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Wissenschaft ohne Grenzen
Martin Janssen, zvg.

Wissenschaft ohne Grenzen

Der Ausschluss von «Horizon Europe» ist unerfreulich, aber keine Katastrophe für den Forschungsplatz Schweiz. Der internationale Austausch bleibt wichtig

 

Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat der EU-Kommission mitgeteilt, dass er den Rahmenvertrag zwischen der Schweiz und der EU nicht unterzeichnen werde. Beide Seiten werden sich jetzt überlegen müssen, wie sie ihren Austausch an Gütern, Menschen und Kapital, teilweise auch an Dienstleistungen, gestalten wollen, um weiterhin gut und eng miteinander zusammenzuarbeiten.

Ein besonders heisses Eisen ist dabei die Forschungszusammenarbeit: Wenige Wochen nach Beendigung der Verhandlungen hat die EU ihre Sicht der Lage präsentiert und die Schweiz bei «Horizon Europe» in den Status eines «nichtassoziierten Drittlandes» relegiert. Zu den assoziierten Drittländern gehören zurzeit etwa Armenien, die Färöerinseln, Georgien, Israel, Tunesien oder die Ukraine. Bei der Rückstufung handelt es sich also um eine eigentliche Strafaktion der EU gegenüber der Schweiz, weil der Bundesrat den Rahmenvertrag nicht unterzeichnet hat.

Die Schweiz hat Erfahrung mit solchen Strafaktionen: Sie war zwischen 2004 und 2013 an «Horizon 2020» assoziiert, wurde nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 bis Ende 2016 allerdings auf den Status «teilassoziiert» zurückgestuft. Zwischen dem 1. Januar 2017 und Juni 2021 war sie wiederum assoziiertes Mitglied. Der erneute Windwechsel in diesem Jahr zeigt, dass die EU die von ihr selbst definierten Ziele, unter anderem die Stärkung der Innovationskapazität, der Wettbewerbsfähigkeit und der Arbeitsplätze in Europa, nicht wirklich ernst nimmt. Sonst würde sie nicht jenes Land Europas mit den – neben dem Vereinigten Königreich – führenden Hochschulen von ihrem Forschungsprogramm ausschliessen und es in seiner Forschungstätigkeit behindern.

Relegation bringt bürokratische Umwege

Vordergründig wird die Schweiz durch das Verhalten der EU tatsächlich behindert. Dabei geht es nicht um finanzielle Aspekte, welche die Schweiz selber abdecken kann, sondern darum, dass Forscher und Innovatoren von den Wettbewerbs- und Vergabeprozessen von «Horizon Europe» ganz oder teilweise ausgeschlossen werden. Im Rahmen des Schwerpunktes «Wissenschafts­exzellenz» beispielsweise werden Nachwuchsforscher und ­eta­blierte Wissenschafter unter der Bezeichnung «Marie-Skłodowska-Curie-Massnahmen» durch Zuwendungen individuell gefördert. Die Teilnahme an solchen Einzelprojekten ist für Einwohner der Schweiz – mit einer bedingten Ausnahmeregelung für 2021 – nun nicht mehr möglich. Hier kann als Ersatzmassnahme, und das wird auch bereits gemacht, auf die Vergabepraxis des Schweizerischen Nationalfonds zurückgegriffen werden. Eine Teilnahme an den meisten Verbundprojekten, wo es um künftige und neu entstehende Technologien geht, ist für kleine und mittlere Unternehmen, teilweise auch für Einzelpersonen, weiterhin möglich – die Finanzierung liegt jedoch in jedem Fall beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).

Im Schwerpunkt «Führende Rolle der Industrie» soll die industrielle und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas gestärkt werden. Hier geht es aus Sicht der Schweiz vor allem um den Zugang zu Risikofinanzierungen und um Innovationen in KMU. Wegen der Relegation der Schweiz in die Amateurliga ist vor allem mit einer bedeutenden Zunahme bürokratischer Umwege zu rechnen, bis die Finanzierung des SBFI dort ankommt, wo sie soll.

Auch ohne «Horizon» keine Isolation

Die Schweizer Hochschulen betrachten die Abstufung durch die EU als sehr negativ und würden lieber den Rahmenvertrag, ungeachtet aller langfristigen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen, unterzeichnen, als auf die Teilnahme an «Horizon Europe» zu verzichten. So glaubt Astrid Epiney, Vizepräsidentin von Swissuniversities, dass der Forschungs- und Innovationsplatz Schweiz wegen dieses Entscheids langfristig an Attraktivität verlieren könnte. Sie befürchtet gar, dass die Schweizer Forscher den Anschluss an die internationale Spitzenforschung verlieren, weil sie sich nicht mehr um Einzelstipendien von «Horizon Europe» bewerben können. Sie spricht in diesem Zusammenhang von der «Champions League» internationaler Ausschreibungen. Sie befürchtet die Gefahr der Isolation, welche nicht dem Wesen einer offenen Forschungszusammenarbeit zwischen den besten Köpfen der Welt entspreche.1

Der Verfasser dieses Beitrags, der selbst mit eingeworbenen Geldern aus den USA und mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds als Postdoc an einer amerikanischen Spitzenuniversität war und während Jahren Beziehungen zu führenden Forschern pflegte, sieht die Situation gelassener als Swissuniversities. Zuerst etwas zur Forschung: Gute Forschungsresultate entstehen in einer dezentralen Forschungswelt. Nicht der Rektor einer Schule und noch weniger die Forschungsadministration der EU geben die Forschungsthemen vor, sondern die einzelnen Forscher, seien es Professoren, Forschungsleiter, Assistenten oder wissenschaftliche Mitarbeiter. Gute Forschung lebt vom weltweiten, nicht nur vom EU-weiten Austausch. Dabei geht es nicht um die Standardisierung oder Vereinheitlichung der Forschung, sondern um das Teilen von Forschungsresultaten und vielleicht auch von Ideen. Schliesslich wird Forschung nicht nur vom Staat gefördert, sondern auch von der Privatindustrie betrieben.

«Als Forscher möchte man nichts zu tun haben mit

der Bürokratie, die in der EU immer grösser

wird und die Forschung eher behindert.»

Die Forschung lebt tatsächlich von einem weltweiten Austausch unter den besten Köpfen der Welt. Genau darum interessiert man sich als Forscher für die führenden Vertreter eines Fachgebiets: Sie sitzen oft an den besten Universitäten in den USA, in UK oder in Asien. Sie sitzen manchmal aber auch an führenden kleinen Universitäten in Europa, zum Beispiel im niederländischen Delft, das im Wasserbau führend ist. Als Forscher möchte man nichts zu tun haben mit der Bürokratie, die in der EU immer grösser wird und die Forschung eher behindert.2 Man möchte die Möglichkeit haben, ein Beziehungsnetz mit den besten Forschern weltweit aufzubauen, um einen regelmässigen Austausch via Internet oder durch physische Besuche erreichen zu können. Klar, die Teilnahme an einer internationalen Ausschreibung ist wertvoll. Aber die Welt der guten Forschung ist grösser als die EU, und direkte Beziehungen zwischen führenden Universitäten, besser noch einzelnen Lehrstühlen, führen immer zu einem besseren Austausch als der teilweise Umweg über Brüssel.

Differenzieren und spezialisieren

Die Schweiz hat etwa 2 Prozent der Einwohner der EU, steuert aber fast 7 Prozent zum Budget von «Horizon Europe» bei. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt gibt die Schweiz fast doppelt so viel für Forschung und Entwicklung aus wie die EU, pro Kopf gar etwa viermal so viel. Die Schweiz sollte sich ihrer starken Forschung, ihrer Patenterfolge, ihrer hervorragenden Hochschulen, ihrer Forschungsbeziehungen in die ganze Welt und ihrer Industrieforschung bewusst werden und gezielt die Karte des weltweiten Forschungsaustausches spielen. Die Schweiz muss sich nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Forschung differenzieren und spezialisieren. Und das tut sie am besten weit weg von der Forschungsbürokratie der EU.

Das ist kein Votum für ein dauerhaftes Abseitsstehen von «Horizon Europe». Aber es ist ein Votum für Selbstbewusstsein und für Vertrauen in die eigene Forschungsfähigkeit. Wir können zu «Horizon Europe» zurückkehren. Dafür wünsche ich mir zuvor die klare Zusage der EU, von Spielchen und Druckversuchen auf dem Buckel der Forscher und zu Lasten der Forschung Abstand zu nehmen.

  1. http://www.srf.ch/news/schweiz/forschungsprogramm-der-eu-kein-rahmenabkommen-schweiz-von-horizon-europe-ausgeschlossen

  2. Als Negativbeispiel hierfür sei die sperrige Lektüre des Programms und der Bewilligungsverfahren von «Horizon Europe» genannt.

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