Der Niedergang des Zürcher Wirtschaftsfreisinns
Lukas Leuzinger, fotografiert von Daniel Jung.

Der Niedergang des Zürcher Wirtschaftsfreisinns

Die Credit Suisse steht für eine Elite, die der Schweiz zu Reichtum verhalf. Bevor ihr das Land zu klein wurde. Die heilige Dreifaltigkeit Kreditanstalt, FDP und Grasshopper Club ist am Boden.

Als am 19. März 2023 an einer Medienkonferenz in Bern das Ende des einstigen Stolzes des Zürcher Finanzplatzes verkündet wurde, fehlte Zürich. Es waren die Bundesräte Alain Berset (Freiburg) und Karin Keller-Sutter (St. Gallen), die der Welt auf Englisch zu erklären versuchten, dass nach der Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS alles in bester Ordnung sei. Der irische UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher verbreitete routiniert Zuversicht, und der Berner CS-Präsident Axel Lehmann betonte, man müsse nun nach vorne schauen.

Im Büro der FDP Zürich verfolgen Parteimitglieder, darunter die spätere Bundesrätin Elisabeth Kopp, die nationalen Parlamentswahlen am 21. Oktober 1979.
Bild: Keystone/Photopress-Archiv/Viktor Dammann.

An diesem Sonntag wurde nicht nur das Ende der CS besiegelt. Das Datum steht auch sinnbildlich für das Ende der goldenen Ära des Zürcher Wirtschaftsfreisinns – jenes Netzes, das Wirtschaft und Politik in der Schweiz seit 1848 über weite Strecken dominiert hatte. Nichts symbolisierte dieses Netz mehr als die CS.

Ein Kind des Aufbruchs

Die Schweizerische Kreditanstalt (SKA), aus der später die CS werden sollte, wurde 1856 in der Aufbruchstimmung nach der Gründung des Bundesstaats ins Leben gerufen. Massgeblicher Treiber war Alfred Escher. Der Unternehmer und Politiker brauchte Geld für den Ausbau des Schienennetzes, an dessen Höhepunkt der Bau des Gotthardtunnels stehen sollte.

Die SKA war Teil des Netzwerks, das Eschers Gegner als «System» bezeichneten: ein Geflecht von wirtschaftlichem und politischem Einfluss, zu dem etwa auch die 1857 gegründete Schweizerische Rentenanstalt gehörte, die heutige Swiss Life. Die Macht Eschers löste schon bald Argwohn aus. 1869 wurden seine Freisinnigen im Kanton Zürich von der demokratischen Bewegung aus der Regierung verdrängt; und nach Rückschlägen beim Bau des Gotthardtunnels wandten sich selbst seine Freunde von ihm ab.

Liberale Klientelwirtschaft

Eschers Machtverlust bedeutete aber nicht das Ende seines Imperiums, im Gegenteil. Die Kreditanstalt stieg im 20. Jahrhundert zu einer der wichtigsten Schweizer Banken auf.

Obwohl die moderne Schweiz von Liberalen gegründet worden war, war sie lange von Kartellen, Klientelwirtschaft und Hinterzimmergeschäften geprägt. In der Nachkriegszeit waren allein die Banken in 16 Kartellen organisiert. Wirtschaft und Politik pflegten eine intime Nähe, die sich im Zürcher Wirtschaftsfreisinn exemplarisch zeigte. Dieser sass trotz Wählerrückgang der FDP an den Schalthebeln der Politik und schuf gute Bedingungen für die Unternehmen, bei denen er ebenfalls am Drücker war. Schwergewichte wie Ulrich Bremi oder Peter Spälti übten in Bern ihren Einfluss aus und sassen zugleich in den Verwaltungsräten grosser Firmen.

Heute würde dieses System keiner Prüfung durch die Wettbewerbskommission oder eines Compliance-Verantwortlichen standhalten. Doch die persönliche Nähe hatte ihre Vorteile. Gesetze wurden von jenen geschrieben, die sich in der Privatwirtschaft auskannten – nicht wie heute von der Verwaltung und Berufspolitikern. Probleme konnten mit einem Telefonat aus dem Weg geräumt werden – und wurden nicht wie heute in den Medien verhandelt. Kurze Wege als Erfolgsrezept.

Kehrseite der Expansion

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg gewann der internationale Austausch an Bedeutung. Nicht nur die Kunden von Schweizer Unternehmen wurden internationaler, auch ihre Besitzer und Führungskräfte. Heute werden Grossbanken und Industriekonzerne von ausländischen Aktionären und Managern dominiert. Der Heimmarkt spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Bei der SKA läutete Rainer E. Gut, der 1973 Generaldirektor und 1983 Verwaltungsratspräsident wurde, den Ausbruch aus den bekannten Gefilden ein. Das bewährte, aber langweilige Vermögensverwaltungsgeschäft war der Bank nicht mehr genug. Die SKA sollte auch im US-amerikanisch dominierten Investmentbanking in der obersten Liga mitspielen. Sie stieg bei der First Boston ein…