Sicherer Hafen Schweiz?
Ein Kommentar zum neuen Sorgenbaromter der Credit Suisse
Die Schweiz wird mit Sicherheit und Frieden assoziiert. Mehr denn je, wie das neuste Sorgenbarometer der Credit Suisse zeigt. Dies ist eigentlich nichts Neues. Schon in den letzten Jahrhunderten diente die Schweiz als sicherer Hafen für religiöse wie politische Flüchtlinge, seien dies Hugenotten, Liberale oder Sozialisten. Das verdankte die Schweiz auch der Neutralität. Folgerichtig nennen die Schweizer und Schweizerinnen die Neutralität als wichtigste Stärke der Schweiz.
Auffallend ist jedoch, wie der Sorgenhaushalt der Schweizer sich durch Fragen definiert, die einen mehr oder weniger direkten Bezug zum Thema Sicherheit haben. Während sich die traditionellen Hauptsorgen wie «Arbeitslosigkeit» (-5pp), «Ausländer/-innen» (+0pp) und «Altersvorsorge/AHV» (-7pp) etwas nivelliert haben, werden die Bereiche «Persönliche Sicherheit» (+3pp) und «Soziale Sicherheit» (+2pp) immer vordringlicher (Abbildung 1:Die Hauptsorgen der Schweizer Bevölkerung).
Sicherheit kann aber auch weniger Freiheit und mehr (staatliche) Kontrolle bedeuten. Zumal es seit 9/11 als legitim gilt, die persönliche Freiheit zu Gunsten der kollektiven Sicherheit einzuschränken. Der Wert der Freiheit ist gesunken, weil sie von vielen als gottgegeben angenommen wird. Der real existierende Sozialismus ist im besten Fall bloss noch eine Reminiszenz, die im schlechtesten Fall von Nachgeborenen gar noch verklärt wird.
Aus schweizerischer Optik ist zu vermuten, dass insbesondere Verlustängste wichtige Treiber dieses Sicherheitsbedürfnisses sind. Ein Blick ins grenznahe Ausland bestätigt die Schweizer in der Auffassung, dass die «wohlhabende» Schweiz viel zu verlieren hat. Bewahrungshaltung, Stabilität, Risikovermeidung stehen im Vordergrund. Das Problembewusstsein zu Fragen der EU und der Einwanderung bleibt denn auch hoch. Aber immerhin: die zunehmende Polarisierung der Politik, die im letzten Jahrzehnt zu beobachten war, hat sich nicht weiter verschärft.
Das Vertrauen der Bürger in die zentralen Akteure des Landes, das international schon immer hoch war, hat nochmals stark zugenommen und ist so hoch wie noch nie (Abbildung 3: Trend Vertrauen in die Institutionen). Dieses Vertrauen in Wirtschaft und Politik ist gerechtfertigt, denn das System Schweiz funktioniert. Es ist kein Zufall, dass die Schweiz bei allen einschlägigen Rankings und Standortvergleichen seit Jahren konstant vorderste Plätze belegt. Der Vergleich mit dem sorgengeplagten Euroraum könnte augenfälliger nicht sein.
Die generell gute wirtschaftliche Lage bietet eine gute Basis, notwendige Veränderungen anzugehen, um den Erfolg der Schweiz auch in der Zukunft fortzuschreiben. Das Bedürfnis nach Sicherheit darf nicht zu Stillstand und Abschottung führen. Stillstand ist Rückschritt. Innovation braucht Veränderung und Offenheit.
Wirtschaftsakteure und Entscheidungsträger tun gut daran, einen intensiveren Dialog mit der Bevölkerung zu pflegen. Denn in einer Demokratie braucht die Wirtschaftsordnung die Akzeptanz durch die Mehrheit. Die Wirtschaft als Teil der Gesellschaft ist herausgefordert, in der öffentlichen Diskussion zu erklären, welchen Beitrag zu Wohlstand und Werten sie schafft.
Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werden in den nächsten Monaten wesentliche Weichenstellungen für oder gegen die Standortattraktivität der Schweiz beschliessen. Dazu gehören die Initiativen über den Mindestlohn, über die Pauschalbesteuerung und die Erbschaftsteuer, aber auch – auf den Arbeitsmarkt zielend – die Initiative zur Personenfreizügigkeit und damit über den für die Wirtschaft notwendigen Zugang zu Talenten. Je aktiver sich Unternehmer an der politischen Debatte beteiligen, um so besser. Denn so viel ist klar: Wir haben weder ein Anrecht noch eine Garantie auf Erfolg, wir müssen ihn uns permanent erarbeiten. Debattieren wir, erklären wir und engagieren wir uns alle für das Erfolgsmodell Schweiz!
René Buholzer ist promovierter Staatswissenschaftler und leitet die Abteilung Politik & Nachhaltigkeit der Credit Suisse AG.