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Der Finanzausgleich vergrössert die Ungleichheit unter den Kantonen

Der NFA verteilt zwar immer mehr Geld von reichen zu armen Kantonen. Doch er schwächt auch die Anreize, die Standortattraktivität aus eigener Kraft zu verbessern. Es braucht eine Reform.

Der Finanzausgleich vergrössert die Ungleichheit unter den Kantonen
Christoph Schaltegger und Lukas Mair, zvg.

Seit der Reform des nationalen Finanzausgleichs (NFA) 2008 – oder ganz korrekt: der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen – sind mittlerweile 15 Jahre vergangen. Eine gute Gelegenheit, um zu prüfen, ob die angestrebte Intention erreicht worden ist und welchen Herausforderungen sich der Finanzausgleich stellen muss. Bei der damaligen Reform standen hauptsächlich zwei Ziele im Fokus: Erstens sollte eine Angleichung der Finanzkraft der Kantone erreicht werden. Zweitens wurde eine Entflechtung der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen angestrebt, um staatliche Aufgaben effizienter erbringen zu können.

Ziele nur teilweise erreicht

Der Ausgleich der Finanzkraft funktioniert. Das wird deutlich, wenn man die Ressourcenindizes der Kantone vor und nach dem Ressourcenausgleich vergleicht. Der Ressourcenindex misst die steuerlich ausschöpfbaren finanziellen Ressourcen der Kantone im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt und dient als Mass für die kantonale Finanzkraft. Im Finanzausgleich ist eine Mindestausstattung von 86,5 Prozent des Schweizer Durchschnitts definiert – diese Finanzkraft erreicht also jeder Kanton aufgrund der Transferzahlungen mindestens. Im Jahr 2024 (unter Berücksichtigung der Referenzjahre 2018 bis 2020) erreicht der Nehmerkanton Wallis beispielsweise gemäss Ressourcenindex eine Finanzkraft von 65,2 Prozent des Schweizer Durchschnitts vor Ausgleich. Nach dem Ausgleich wird dieser Index bei der festgelegten Mindestausstattung von 86,5 Prozent liegen. Für die Transfers gilt ein progressiver Tarif. Je niedriger der Ressourcenindex eines Kantons, desto umfangreicher ist der Ausgleich. Kantone, die einen Ressourcen­index über dem schweizerischen Durchschnitt aufweisen, müssen in das System einzahlen und tragen damit zu dessen Finanzierung bei. Die Geberkantone finanzieren dabei 40 Prozent der Ressourcenausgleichszahlungen, die restlichen 60 Prozent stammen aus der Bundeskasse.

Der erfolgreiche Ausgleich der kantonalen Finanzkraft bleibt nicht ohne Folgen. Die umverteilten Mittel fallen ins Gewicht: Der Anteil der Transferzahlungen an den Gesamteinnahmen der Kantone beträgt heute im Durchschnitt über 20 Prozent und in einigen Fällen sogar mehr als 40 Prozent. Das ist mehr als vor der Reform im Jahr 2008. Die Abhängigkeit von Transferzahlungen hat mit der Reform also zugenommen.

«Der Anteil der Transferzahlungen an den Gesamt­­einnahmen

der Kantone beträgt heute im Durch-schnitt über 20 Prozent.

Das ist mehr als vor der Reform im Jahr 2008.»

Fehlanreize für die Standortpolitik

Ein genauerer Blick auf die Anreize, die vom Finanzausgleich ausgehen, ist somit angesichts der Bedeutung der Transferzahlungen für die kantonalen Finanzen von hoher Relevanz. In der Grafik sind die voraussichtlichen Grenzabschöpfungsquoten der Schweizer Kantone für das Jahr 2024 auf Basis von Daten der Eidgenössischen Finanzverwaltung dargestellt.1 Diese Quoten geben Auskunft über den Zusammenhang zwischen Veränderungen des Ressourcenpotenzials eines Kantons und den Auswirkungen auf die Transferzahlungen. Hohe Grenzabschöpfungsquoten schaffen einen Fehlanreiz. Ein konkretes Beispiel verdeutlicht die Problematik: Steigt zum Beispiel das Ressourcenpotenzial des Nehmerkantons Wallis um 100 Franken, sinken die Transfers, die der Kanton erhält, um etwa 25 Franken. Bei den Geberkantonen ist es umgekehrt: Steigt das Ressourcenpotenzial des Kantons Obwalden um 100 Franken, muss der Kanton etwa 5 Franken mehr einzahlen. Aufgrund der hohen Grenzabschöpfungsquoten lohnen sich also Investitionen zur Steigerung der Standortattraktivität für die meisten Nehmerkantone kaum, während die Anreize bei den Geberkantonen weniger verzerrt werden.

Nehmen wir an, es gelinge einem Nehmerkanton, für neue Unternehmen attraktiver zu werden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er aufgrund der progressiven Ausgestaltung des Ressourcenausgleichs eine negative Marge auf neue Unternehmensgewinne aufweist.2 Die Ausgleichszahlen nehmen also bei einer Verbesserung des Ressourcenpotenzials umso stärker ab, je weiter dieses vom Schweizer Durchschnitt entfernt ist. Wenn in diesen Kantonen also ein Neugewinn vor Steuern anfällt, verlieren sie netto an Einnahmen. Zusätzliche Steuereinnahmen reichen dann nicht aus, um die weggefallenen Transferzahlungen zu kompensieren. Bei den natürlichen Personen ist diese Problematik zwar ebenfalls vorhanden, sie ist aber etwas weniger ausgeprägt, weil deren Einkommen in fast allen Kantonen progressiv besteuert werden und somit steigende Einkommen zu noch stärker steigenden Steuereinnahmen führen.

Trotz dieser nachteiligen Anreize gibt es auch Positivbeispiele. Der Kanton Luzern konnte aufgrund seiner Tiefsteuerstrategie seit Mitte der 2000er-Jahre und der Reform des Finanzausgleichs im Rahmen der vom Souverän im Mai 2019 genehmigten Vorlage zur Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) seine Margen auf neuen Unternehmensgewinnen signifikant verbessern.3 Früher reichten die zusätzlichen Steuereinnahmen nicht aus, um die geringeren Transfers zu kompensieren. Heute bleiben von 100 Franken neuen Unternehmensgewinnen rund 70 Rappen in der Staatskasse. Die Luzerner Finanzkraft stieg zudem von 76,9 Prozent des Schweizer Durchschnitts im Jahr 2008 auf 92,3 Prozent im Jahr 2024. Der Kanton Luzern kann seine Leistungen also vermehrt aus eigenen Mitteln finanzieren. Das Beispiel verdeutlicht, dass sich eine langfristig ausgerichtete Finanzpolitik mit dem Ziel der Erhöhung der Standortattraktivität auch für Nehmerkantone lohnen kann. Allerdings sind die Anreizstruktur des Finanzausgleichs und politische Restriktionen mitunter hinderlich für eine solche langfristige Strategie. Daher dürften Fälle wie Luzern eher die Ausnahme bleiben.

Die für den Ressourcenausgleich eingesetzten Mittel sind im Laufe der Zeit kontinuierlich angestiegen. Während die Nehmerkantone im Jahr 2008 insgesamt etwa 3 Milliarden Franken erhielten, werden ihnen 2024 4,5 Milliarden Franken zufliessen. Die Beiträge stiegen in den meisten Jahren sogar stärker an als das Bruttoinlandsprodukt. Diese Entwicklung zeigt, dass nicht alle Kantone ­gleichermassen vom Wachstum profitiert haben. Vielmehr resultiert sie aus der Tatsache, dass die Differenzen im Ressourcenpotenzial vor dem Ausgleich zunehmen.

Die Kluft zwischen den finanziellen Kapazitäten der Kantone wurde im Laufe der Zeit also immer grösser. Diese Entwicklung macht die negativen Anreize des Finanzausgleichs sichtbar. Sie sind nicht nur rechnerisch vorhanden, sondern haben auch tatsächlich Auswirkungen auf die kantonale Standortpolitik. Im Umkehrschluss heisst dies, dass die Ungleichheiten zwischen den Kantonen durch einen angepassten NFA mit besseren Anreizen erheblich reduziert werden könnten.

Alternativen zum progressiven Verteilschlüssel gesucht

Die STAF-Reform von 2019 hat bereits zu Verschiebungen im NFA geführt. Mit der Einführung der OECD-Mindeststeuer wird es abermals zu Veränderungen kommen. Unternehmensgewinne werden voraussichtlich in der Berechnung der kantonalen Finanzkraft stärker gewichtet werden.4 Die Fehlanreize könnten sich verschärfen. Dies ist auch für den internationalen Standortwettbewerb von Bedeutung. Wenn die Nehmerkantone mit schlechteren Anreizstrukturen konfrontiert sind und dadurch der interkantonale Standortwettbewerb erlahmt, hat dies Auswirkungen auf die internationale Standortattraktivität der Schweiz. Ohne Reformen des Finanzausgleichs könnte die Schweiz international mittel- bis langfristig an Attraktivität verlieren.

«Ohne Reformen des Finanzausgleichs könnte die Schweiz international mittel- bis langfristig an Attraktivität verlieren.»

Derzeit werden verschiedene Optionen für eine erneute Reform des Finanzausgleichs diskutiert. Durch die progressive Verteilung verringern sich die Transferzahlungen bei einer Erhöhung der Finanzkraft umso stärker, je tiefer die Finanzkraft eines Kantons ist. Dies führt zu hohen Grenzabschöpfungsquoten in vielen Nehmerkantonen. Die progressive Verteilung der Transfers ist also der Ursprung der Fehlanreize. Alternative Verteilschlüssel sollten diskutiert werden, auch wenn daraus Folgen für den Ausgleich resultieren könnten. Die Umsetzung eines linearen Tarifsystems mit gleichzeitiger Verringerung der Mindestausstattung würde zu verbesserten Anreizen führen und den Ressourcenausgleich transparenter machen. Dadurch entstünde ein Anreiz für die Nehmerkantone, verstärkt in die Attraktivität ihres Standorts zu investieren. Die Nehmerkantone könnte man mit einer graduell auslaufenden Kompensationszahlung unterstützen, um ihnen genügend Zeit zu gewähren, ihre Standortattraktivität aufzubessern. Dadurch könnten politische Mehrheiten gebildet werden.

Eine weitere Option könnte die Einrichtung einer neutralen Zone sein. Kantone, deren Finanzkraft innerhalb der neutralen Zone liegt, würden keine Mittel mehr aus dem Ressourcenausgleich erhalten, wären aber auch von Zahlungen befreit. Dadurch würden bestehende Fehlanreize abgeschwächt werden, neue Probleme könnten jedoch an der Schwelle auftreten. So hätte ein Kanton mit einer Finanzkraft unterhalb der unteren Schwelle einen Anreiz, diese nicht zu überschreiten, um weiterhin Transferzahlungen zu erhalten. Gleichzeitig hätten Kantone in der neutralen Zone tiefe Anreize, ihre Finanzkraft so stark zu steigern, dass sie zu Geberkantonen werden.

  1. https://www.efv.admin.ch/efv/de/home/themen/finanzausgleich/zahlen.html%20und%20www.efv.admin.ch/efv/de/home/themen/finanzstatistik/daten.html#1801848201

  2. Patrick Leisibach, Christoph A. Schaltegger: «Zielkonflikte und ­Fehlanreize: Eine Analyse der Anreizwirkungen im Schweizer Finanzausgleich». In: Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 20(3), 2019, S. 254–280.

  3. Patrick Leisibach, Christoph A. Schaltegger (2022): «Bedeutung des ­nationalen Finanzausgleichs für das Finanzleitbild des Kantons Luzern». Gutachten im Auftrag des Finanzdepartements des Kantons Luzern, 2022; https://admin.iwp.swiss/wp-content/uploads/2022/05/20220502 Gutachten_LU.pdf.

  4. Fabian Schäfer, Erich Aschwanden: «Das ganze Land hängt am Tropf von Zug». In: NZZ, 20. Juni 2023.

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