(0) Kunstraub – Raubkunst
«Ich bin oft weg von zu Hause, manchmal für ein paar Tage, manchmal für mehrere Monate. Bevor ich verreise, muss ich einen Elektriker kommen lassen, der die Bilderleuchten abmontiert, die Bilder aus ihrem Rahmen nimmt und sie in den Tresor bringt. Das ist ein ärgerliches Tun, und ich weiss, dass es nicht gut ist für […]
«Ich bin oft weg von zu Hause, manchmal für ein paar Tage, manchmal für mehrere Monate. Bevor ich verreise, muss ich einen Elektriker kommen lassen, der die Bilderleuchten abmontiert, die Bilder aus ihrem Rahmen nimmt und sie in den Tresor bringt. Das ist ein ärgerliches Tun, und ich weiss, dass es nicht gut ist für die Bilder. Wenn ich heimkomme, muss ich wieder den Elektriker holen, die Bilder werden wieder aus dem Tresor genommen, kommen in ihre Rahmen und werden wieder an ihren angestammten Platz gehängt. Selbst wenn ich nur zum Abendessen fortginge, könnte ich nicht sicher sein, dass nicht ein Dieb die Gelegenheit nutzte, um ein oder zwei von meinen Bildern zu stehlen. Viele Jahre lang haben sie mir grosses Vergnügen bereitet; jetzt sind sie eine Sorge geworden.»
Als William Somerset Maugham diese Zeilen im Frühling des Jahres 1962 schrieb, hatte er resigniert. Sein Schlafzimmer war bereits zum Tresorraum, er selbst darob nicht ruhiger geworden. Müde war er vielmehr, müde von der beständigen Sorge um seine wunderbaren Bilder: Monet und Matisse, Gauguin und Toulouse-Lautrec… Schliesslich verzichtete er ganz und liess die Sammlung durch Sotheby’s verkaufen. Auch darüber könnte man, müsste man wohl schreiben: über jene Angst, die – als Vorwirkung der schieren Möglichkeit eines Diebstahls gewissermassen – Menschen begleitet, die Kunst nicht nur ihr Eigen nennen, sondern mit ihr leben.
Auf der anderen Seite wäre etwa über die Fertigkeit des Räubers zu berichten, über seine Dreistigkeit mitunter. Über sein Kalkül, wobei die Berichte der Fahnder und Sachverständigen ebenso wie die Statistiken jede Hoffnung auf höhere Motive im Keime ersticken. Wer einen Cézanne stiehlt, handelt nicht aus Kunstsinn oder Leidenschaft. Vielmehr wird es darum gehen, den beraubten Sammler, das bestohlene Museum, die betroffene Versicherungsgesellschaft zu erpressen; eine Heroinlieferung zu bezahlen; Anteile an einer Briefkastenbank zu kaufen; einem von der Justiz bedrängten Waffenhändler Aussicht auf Strafmilderung zu verschaffen, indem er im richtigen Moment mit Hinweisen auf den Verbleib des besagten Cézanne aufwarten kann. Auch der Kunstraub ist offensichtlich nicht mehr, was er einmal («Über den Dächern von Nizza»?) war.
Wie alt das Phänomen als solches ist, geht aus den folgenden Seiten hervor. Unsere Beiträge stammen von Autoren aus vier verschiedenen Ländern und mögen dazu dienen, einen ausgesprochen vielschichtigen Gegenstand wenigstens in Facetten aufzunehmen und neu zu verstehen.