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Editorial

«Der Föderalismus ist keine muffige Museumsideologie, und er stirbt nicht daran, dass Probleme und Lösungen in grösseren Zusammenhängen erarbeitet werden müssen als im Zeitalter der Pferdepost und des Spinnrahmens.» Herbert Lüthy1 Der grosse Schweizer Historiker Herbert Lüthy, lange Vorstandsmitglied des Vereins zur Herausgabe der «Schweizer Monatshefte», wäre im Januar 100 Jahre alt geworden. Zeit seines […]

«Der Föderalismus ist keine muffige Museumsideologie, und er stirbt nicht daran, dass Probleme und Lösungen in grösseren Zusammenhängen erarbeitet werden müssen als im Zeitalter der Pferdepost und des Spinnrahmens.» Herbert Lüthy1

Der grosse Schweizer Historiker Herbert Lüthy, lange Vorstandsmitglied des Vereins zur Herausgabe der «Schweizer Monatshefte», wäre im Januar 100 Jahre alt geworden. Zeit seines Lebens – und das ist nur leicht übertrieben, wie Jakob Tanner in seiner Würdigung (hier) nachweist – machte er sich Gedanken zur Schweiz, und vor allem zum Zustand des hiesigen Föderalismus. Einerseits hob Lüthy dessen wichtige Funktion für Schutz, Entwicklung und Fruchtbarmachung der bürgerlichen Freiheiten hervor, erkannte, wie sehr der «Sonderfall Schweiz» vorrangig ein «Sonderfall Föderalismus» ist. Er beklagte aber auch den Missbrauch des Begriffs Föderalismus, wenn selbiger «zur Parole des untätigen Treibenlassens, des Neinsagens und des Barrikadenbaus gegen die Zukunft» gemacht wurde. Der Bundesstaat, so Lüthy, sei hierzulande vor allem in seiner Rolle als finanzieller Lückenbüsser populär gewesen: Schon in den frühen 1960er Jahren warnte Lüthy davor, dass «die politische Zivilisation, die das föderalistische Gebäude tragen sollte, innerlich abstirbt» und die «Eigenständigkeit zur intakten, doch hohlen Fassade wird». Der Historiker hatte dabei Gemeinden und Kantone im Blick, schaute aber auch über die Landesgrenzen hinaus.

Heute hat sich der politische Diskurs verschoben, wenn nicht umgekehrt: während sie im Inland den «Kantönligeist» als Ideal oder als Schreckgespenst akzeptiert haben, wendet sich die Rhetorik der grossen politischen Parteien zunehmend gegen aussen: Die Rechte warnt bei jedem Wank des Bundesrates vor «Knebelverträgen» mit der EU, die Linke nun sogar schon vor «ausländischen Medien», die kein rätoromanisches Fernsehen anbieten. Der breite politische Schulterschluss unter dem Deckmantel der Wahrung vermeintlicher Souveränität, koste sie, was sie wolle, hat sich dabei längst verselbständigt: Vorstösse wie diejenigen zur «Ernährungssouveränität» (gemeint: Anbauschlacht 2.0) oder gegen «fremde Richter» (gemeint: nur Schweizer Rechte sind Bürgerrechte) finden heute Zustimmung in allen Lagern.

Mal die grosse Kohäsion, mal die totale Subsidiarität. Darüber, wie der Nationalstaat dergestalt innenpolitisch überhöht und aussenpolitisch verdammt wird, hat sich das liberale Lager in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs kaum je kritische Gedanken gemacht. Mal hat es sich des einen, mal des anderen Narrativs bedient, je nach politischer Grosswetterlage. Nun lernt es die Nachteile dieser lang gepflegten Profilneurose kennen – und zwar besonders schmerzhaft: das Lager wird politisch kannibalisiert. Hätte die FDP einen klaren Plan, wie echte Probleme vorrangig und effektiv über föderale Strukturen gelöst werden können, wäre dieser Weg in der Innen- und in der Aussenpolitik wohl auch einfacher vermittelbar. Sowohl den Bürgern als auch den notwendigen Vertragspartnern. Die Zukunft des föderalen Prinzips, von dem Lüthy redet, und jene Liberalen als Advokaten desselben hängen am Ende also eng zusammen. Im aktuellen Souveränitätsdiskurs, der nur noch nach Absendern und Empfängern von Botschaften oder Geldern fragt, ist besagtes Prinzip fast wertlos geworden. Höchste Zeit also, dem heissen Thema einen eigenen Schwerpunkt zu widmen.


Michael Wiederstein 
 ist Chefredaktor dieser Zeitschrift.


1 Herbert Lüthy: Vom Geist und Ungeist des Föderalismus. In: Schweizer Monatshefte. Heft 9, Dezember 1964. Das PDF des ganzen Beitrags finden Sie hier.

 

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