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Auf dem Strich in der Zone

In Basel müssen sich Prostituierte in einem festgelegten Gebiet aufhalten, um legal arbeiten zu dürfen. Zeigt diese am Boden markierte «Toleranzzone» Wirkung?

Auf dem Strich in der Zone
Das Piktogramm in der sogenannten Toleranzzone im Rotlichtmilieu in Basel zeigt, in welchem Bereich Prostituierte anschaffen dürfen. Bild: Keystone/Georgios Kefalas.

Prostituierte tummeln sich in Basel seit der Legalisierung des Sexgewerbes in den 1970er-Jahren in einer sogenannten Toleranzzone. Sie umfasst die Ochsen- und Webergasse sowie das Teichgässlein. Darin dürfen Prostituierte ihre Dienste Freiern 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr anbieten. Insgesamt wird die Zahl der Prostituierten in Basel auf zwei- bis dreitausend geschätzt. In dieser Toleranzzone schaffen allerdings gerade mal fünf Prozent aller Sexarbeiterinnen an; im Sommer, der Hochsaison, sind es täglich vierzig Frauen. Der Rest arbeitet in Bars, Etablissements oder an anderen Orten.

2016 etablierte sich ein Novum in der Toleranzzone: Die Verwaltung brachte mit Zebrastreifen vergleichbare Markierungen am Boden an, um das Arbeitsgebiet der Prostituierten einzuschränken. In grüner Farbe zeigen Piktogramme eine Frau, die sich kokett an eine Laterne anlehnt. Ausserhalb der Markierungen dürfen die Sexarbeiterinnen keine Freier ansprechen.

Laut Sonja Roest, Leiterin der Gewalt- und Opferschutzstelle des Justiz- und Sicherheitsdepartements der Stadt Basel, wurden diese Bodenmarkierungen mit der Schengen-Osterweiterung seit der Jahrtausendwende notwendig. Die Erweiterung führte dazu, dass viele Sexarbeiterinnen aus Staaten wie Ungarn und Rumänien mit mangelnden Sprachkenntnissen und ungenügender Bildung nach Basel gelangten, ohne die dort aufgestellten Regeln völlig verstanden zu haben.

Männer machen Probleme, nicht Markierungen

Halten die Prostituierten diese Markierungen nicht für einen Käfig? Eine der Sexarbeiterinnen, Clara aus Ungarn, beteuert, dass sie kein Problem mit diesen Markierungen habe. Ihre Sorge betrifft eher jene Freier, die betrunken oder respektlos Sex einfordern. Von diesen gebe es zwar nicht viele, aber doch genügend, sodass sie davor auf der Hut bleiben müsse.

Ein Kuriosum mitten in der Toleranzzone bildet das Restaurant «Roter Bären» in der Ochsengasse mit 14 Gault-Millau-Punkten. Madeleine Griede, Geschäftsführerin und Mitinhaberin, erzählt mir, dass sie kein Problem mit den Prostituierten vor ihrer Tür habe und die Markierungen recht gut funktionierten. Ein Problem hat sie hingegen mit den nächtlichen Geschehnissen am nahegelegenen Claraplatz. Besonders in den frühen Morgenstunden stünden dort allerlei Männer, die Versuche unternähmen, Drogen an Passanten zu verkaufen. Für Frauen, die zu diesen Zeiten dort vorbeispazieren würden, könne es äusserst ungemütlich werden.

Für Prostituierte gibt es in Basel zwei Institutionen, die sich ihrer Probleme annehmen: einerseits die Fachstelle für Frauen im Sexgewerbe an der Ochsengasse, Aliena, andererseits die Heilsarmee neben dem Bahnhof.

Vlatka Krippner ist die Leiterin dieser Basler Beratungsstelle der Heilsarmee, die sich um Sexarbeiterinnen kümmert, und hat engen Kontakt mit den Frauen, die auf der Weber- und Ochsengasse ihre Dienste anbieten. «Bei uns in der Heilsarmee geht es um den Menschen als Ganzes, um seine Seele oder Psyche, um seine alltäglichen Sorgen, praktische oder administrative Probleme, besonders auch für Frauen, die kein Deutsch lesen und schreiben können.» Das Motto der Heilsarmee laute «Suppe, Seife und Seelenheil», erklärt mir Krippner.

Die Förderung dieses Seelenheils führt manchmal zur Einschaltung weltlicher Behörden. Zweimal hat Krippner Frauen, die durch Menschenhandel ins Sexgewerbe gezwungen wurden, dazu ermutigt, sich an die Polizei oder an Organisationen zu wenden, die sich mit diesem Problem befassen. Ohne die Hilfe von Institutionen wie der Heilsarmee würden Prostituierte sich wie Aussätzige der Gesellschaft fühlen, sagt Krippner.

Ich frage sie, ob die neuen Markierungen in der Toleranzzone dazu geführt hätten, dass sich Prostituierte innerhalb derselben aufhalten und nicht darüber hinausschreiten würden. «Ich muss ehrlich sagen, ich habe keinen Unterschied gemerkt», sagt sie, «und Klientinnen haben auch nichts darüber gesagt. Im Milieu hat sich auf jeden Fall nichts geändert.»

Roest vom Justiz- und Sicherheitsdepartement sieht bei der Frage, ob die Markierungen der Toleranzzone gewirkt hätten, «im Grossen und Ganzen eine Verbesserung». Obwohl die markierte Toleranzzone eine «gewisse Entspannung» verursacht habe, gebe es immer noch ein paar wenige Strassenprostituierte, die sich nicht an die Regeln hielten. Gleichzeitig, so Roest, dürfe man nicht leichtfertig neue Gesetze und Regeln bezüglich Sexgewerbe einführen, da dies «die in der Gesellschaft ökonomisch und sozial Schlechtgestellten schädigt».

Prostituierte auf Inlineskates

Ich erzähle Roest von einem Artikel in der britischen Zeitung «The Sun» aus dem Jahr 2016. Der Autor behauptete, Prostituierte seien in Basel auf Rollschuhen unterwegs, um Polizeikontrollen schnell entgehen zu können. Die Basler Polizei habe als Reaktion darauf die Anzahl Polizisten auf Motorrädern im Rotlichtmilieu erhöht, um den davonfahrenden Prostituierten hinterherjagen zu können. «Das hört sich nach Fake News an», schmunzelt Roest.

Doch in einem Artikel von «20 Minuten» von 2004 wird der Fahndungsdienst vom Basler Polizeiposten Clara mit der Aussage zitiert: «Wir haben derzeit vier Drogenprostituierte, die auf Inlineskates unterwegs sind.» Eine Prostituierte erklärte «20 Minuten» sogar den Grund für die Inlineskates: «Man kann den Polizeipatrouillen schneller entwischen, und wenn man einen Freier beklaut hat, ist man auf und davon.»

Auf Anfrage des «Schweizer Monats» bestätigt Adrian Plachesi, Leiter der Abteilung Kommunikation der Kantonspolizei Basel-Stadt: «Vor 20 Jahren gab es wohl entsprechende Einzelfälle.» Auf Inlineskates flüchtende Prostituierte seien aber seit Langem kein Problem mehr für die Kantonspolizei.

Hat die Basler Toleranzzone etwas gebracht? Die ungarische Prostituierte Clara scheint eine positive Sicht darauf zu haben. Sie spricht kaum Deutsch, und wir beide kommunizieren über das Übersetzungsprogramm Deepl. Sie mustert mich mit Skepsis, spricht nur wenig und hält ihre Antworten kurz – offenbar bezweifelt sie, dass ich ein Journalist bin. Ihr Fazit: «Ich bin seit fünf Jahren in der Schweiz und finde die Toleranzzone nicht schlecht.»

Offenbar kann man sich als Prostituierte in der Toleranzzone wohl fühlen. Das eigentliche Problem scheint in Kleinbasel nahe am Claraplatz zu liegen, wo die Gesetzeshüter mit dem Vorwurf konfrontiert sind, offen praktizierte Kriminalität zuzulassen. Die Bewohner des Quartiers jedenfalls starteten eine Petition namens «Kleinbasel: Unser Quartier dealerfrei!», weil die Behörden nichts dagegen unternähmen. Die Petition reklamiert, dass Frauen «belästigt», Kinder «verunsichert» und «auf dem Schulweg bestohlen» würden. Gar «Streit und Aggressionen – auch zwischen einzelnen Dealerbanden – mitten in unserem Wohnumfeld» seien «alltäglich geworden». Diese Probleme kann keine grüne Zeichnung in der Toleranzzone beheben.

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