «Mohrenkopf» wird weitergehen. Gerade deshalb braucht es zwischen moralischer Überkorrektheit und sprachlicher Verharmlosung einen nüchternen Mittelweg – und vor allem eine ehrliche, historische Auseinandersetzung statt symbolischer Säuberungen.
Geschichte verschwindet
Indem die Stadt Zürich die aus ihrer Sicht problematischen Inschriften abdeckt, löscht sie nicht nur ein Stück Geschichte aus dem Stadtbild, sondern auch aus dem kollektiven Gedächtnis. Diese Form der politischen Überkorrektheit mag gut gemeint sein, führt aber zum Gegenteil des Gewollten. Wenn die «Mohren» aus den Zürcher und Konstanzer Strassen verschwinden, verschwinden auch die Zeitzeugen, die an koloniales Unrecht und Unterdrückung erinnern. Wer Geschichte übertüncht, riskiert, dass sie vergessen wird.
Sprachliche Sensibilisierung kann ein sinnvolles Mittel sein, um Diskriminierung entgegenzuwirken. Doch sie verliert ihren Wert, wenn sie in Bevormundung umschlägt und Geschichte nach heutigem Empfinden korrigiert werden soll. Statt den «Mohren» aus dem Stadtbild zu tilgen, wären erklärende Tafeln der ehrlichere Weg – sie würden Herkunft, Kontext und Wandel solcher Begriffe einordnen. Diese Konfrontation mit der Vergangenheit mag für linke Verhältnisse unbequem sein, doch gerade darin liegt der Kern aufgeklärter Erinnerungskultur.
Wenn wir den «Mohren» nicht reflexhaft mit etwas Anstössigem gleichsetzen, das aus dem öffentlichen Raum verbannt werden muss, eröffnet sich auch ein differenzierterer Blick auf unsere eigene Geschichte. Europa verdankt dem Morgenland weit mehr, als heute gemeinhin erinnert wird. Die Mohren beziehungsweise Mauren (von lateinisch «maurus», althochdeutsch «mohr») waren den Europäern lange Zeit in vielen wissenschaftlichen Disziplinen überlegen. Insbesondere in den Bereichen Mathematik, Philosophie, Dichtung, Medizin und Pharmazie. Erst der kulturelle und wissenschaftliche Austausch führte zu einer Angleichung. Eine «Mohren-Apotheke» war deshalb kein Ausdruck von Spott, sondern ein Symbol für Qualität und Wissenstransfer. Wer in eine «Mohren-Apotheke» ging, wusste, dass dort die besten Heilmittel nach den fortschrittlichsten Erkenntnissen verkauft wurden.
Diese Geschichte kann die «Ohrenapotheke» von Konstanz leider nicht mehr erzählen, weil sie dem modernen Bildersturm zum Opfer gefallen ist. Die Mohren von Konstanz und Zürich zeigen, dass Kulturgeschichte nie eindimensional ist: Sie ist verflochten, wechselhaft und von gegenseitiger Bereicherung ebenso geprägt wie von Missverständnissen
Heiliger Mohr
Die Geschichte zeigt: Der Bildersturm ist kein Ersatz für Bildung. Nur wer historische Symbole im Kontext versteht, statt sie zu tilgen, kann aus ihnen lernen – und damit auch die Verdienste jener würdigen, die lange übersehen wurden. Wussten Sie etwa, dass St. Moritz nach dem heiligen Mauritius benannt ist? Auch hier kommt das lateinische Wort maurus wieder ins Spiel, denn der heilige Mauritius war ein schwarzer Heiliger. Bedauerlicherweise zeigt das Wappen von St. Moritz keinen schwarzen, sondern einen weissen Mann. Eigentlich schade, denn schwarze Menschen und Einflüsse aus Afrika und dem Nahen Osten haben die Geschichte der Schweiz weit stärker geprägt, als uns heute bewusst ist. Ihre Spuren finden sich in Ortsnamen, Wappen, Heiligenverehrungen und Handelsbeziehungen.
Diese Spuren zeigen: Die Schweiz war nie so abgeschottet, wie manche Nationalkonservative es uns gerne erzählen. Kulturelle und wirtschaftliche Einflüsse aus dem Süden und Osten haben unser Land über Jahrhunderte mitgeprägt – auch wenn ihre Geschichte heute oft vergessen wurde und neuerdings sogar übertüncht wird.