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Die Angst davor, zum Mann zu werden
Ritchie Herron, photographed by Matthieu Zellweger.

Die Angst davor, zum Mann zu werden

Verunsicherten jungen Männern erscheint eine Transition zum anderen Geschlecht zunehmend attraktiv. Ich war einer davon – und lebe nun mit den Folgen irreversibler körperlicher Eingriffe.

Read the English version here.

Es ist erstaunlich, wie unhinterfragte Annahmen ins Erwachsenenleben verschleppt werden. Noch als junger Erwachsener rannte ich die Treppen in unserem Haus hoch, nachdem ich im Erdgeschoss das Licht ausgemacht hatte – nur für den Fall, dass mich irgendwelche imaginären Monster an den Fersen packen wollten. Sobald ich in meinem Zimmer war, zuckte ich nach dem Schliessen der Tür zusammen. Auch wenn jeder Teil meines Verstandes wusste, dass diese Angst absurd ist, glaubte mein Körper daran. Genauso wie ich jahrelang glaubte, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte.

Die Angst davor, zum Mann zu werden, kam nicht von ungefähr. So wie Feuchtigkeit einen schäbigen, dunklen Raum durchzieht, hatte diese Angst genügend Platz, um sich in mir auszubreiten. Sie nahm mich in Beschlag, und als junger Erwachsener war ich bereits schwer auf dem Trip, der im Namen der Geschlechtsdysphorie zur Zerstörung meines Körpers führen würde.

2018 habe ich mich einer Operation unterzogen, die ich umgehend bereute. Meine Hoden wurden entfernt, der Schwellkörper abgetrennt, mein Penis gehäutet und invaginiert, aber «bottom surgery» und «geschlechtsangleichende Operationen», wie diese Eingriffe im aktivistischen Jargon genannt werden, klingen wohl höflicher. Diese Operation ist der pure Wahnsinn, und ich hätte mich ihr niemals unterziehen dürfen. Wofür auch? Für eine Idee. Für die Vorstellung, dass ich in Wahrheit eine Frau sei und meinen Körper meinem Empfinden anzupassen hätte. Mein Gemüt sollte medikalisiert werden.

Aufwachsen in der Einöde

Heute weiss ich, dass nicht alles schwarz oder weiss ist. Ihnen mag das klar sein, meinem damals absolutistischen Denken war es das aber nicht. Es brauchte viele Jahre und schwere Lektionen, bis ich verstand, dass es sehr unterschiedliche Männer und Frauen gibt.

Wer wie ich mit einer Transition beginnt, tut dies häufig aus einer isolierten Lage und aus Angst heraus. Der Dysphorie wird Schuld an allem zugeschrieben, nicht aber den Erlebnissen, die man beim Heranwachsen durchläuft. Viele, die zwischen 2012 und 2016 transitionierten, waren autistisch, litten an Zwangsstörungen, an den Hänseleien Gleichaltriger oder an Problemen zu Hause – es spielte einiges mit hinein.

«Wer wie ich mit einer Transition beginnt, tut dies häufig aus einer

isolierten Lage und aus Angst heraus.»

Meine Geschichte beginnt Ende der 1980er-Jahre in einem kleinen Bergbaudorf in Northumberland, England. Es ist eine Art kultureller Schandfleck, der ziemlich darunter litt, dass ein Grossteil der örtlichen Industrie in den 1980er- und 90er-Jahren zum Erliegen kam. Wie viele Kleinstädte im Vereinigten Königreich war die Gegend in den frühen 2000er-Jahren zu einer Art kultureller Zeit­kapsel geronnen. An einem solchen Ort aufzuwachsen, war schwierig – vor allem, wenn man selbst nicht sonderlich hart ist, sondern eher weich wie ich.

Die Männer in meiner Familie hatten dieses Problem nicht. Sie waren alle recht stereotypische Arbeiterklassentypen, die es liebten, zu einem Fussballspiel im Fernsehen zu schreien, und die dank einer Garage voller Werkzeug und öliger Lappen so ziemlich alles zusammenbauen konnten. Mein älterer Bruder, tough und praktisch veranlagt, ist ihnen recht ähnlich. Doch so sehr ich mich auch darum bemühte, ich konnte nicht so sein wie sie. Ich hatte einen stärkeren Bezug zu meiner Mutter. Und wenn ich die Wahl hatte, mit meinem Vater und meinem Bruder irgendwohin zu gehen oder aber mit meiner Mutter, entschied ich mich für sie. Der Umgang mit ihr sowie mit Mädchen und Frauen fiel mir leichter.

Bis auf mich selbst war es für alle ziemlich offensichtlich, dass ich schwul werden würde. Mein Weg führte durch die typische Pipeline: Ich wollte mich verkleiden, mit Spielzeug spielen, das für Mädchen vermarktet wurde, singen und tanzen. Aber so verbrachte ich nur einen Teil der Zeit. Ansonsten war ich ein typischer Junge; ich liebte auch Lastwagen, Autos, Bagger und Lego.

Die Angst, schwul zu sein, war enorm und beherrschte meine Ängste und mein zwanghaftes Denken. Tief in mir war das längst klar und wurde mir besonders deutlich, als ich mich in einen meiner Freunde verliebte. Es beunruhigte mich, dass dieses Gefühl einfach nicht verschwinden wollte. Vom Lächeln taten mir die Wangen weh, und ich sehnte mich einfach nur danach, ständig in seiner Nähe zu sein. Meine sich anbahnende Sexualität erfüllte mich mit entsetzlichen Sorgen, da ich wusste, dass ich in ihn verliebt war. Warum entsetzlich? Vielleicht waren es die unkontrollierten Gedanken, die eine beiläufige Bemerkung bei mir ausgelöst hatte, als ich noch ein Kind war, oder die ständige Verwendung des Wortes «schwul», das etwas Negatives bedeutete. Alles, was ich wusste, war, dass es keine gute Sache war.

Unter Jungen und Fremden

Auf der Suche nach Antworten wandte ich mich der Online-Welt zu. Wie ein Lamm geriet ich in eine Wolfshöhle. AOL-Chatrooms, Yahoo Answers, MSN Messenger, ICQ: Die Frühformen der sozialen Medien erregten mein Interesse auf katastrophale Art und Weise. Mit klopfendem Herzen hielt ich die Maus bereit, um das Fenster des Gay-Chatrooms zu schliessen, den ich gerade betreten wollte und der zugleich der einzige Ort war, an dem ich Fragen stellen konnte. Das war Anfang der 2000er-Jahre, und ich wusste nicht, mit wem ich jeweils sprach.

Als ich ein Teenager war, liessen sich meine Eltern scheiden, und mein Bruder, der mich mein ganzes Leben lang beschützt hatte, zog in den Krieg, weswegen ich plötzlich meine eigenen Kämpfe auszutragen hatte. Ich war nicht gut darin, und das wussten die anderen. Wie bei meinem Bruder trat die Pubertät auch bei mir aus natürlichen Gründen spät ein. Aber im Gegensatz zu ihm war ich nicht gut darin, Kontakte zu schliessen, Witze zu verstehen, und dazu extrem naiv. Für mich war die Schule ein Schlachtfeld: Als ich sie verliess, war ich ein ängstliches Durcheinander.

War all dies toxische Männlichkeit? Möglicherweise, denn es war alles äusserst hypermaskulin. Die Misshandlungen, die ich in der Schule erlebte, kamen äusserst selten von Mädchen. Verantwortlich dafür waren natürlich Jungen. Ich wurde körperlich gefoltert, angezündet, mit Säure bespritzt, Opfer von Streichen, in Fallen gelockt und so unweigerlich gebrochen.

Ich bin alt genug, um mich noch an das Geräusch der Interneteinwahl zu erinnern – das herrliche elektronische Orchester sich windender Klänge, das bestätigte, dass die Verbindung hergestellt war. Der Computer und das Internet boten einen Ausweg, eine Fluchtmöglichkeit. Ich verbrachte den grössten Teil meiner Kindheit drinnen, hinter einem Röhrenmonitor, unterhielt mich online mit Erwachsenen, schüttete all meine Ängste und Sorgen bei ihnen aus und dachte, die Sicherheit meines Zimmers böte ausreichend Distanz. Das war nicht der Fall, denn viele wussten, wie leicht sie mich auch in meinem Zimmer erreichen konnten, und das taten sie auch. Ich glaube aber nicht, dass das die Hauptursache für meine Transition war. Als ich merkte, dass ich «schwul werde», versuchte ich mein Bestes, durch Pornografie davon abzukommen. Doch nichts davon befriedigte mich, vor allem weil ich mir die heterosexuellen Sparten anschaute. Wenn ich einmal loslegte, landete ich immer bei der schwulen Kategorie. Jedes einzelne Mal. Und danach hatte ich immense Scham- und Schuldgefühle.

Sicher spielt Pornografie mit rein, was die Motivation zur Transition anbelangt, das ist aber nicht der Hauptbestandteil. Das Gefühl, ich sei ein unvollständiger Mann, hatte sich bereits verfestigt, bevor ich Zugang zum Internet hatte, was es wahrscheinlich noch verstärkte. Die reflexartige Reaktion, in dieser Angelegenheit der Pornografie alle Schuld zuzuschreiben, ist bekannt. Wenn Sie mich fragen, ist Pornografie grundsätzlich verabscheuungs­würdig, vor allem aufgrund ihres einfachen Zugangs in der Gegenwart. Es handelt sich um eine MKUltra-artige generationelle Erfahrung, die das Bewusstsein vieler junger Menschen entstellt.

Ein Kult mit einfachen Antworten

Gefährlich wurde es, als ich mich Anfang 20 wegen meiner lähmenden psychischen Probleme in Behandlung begab, auf dem Weg dorthin verlorenging und mein zwanghaftes Denken auf das Konzept der Geschlechtsdysphorie stiess. «Bingo!», dachte ich mir, «das ist es. Das also ist der Grund, und nicht etwa das, was mir widerfahren ist, und auch nicht all diese Jahre der Isolation und Angst. Es lag natürlich alles daran, dass ich im falschen Körper steckte. Ich Depp!»

Wie ein wiedergeborener Christ erlaubte mir das einen Neuanfang, frei von der ständigen Bestrafung durch mich selbst. Ich versuchte sofort herauszufinden, wie ich transitionieren konnte, wobei mich nichts als diese neue Besessenheit antrieb. Ich war entschlossen. Es geht um Leben oder Tod, redete ich mir ein. Mein Leben war miserabel, und alles, was ich über das Trans-Sein gelesen hatte, stimmte auch in meinem Fall. Als ich meinem Bruder und meiner Mutter erklärte, dass ich ihnen etwas sagen müsse, antworteten beide instinktiv: «Du bist schwul, oder?» Darauf erwiderte ich sehr stolz: «Nein, ich bin trans!» Natürlich bezweifelten sie das – sie kannten mich besser.

Keinen Zweifel hatten indes die Leute im Internet – die Community, die rund um die Uhr erreichbar war. Die Genderklinik ebenfalls nicht. Deren Personal betonte gar mehrfach, dass ich ein idealer Anwärter sei. Als ich 2018 operiert wurde, sagte ich ihnen sofort, dass ich es bereute, und man antwortete mir, dass das keine Reue sei, sondern eine Zwangsstörung, und nicht nur eine Zwangsstörung, sondern eine neue Diagnose: eine instabile Persönlichkeitsstörung!

Abwege ohne Auswege

«Aber du warst doch so lang in Therapie», wird man einwenden. Ich war bei einem verdammten Gendertherapeuten! Das ist in etwa so, als bitte man einen Priester um Rat, wenn man seine Religion verlassen möchte. Das ist Wahnsinn. Kein Aspekt der Behandlung – weder die Hormone noch die Stimmübungen, noch der Laser und noch nicht einmal der Umstand, dass der Chirurg meine Hoden entfernte, meinen Penis umstülpte und in meinen Leib schob, um das Resultat Vagina zu nennen – machte mich zu einer Frau.

Es fühlte sich wie eine Lösung an, sogar wie eine Abkürzung, aber das ist es nicht. Es ist vielmehr so, als würde man auf einem alten Feldweg platziert, um den Verkehr des Lebens zu umgehen, und dort dann mit geplatzten Reifen tief im Schlamm stecken, während es niemanden gibt, der einem hilft. Und diejenigen, die die Hilferufe vernehmen, machen sich über einen lustig, weil man diesen Weg gewählt hat. Für alle Beteiligten schien das so ein guter Deal zu sein. War es aber nicht. Wegen all diesem verlorenen Fleisch haben wir Schulden, die nicht beglichen werden können.

So viele junge Männer werden kastriert, ihre Gesichter zerschnitten, die Knochen weggeschoren. Ich will gar nicht erst auf die Probleme der Operation eingehen, die ich hatte, denn bei anderen ist das Resultat noch viel fataler als das, was ich ertragen muss. Auf der Skala der Schäden gehöre ich eigentlich zu den Glücklicheren, denn trotz der Schmerzen, der Inkontinenz und der Qualen könnte es noch viel schlimmer sein. Es gibt viele Beispiele, die das beweisen.

Was aber treibt uns hierher? Pornografie? Toxische Männlichkeit? Ein Trauma? Ich würde sagen, es ist eine immense Mischung diverser Zutaten, die eine chemische Suppe ergeben, welche die richtigen Bedingungen für das schafft, was nunmehr Geschlechtsdysphorie genannt wird.

Dennoch haben wir momentan kaum eine Alternative für uns Soft Boys parat. Unsere Geschlechtsgenossen blicken aufgrund unserer Effemination, unserer mangelnden Stärke und in vielen Fällen wegen unserer unterwürfigen Art auf uns herab. Es braucht nicht viel, um uns zu dominieren, und Aussenstehende sind ebenso schnell dabei, uns dafür zu beschuldigen, dass wir diese Dominanz zulassen. Es ist also plausibel, sich in eine Trans-Identität zurückzuziehen, und es ist ebenfalls schlüssig, warum so viele junge, unmännliche Männer diesen Weg einschlagen. Wie sich der Lebensweg eines Menschen auch immer gestaltet: Niemand verdient es, verletzt oder irregeführt zu werden. Und er sollte auch nicht dafür bestraft werden. Viele von uns haben bereits zu viel bezahlt.

Das bringt mich zu meinem letzten und wichtigsten Punkt. Verglichen mit den Transitionierten, die üblicherweise heterosexuell sind und sich operieren lassen, ist die Zahl junger Männer, die schwul sind und in den Abgrund der Transition stürzen, verschwindend gering. Dennoch wird ihnen nicht die gleiche Wertschätzung entgegengebracht. Sie werden als weniger menschlich angesehen und werden oft für Sexualstraftäter gehalten. Ich habe Mitleid mit ihnen, denn es gibt eine grosse schweigende Mehrheit, die ähnliche Wege einschlägt wie Menschen wie ich, und auch sie sind von dieser Entwicklung beschädigt, geben aber nicht die gewünschte Art von Opfer ab.

Geschlechtliche Unangepasstheit wird bei Männern auch heute noch mit wohlwollendem Misstrauen belächelt. Das Motto «Trag doch, was dir gefällt» scheint nicht mehr zu gelten. Ich habe sehr selten Frauenkleider getragen, besass aber ein Sommerkleid, das ich sehr mochte. Es hatte sogar Taschen vorne. Taschen! Aber wenn ich das jetzt tragen würde, würde man mir wahrscheinlich vorwerfen, dass ich entweder regrediere oder autogynophil sei.

Auch hier verstehe ich, warum Menschen in ihrer Trans-Identität verharren – wir haben keine Alternative zur Hand. Und mit «wir» meine ich meine Leute: die Soft Boys, die Tomgirls, die Nerds und all jene, die am ehesten auf diese Idee hereinfallen und bei denen es am wahrscheinlichsten ist, dass sie bereits Ablehnung erfahren haben und die die Verlockung von etwas erkennen, das mit vorgefertigten Anleitungen und einer bereitstehenden Gemeinschaft daherkommt, die rund um die Uhr und an jedem Tag des Jahres für jeden Zweifel zur Verfügung steht.

Ich weiss nicht, was die Lösung ist. Dafür weiss ich aber, dass sie damit beginnt, ehrlich zu sein. Und die Wahrheit ist, dass ich noch immer besorgt bin. Allerdings nicht um mich selbst.


Aus dem Englischen übersetzt von Vojin Saša Vukadinović.

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Ahmad Mansour und Donat Blum, fotografiert von Ioannis Politis.
«Männlichkeit wird nach wie vor viel zu stark mit Dominanz gleichgesetzt»

Schriftsteller Donat Blum hält Männlichkeit für ein soziales Konstrukt und will ihr ­Empathie entgegensetzen. Psychologe Ahmad Mansour widerspricht und kritisiert die Verteufelung «alter weisser Männer». Ein Streitgespräch über Gendern, ­muslimischen Antisemitismus und Zärtlichkeit.

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