Auf die Gemeindefinanzen kommen ungemütliche Zeiten zu
Christoph Lengwiler, zvg.

Auf die Gemeindefinanzen kommen ungemütliche Zeiten zu

Die Gemeinde ist die Staatsebene, wo der Bürger am direktesten Einfluss auf die Finanzen nehmen kann. Mit den steigenden Zinsen wird das ­Schuldenmanagement wieder wichtiger.

Die Gemeinde ist jene Staatsebene, die dem Schweizer Bürger am nächsten ist und bei der er Einnahmen und Ausgaben am besten nachvollziehen kann. Entsprechend sollten die Finanzierungsfragen, die sich in jeder der 2136 Gemeinden stellen, Einwohne­rinnen und Einwohner besonders interessieren. Zudem entfallen auf diese Körperschaften gemäss Finanzstatistik immerhin 21 Prozent der öffentlichen Schulden; auch wenn das weniger ist als der Anteil der Kantone und des Bundes, handelt es sich doch nicht um eine Quantité né­gligeable. Und dass Gemeinden geräuschlos zu Geld kommen, ist zwar die Regel, aber auch nicht selbstverständlich, wie vor einem Vierteljahrhundert der Fall Leukerbad gezeigt hat. Die Walliser Gemeinde hatte sich damals mit grossen Investitionen insbesondere in die touristische ­Infrastruktur finanziell übernommen, konnte ihren Schuldenberg nicht mehr bedienen und wurde in der Folge vom Kanton mehrere Jahre unter Zwangsverwaltung (Beiratschaft) gestellt.

Eine Gemeinde ist dann finanziell gesund, wenn sie mittelfristig eine ausgeglichene Erfolgsrechnung hat, genügend Cashflow für die Finanzierung der Investitionen erzielt und sich pro Kopf der Bevölkerung nur massvoll verschulden muss. Ein gesunder Finanzhaushalt und ein möglichst tiefer Steuerfuss sind zentrale Elemente der ­Finanzstrategie von Gemeinden. Die nach einer langen Tiefzinsperiode steigenden Zinsen stellen nun auch die Gemeinden vor neue Herausforderungen.

Mehr Schulden kosten weniger

In den letzten Jahren haben die Gemeinden von der Entwicklung der Zinsen profitiert. Von 2008 bis 2020 sind zwar die Finanzverbindlichkeiten aller Gemeinden um 26 Prozent auf 45 Milliarden Franken gestiegen, der Zinsaufwand ist hingegen um 59 Prozent auf 0,5 Milliarden Franken gesunken. Dies hat dazu geführt, dass der durchschnittliche Zinsaufwand der Gemeinden im Verhältnis zu den Finanzverbindlichkeiten von 3,7 auf 1,1 Prozent und im Verhältnis zum Personal- und Sachaufwand von 6,1 auf 1,9 Prozent gesunken ist. Die Zinsentwicklung hat somit die Schweizer Gemeinden finanziell entlastet. Das relativiert auch die Folgen des jüngsten Zinsanstiegs.

Wie Studien der Hochschule Luzern für die Jahre 2003 bis 2019 zeigen, finanzieren sich (zumindest die untersuchten mittelgrossen) Gemeinden vorwiegend durch festverzinsliche Darlehen, die durchschnittlich eine Laufzeit von etwas mehr als acht Jahren haben. Rund 50 bis 60 Prozent der Darlehen werden von Banken gewährt, wobei die PostFinance mit 20 bis 25 Prozent vor den Kantonalbanken mit 15 bis 20 Prozent den grössten Markt­anteil hat. Die weiteren 40 bis 50 Prozent des Kreditvolumens werden durch institutionelle Anleger finanziert, die Gemeindekredite als solide Anlageklasse nutzen. In der Gemeindefinanzierung engagieren sich zum Beispiel die Suva, grössere Pensionskassen, der AHV-Ausgleichsfonds, Versicherungen und grössere Privatinvestoren. Das Spektrum der Anbieter hat sich in den letzten Jahren relativ stark gewandelt, so haben sich etwa die Grossbanken, gewisse Auslandbanken oder die Swiss Life aus dem Markt zurückgezogen, dafür hat das Treasury der Post­Finance vermehrt Mittel in Gemeindedarlehen angelegt. Die aktuell steigenden Zinsen könnten bei einzelnen in­stitutionellen Investoren möglicherweise wiederum eine Neubeurteilung dieser Anlageklasse zur Folge haben, d.h. sie zum (Wieder-)Einstieg oder Rückzug aus dem Geschäft bewegen.

«In der Gemeinde­finanzierung engagieren sich zum Beispiel die Suva, grössere Pensionskassen, der AHV-Ausgleichsfonds, Versicherungen und grössere ­Privatinvestoren.»

Gemeinden gelten als solide Schuldner, und sie können ihre Darlehen meist zu sehr günstigen Bedingungen aufnehmen. Die Margen lagen zum Beispiel bei 238 mittelgrossen Schweizer Gemeinden Ende 2019 im Median und Durchschnitt bei 40 Basispunkten über den Swapsätzen, also den Sätzen, die am Interbankenmarkt für den Tausch der Verzinsung eines Kredites von fix in variabel (Geldmarktsatz) verrechnet werden und die als Referenzwerte für den ganzen Kapitalmarkt gelten.

«Gemeinden gelten als solide Schuldner, und sie können ihre Darlehen meist zu sehr günstigen Bedingungen ­aufnehmen.»

Die als gut eingeschätzte Bonität von Gemeindekrediten, die entsprechend tiefen Margen und das grosse verfügbare Angebot an individuellen Finanzierungsmöglichkeiten dürften auch die Gründe dafür sein, dass es in der Schweiz heute keine speziellen Finanzierungsvehikel für Gemeinden…