Freund un Feind am Golf
Zu Carl Schmitts Begriff des Politischen Der Krieg im Irak wird in diesem Beitrag nicht primär als Ressourcenkrieg gedeutet, sondern als moralisch motivierter Kampf, bei dem sich «gut und böse» als «Freund und Feind» gegenüberstanden, als Konflikt, in dem sich idealistische Politik mit realistischer Strategie in komplexer Weise überlagern.
Die staatstheoretische Diskussion der Nachkriegszeit hat sich aus guten Gründen immer wieder mit diversen Modellen der Konfliktvermeidung beschäftigt. Internationale Friedensforschung und -förderung sowie innerstaatliche Bemühungen zur Spannungsminderung gehen nahezu Hand in Hand. Zunehmend heterogene und wertepluralistische Gesellschaften mögen hierfür ursächlich sein, ihrerseits sind sie auf jeden Fall selbst Folge und dauerhaftes Merkmal der öffentlichen Kulturen von Demokratie. Ebendiese macht letzt-lich – gerade in uneinheitlich-föderal verfassten, fragilen Staatsgebilden – gewisse Austarierungsmassnahmen, insbesondere zum Schutz von Minderheiten, unumgänglich. Die entsprechenden Dispositionen ergeben ein weites Feld, das vor allem zu Friedenszeiten, in Hoffnung auf deren Fortbestand, beackert wird. Allgemeines Ziel ist die friedliche Gemeinschaft, oberste Prämisse dazu die Abwehr von Gewalt, höchster Wert das menschliche Leben. Ganz anderes lässt jeweils das Pathos der Kriegsrhetorik erahnen. Wenn sie den Krieg auch stets als ultima ratio propagiert, die definitive Bereitschaft zu ihm – mit all seinen Konsequenzen – erweist deutlich den Bestand eines für den Kriegsentschlossenen noch höheren Wertes als desjenigen des Friedens und des menschlichen Lebens. Es geht ihm dann offensichtlich um eine eminent moralische Frage.
Demokratie gegen Diktatur
Das im Vorfeld der Militärschläge am Golf von der USA den europäischen Kriegsgegnern vorgeworfene moralische Defizit zielte auf deren unschlüssiges Zaudern im Umgang mit einem Diktator, der seit Jahrzehnten naturgemäss jede Opposition gewaltsam unterdrückte, dem früher schon durch eine international zusammengesetzte Streitkraft Einhalt geboten werden musste und der sich seither nur sehr sporadisch an die ihm damals auferlegten Vorschriften gebunden fühlte. Zu lange habe man vermittelt, gefeilscht und diskutiert – was nun anstehe, sei entschlossenes Handeln.
Angesichts dieser Vorhaltungen der Neuen gegenüber Teilen der Alten Welt, erinnert man sich des Dezisionisten Carl Schmitt, der im Blick auf einen gelähmten Parlamentarismus der Weimarer Republik und gegen einen nur auf Sicherheit bedachten Liberalismus vom Leder zog, «sein Wesen ist Verhandeln, abwartende Halbheit, mit der Hoffnung, die definitive Auseinandersetzung, die blutige Entscheidungsschlacht, könnte in eine parlamentarische Debatte verwandelt werden und liesse sich durch eine ewige Diskussion ewig suspendieren».1 Zugunsten von «Sekurität» sei man gar bereit, auf die eigenen Überzeugungen zu verzichten. Ein Vorwurf, den Schmitt – im Anschluss an Kierke-gaard und Nietzsche – einst dem Bourgeois entgegenhielt und der heute unverändert auch als Rüge von der USA an die Adresse einiger vergesslicher alter Staaten, in Erinnerung der einst erkämpften Freiheit und Demokratie, verstanden werden könnte.
In der eifrigen Diskussion über die tatsächlichen Angriffsmotive der Grossmacht mögen etliche andere, mitunter gar plausibel erscheinende Gründe vorgebracht worden sein und sich dereinst möglicherweise auch erhärten. Auffallend bleibt indes die einseitig von Beginn an systematisch thematisierte, grundsätzliche Unvereinbarkeit der involvierten Herrschaftsordnungen. Selbst wenn im Irak zweifelsohne auch um die Herrschaft über die Ölvorkommen gekämpft worden ist, so sind diese im Konzept der Allianz doch eher Mittel als Zweck. Die allgemein gültige Struktur des Problems lässt sich am besten anhand des unbestrittenen weltanschaulichen Gegensatzes der Systeme zur Sprache bringen: Es steht nämlich ausser Zweifel, dass sich dieser amerikanisch-britische Krieg gegen einen unberechenbaren Gewaltherrscher gerichtet hat. Die der westlichen freien Gesellschaft und ihrer Praxis zugrundeliegenden ethisch-sittlichen Normen, welche ihrerseits die Demokratie zur Basis haben, wurden zum Emblem eines durchaus modernen Kreuzzuges radikalisiert. Hier «freedom and democracy», dort «the cruel dictator» – seinerseits Stütze einer Achse des Bösen. Carl Schmitt schreibt hierzu in seinem Begriff des Politischen von 1932: «Der Krieg folgt aus der Feindschaft, denn diese ist seinsmässige Negierung eines anderen Seins. Krieg ist nur die äusserste Realisierung der Feindschaft.»2 Diese Abstraktion benennt die Grundstruktur aller Kriege: die entschiedene Negierung eines anderen Seins.
Politik als Polemik?
Schmitt begreift im Politischen nicht das überschaubar geordnete Zusammenleben, sondern erspäht in ihm zunächst – ganz Kierkegaards Ausnahme folgend – den einer jeden Politik innewohnenden Polemos (Kampf). Damit (nomen est omen), aber nicht nur damit, hat er sich eine beachtliche Gegnerschaft gesichert. Am Realitätsbezug seiner These ändert das freilich nichts. Der Verfassungsrechtler Schmitt betreibt nun eigentliche Grundlagenforschung, indem es ihm gerade noch nicht um das zweifellos wichtige Problem einer Bändigung des latent Polemischen oder akut Politischen im funktional gehemmten und berechenbaren Betrieb des Staates zu tun ist. Bevor die Ordnung des Politischen – als Regel – interessieren kann, muss das ungebändigte Politische in seiner Autonomie und Souveränität verstanden werden.
Schmitt gewinnt die begriffliche Schärfe seiner Analyse stets mit Blick auf die Ausnahme, denn «im Ausnahmefall» wird «die Norm vernichtet», und als souverän erweist sich mithin, wer in der Lage ist, im Ausnahmefall zu entscheiden.3 Die Begriffsbestimmung des Politischen vollzieht sich für Schmitt denn auch in der möglichst klaren Unterscheidung von Freund und Feind. In ihr konstituiert sich das Politische, genauso wie die Gegensätze gut und böse das Moralische oder schön und hässlich das Ästhetische umreissen. Dabei kann das Politische seine Kraft aus den verschiedensten Bereichen des menschlichen Lebens ziehen, aus religiösen, ökonomischen, moralischen etc; die Unterscheidung von Freund und Feind bezeichnet gewissermassen den Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung, einer Assoziation oder Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, ethnischer, wirtschaftlicher oder anderer Art sein können. Jeder beliebige Lebensbereich ist demnach imstande, Anstösse für einen mehr oder weniger starken Zusammenschluss von Personen zu liefern, deren Abgrenzungs- bzw. inneres Sammlungsvermögen gewissermassen quantifizierbare Einheiten zeigt. Ab einem bestimmten Intensitätsgrad wird die Qualität des Politischen erreicht. Das Intensitätskriterium hatte Schmitt dem später in die USA emigrierten und nachmals recht einflussreichen Politikwissenschaftler Hans J. Morgenthau abgekupfert, der auf durchaus eigenen Wegen an einen vergleichbar realistischen Begriff des Politischen geraten war.4 Er hat ihn dann für seine neue Heimat wieder fruchtbar gemacht, indem er einem in der öffentlichen Diskussion stark verbreiteten, naiv-optimistischen Glauben an die unpolitisch-technische Machbarkeit von Sicherheit den an der aussenpolitischen Front gescheiterten Liberalismus vor Augen führte. Das Politische und seine Gefährlichkeit ist im Rahmen von dessen versuchter Mässigung – in der Form rationaler staatlicher oder staatsähnlicher Ordnung – genauso wenig unter Kontrolle zu bringen, wie das Allgemeine etwa die Ausnahme wegsperren könnte.
In seinem Buch «Scientific Man versus Power Politics» plädiert Morgenthau, der Kissingers Lehrer war, für eine der politischen Realität angemessene Perspektive, welche die Permanenz des Politischen im Kampf um Macht anerkennt. Es sei nicht zu vergessen, «that diplomacy without power is feeble…». Dass die USA auch gegenwärtig keinen aussenpolitischen Idealismus pflegen, bedarf nicht der weiteren Vertiefung. Wenn noch der amerikanische Präsident Thomas Woodrow Wilson (1913 – 21), als überzeugter Friedenspolitiker und Promotor des Völkerbundes, sein Land als letzte Bastion des Idealismus bezeichnet hat, klingt das vielleicht wie aus fernen Zeiten. Amerikas missionarischer Idealismus ist indes alles andere als vergangen, er paart sich heute nur mit einem ungeschminkten instrumentellen Realismus. Ziel ist die Pax Americana auf der Basis von «freedom and democracy» – und das Öl wird ihnen dabei dereinst helfen.
Wer in der Lage ist, über den Ausnahmezustand zu entscheiden, wird seine Souveränität unter Beweis stellen. Und wenn er es sich dabei leisten will, die moralische Frage nach dem Richtigen zu stellen, sollte man ihn besser ernst nehmen.
Eine erweiterte Version dieses Beitrags mit zusätzlichen Literaturhinweisen kann bei der Redaktion angefordert werden.
1 Carl Schmitt, «Politische Theologie: Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität»,
7. Aufl. ,Berlin 1996, S. 672 Carl Schmitt, «Der Begriff des Politischen»: Text von 1932 mit einem Vorwort und
drei Corollarien, 6. Aufl., Berlin 1996, S.33.3
3 C. Schmitt, «Politische Theologie», S. 19 & Einleitung, erster Satz4 Vgl. dazu: Christoph Frei, «Hans J. Morgenthau: Eine intellektuelle Biographie»,
2. Aufl., Bern 1994, S. 130 ff., sowie S. 208ff, 235
David R. Wenger, Assistent am Lehrstuhl für Zivilrecht der Universität Freiburg/CH, promoviert im Bereich der Rechtsphilosophie.