Heinz Suter-Rehmann:
Freiheitliche Politik für den Mittelstand. Handwerkzeug praktischer Politik Aargauische Stiftung für Freiheit und Verantwortung: Aarau 2006
In ihrer Pionierzeit praktizierten Aargauer
Liberale die Verbindung historischer
und philosophischer Dimensionen mit
praktischer Politik. Heinrich Zschokke
etwa stellte den Gedanken der Volksbildung
in den Vordergrund, wobei er
im Zweifelsfall die Alphabetisierung
der Bevölkerung höher gewichtete als
die Verbesserung der damals miserablen
Besoldung der Lehrkräfte. Auch der Bekämpfung
der Armut und der Einrichtung
von Heimen für Behinderte widmete
er seine Aufmerksamkeit. Die Mär vom
herzlosen Manchester-Liberalismus triff t
auf die Geschichte des Freisinns in der
Schweiz nicht zu. Und auch im 20. Jahrhundert
waren es Freisinnige, die – dem
Druck von sozialistischer Seite gegenüber
aufgeschlossen und entgegen dem Widerstand
der dem Korporationsdenken verhafteten
katholisch-konservativen Kreise
– den Sozialstaat anschoben. Sie machten
sich für eine auf Masshalten verpfl ichtete
Ordnungspolitik stark. Das Eintreten für
den Sozialstaat war aus liberaler Warte
jeweils von Warnungen vor dem Wohlfahrts-
und Versorgungsstaat begleitet.
Die unausweichliche Interdependenz
zwischen Wirtschaft und Recht, Staat,
Politik, Moral und Religion stelle «für
das vernetzte Denken und Handeln der
freiheitlichen Politik eine besondere Herausforderung
dar. Reformen des Staates,
der sozialen Sicherheit etwa, haben direkte
Auswirkungen auf die Wirtschaft und die
Zivilgesellschaft.» Dies schreibt Heinz Suter-
Rehmann, bis vor kurzem Direktor
der Aargauischen Industrie- und Handelskammer,
in dieser Eigenschaft profi –
lierter kantonaler Parlamentarier und von
1974 bis 1980 Sekretär des Aargauischen
Verfassungsrates. Das Handbuch «Freiheitliche
Politik für den Mittelstand» will,
für politisch Interessierte aus der ganzen
Schweiz, unter drei Aspekten Grundlagenarbeit
leisten. Erstens sind bürgerliche
Politikerinnen und Politiker mit den
Grundlagen freiheitlicher Politik vertraut
zu machen, etwa dem Gedankengut
Friedrich A. von Hayeks oder Walter
Euckens. Ein Beitrag also zur «Rückgewinnung
liberaler Lufthoheit», wie von
Daniel Heller im Vorwort gefordert. Im
Vordergrund der Kritik steht die dem
System des Wohlfahrtsstaates inhärente
Neigung, die «Drei-A-Politik» (Aufgaben,
Ausgaben, Abgaben) in die berüchtigte
«Einbahnstrasse» zum Versorgungsstaat
(Wilhelm Röpke) einmünden zu lassen.
Neben Grundlagen des politischen
Handelns, wie dem Subsidiaritätsprinzip,
präsentiert Suter Ausführungen zu
Markwirtschaft und öff entlicher Moral.
Mangelnde Sensibilität in diesem Bereich
provoziert den Gesetzgeber: «Wenn Firmenkader,
insbesondere solche bekannter
Konzerne, massgebende Gebote öff entlicher
Moral schwer und/oder wiederholt verletzen,
sieht sich der Staat regelmässig gezwungen,
Wirtschaftsfreiheit durch zusätzliche Regulierungen
weitergehend einzuschränken.»
Im Hinblick auf eine «menschengerechte
Wirtschaftsordnung» ist von sieben Punkten
die Rede, nebst den Grundrechten,
der Marktwirtschaft und dem System der
sozialen Sicherung auch vom «Schutz natürlicher
Lebensgrundlagen», was zum Beispiel
in der Aargauer Kantonsverfassung
ein Ziel der Staatstätigkeit darstellt.
Bei genauerem Hinsehen trägt – Suter
zufolge – die konsequent rationale liberale
Position der Umweltethik Rechnung,
ist aber nicht «grün» im Sinn eines staatlich
geplanten Öko-Dirigismus. Wenn
eine freiheitliche Ordnung überleben
soll, so darf sich der Liberale nicht dem
Irrglauben des Konstruktivismus hingeben.
Der Grundgedanke dieser dem Sozialismus
verwandten Ideologie sei, «dass
der Mensch die Einrichtungen der Gesellschaft
und der Kultur selbst gemacht hat
und sie daher auch nach seinem Belieben
ändern kann» (Hayek). Der Konstruktivist
glaubt, dass unser Wirtschafts- und
Gesellschaftssystem in seiner Gesamtheit
durch Planungsmassnahmen sozusagen
neu «konstruiert» werden könne. Dazu
braucht es eine Instanz «zentralen Wissens
», vergleichbar mit dem Allwissenheitsanspruch
früherer Politbüros totalitärer
Parteien. In einer pluralistischen
Gesellschaft und in einem off enen Diskurs
kann es jedoch diese Zentralisierung
des Wissens nicht geben.
Suter spricht es nicht direkt an, aber
es liegt auf der Hand: im Zusammenhang
der heute hoch ideologisierten Klimapolitik
ist – bei aller Hochachtung vor internationalen
Expertenberichten – eine solche
zentrale Wissensinstanz nicht in Sicht.
Dem Glauben an eine umfassend planbare
Klima- und Umweltpolitik muss aus der
Sicht des kritischen Rationalismus wohl
eine grundsätzliche Absage erteilt werden.
Die Schranken unseres Wissen, das
betont Suter mit besonderem Nachdruck,
setzen «der Vorhersehbarkeit und Planung
der Politik markante Grenzen. … Es ist
schwierig, komplexe Ziele mittelfristiger Politik
aufeinander abzustimmen, taugliche
Mittel festzulegen sowie Auswirkungen und
Nebenfolgen des Mitteleinsatzes zu erfassen
und zu beurteilen. Zum Bedauern der Politik
pfl egt sich die Geschichte wenig bis gar
nicht um Politik, besonders um geplante Politik,
zu kümmern.» Entsprechend erteilt
Suter dem Glauben an Bundesämter eine
Absage, «welche sich für kompetent halten,
wirtschaftliche Entwicklungen vorauszusehen
(Glaube an Prognosen!) und sich für
zuständig halten, derartige Entwicklungen
planend, steuernd, lenkend oder unterstützend
zu begleiten.»
Suters Buch enthält viele praktische
Tipps für den politischen Alltag, ausgiebige
und leicht verständliche Ausführungen
zur Ordnungspolitik. Das Th ema
Standortpromotion und Standortmarketing
wird – am Beispiel des Kantons Aargau
– lehrreich illustriert. Dabei wird das
Prinzip der Kantonalität für einmal nicht
hauptsächlich als Hindernis, sondern als
Chance gesehen.
besprochen von Pirmin Meier, Gymnasiallehrer
und Schriftsteller in Beromünster.