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«Wir gehen definitiv in Richtung Kreditblase – zu einem Crash wird es aber nur kommen, wenn niemand ihn erwartet»
Oswald Grübel sorgt sich um den Finanzplatz Schweiz. Bild: Akchayan Sivakumar.

«Wir gehen definitiv in Richtung Kreditblase – zu einem Crash wird es aber nur kommen, wenn niemand ihn erwartet»

Findet Deutschland nicht bald zu alter Wirtschaftsstärke zurück, drohen politische Verwerfungen, warnt Ex-UBS-Manager Oswald Grübel. Die massive Ausweitung der Geldmenge hat ein gefährliches Spiel mit immer grösseren Risiken entfacht.

Wie peinlich ist das denn: Termin bei Bankenlegende Oswald Grübel in seinem Zürcher Büro. Pünktlich stehe ich vor dem Hochhaus, doch wie sich rausstellt, als ich ihn anrufe, habe ich mich im Turm geirrt und stehe vor einem immerhin zum Verwechseln ähnlich aussehenden Gebäude ganz in der Nähe. «Na, dann legen Sie mal den militärischen Stechschritt ein und kommen hierher», raunt es durch den Hörer. Das Interview beginnt mit 15 Minuten Verspätung und einem gut gelaunten Oswald Grübel.

Oswald Grübel, die Verschuldung der allermeisten Staaten kennt nur eine Richtung: nach oben. Ab wann wird es gefährlich?
Es gibt keine allgemeinen Regeln. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Zudem ist es noch bei jedem Land anders. Gefährlich wird es, wenn die Schulden nicht in der eigenen Währung sind. Dann geben die Gläubiger die Bedingungen vor und man begibt sich in Abhängigkeiten. Aber solange sich ein Staat in der eigenen Währung verschuldet, kann die Verschuldung lange steigen. Das Problem: Die Währung wird abwerten, sofern mit der Verschuldung kein überproportionales Wachstum erreicht werden kann.

«Solange sich ein Staat in der eigenen Währung verschuldet, kann die Verschuldung lange steigen.»

Wo wird es aktuell problematisch?
Japan hat eine Verschuldung von rund 222 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), weil es bei wenig Wachstum viel Geld für seine alternde Gesellschaft ausgibt. Für Japan war das bis anhin nicht beunruhigend. Man konnte die hohe Verschuldung in der eigenen Währung tolerieren – auch weil das Land hohe Auslandvermögen hat. Allerdings hat sich der Wert des Yen gegenüber dem Dollar in den letzten 15 Jahren halbiert.

 

Viele sind zurzeit beunruhigt über den hohen Schuldenstand der USA. Sie auch?
Nein. Amerika wird nicht pleitegehen. Doch der Dollar wird weiter abwerten, weil die hohen Schulden die Währung schwächen. Und solange der Dollar schwächelt, werden die Aktienkurse und Sachwerte aller Art in den USA weiter steigen. Das ist die logische Konsequenz. Und das kann noch lange so weitergehen.

 

Wie lange?
Für Staaten, die viel Schulden machen, ist wichtig, dass sie nicht abhängig von Fremdwährungen sind. Wir haben das wunderbare Beispiel Italien: Vor dem Euro war das Land zu 130 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Lira verschuldet, die Italiener kauften ihre eigenen Staatsanleihen. Durch den für Italien extrem günstigen Wechselkurs in den Euro fiel die Verschuldung kurz auf 100 Prozent des BIP. Heute ist die Verschuldung in Euro wieder auf 137 Prozent gestiegen. Die Italiener haben sich gesagt: «Wunderbar. Jetzt kaufen Anleger aus ganz Europa unsere Schulden, und wir können unser Geld in Sachwerte investieren.»

 

Die Einführung des Euro hat zu einer gewaltigen Ausweitung der Schulden geführt.
Richtig. Weil alle wussten, dass im Notfall EU und EZB zu Hilfe eilen, nahm die wundersame Schuldenmacherei ihren Lauf. Natürlich war das vorhersehbar und man hat ja genau deswegen die Maastrichtkriterien definiert. Doch Spanien, Italien, Frankreich haben nie Anstalten gemacht, diese einzuhalten. Am Schluss hat sich nur noch Deutschland daran gehalten. Aber die sind jetzt auch ins Lager der Defizitsünder gewechselt (lacht). Hätte man sich strikt an die Maastrichtkriterien gehalten, wäre der Euro wohl eher bei einem Kurs von 1.60 Franken und nicht bei 93 Rappen. Und die Griechenlandkrise hätte es auch nie gegeben. Sich nicht an die Maastrichtkriterien zu halten, war ein kapitaler Fehler und eine Einladung zum Schuldenmachen. Nun wird man sagen, dann hätte es auch weniger Wachstum gegeben. Vielleicht, aber es wäre nachhaltiger gewesen.

«Hätte man sich strikt an die Maastrichtkriterien gehalten, wäre der Euro wohl eher bei einem Kurs von 1.60 Franken und nicht bei 93 Rappen. Und die Griechenlandkrise hätte es auch nie gegeben.»

Bei allem Schulden-Bashing, das Geldverleihen an Private, Unternehmen und Staaten ist seit jeher Kerngeschäft von Banken. Gibt es so etwas wie gute und schlechte Schulden?
Gegen Schulden in einem verantwortungsvollen Ausmass, die Assets kreieren und zu einem idealerweise überproportionalen Wachstum führen, ist nichts einzuwenden. Doch in den Budgets von sozialistischen und halbsozialistischen Ländern wie Spanien und Deutschland dominieren die Sozialausgaben – und die sind nicht primär wachstumsfördernd. Ein Teil der Staatsschulden fliesst auch in eine teure und fehlerhafte Migrationspolitik. Auch das ist eine Hochrisikostrategie.

 

Wie schauen Sie derzeit auf Frankreich?
Die Verschuldung ist die Folge politischer Unfähigkeit. Wollen Sie in Frankreich zwei Feiertage streichen, haben Sie einen Aufstand. Es wäre schade, wenn Frankreich den Weg Argentiniens gehen müsste, bevor es sich anders besinnt.

 

Muss man Frankreich abschreiben?
Ich gehöre nicht zu denen, die Frankreich abschreiben oder unterschätzen. Wer weiss, was unter einer neuen Führung noch geschieht. Doch mit der Macron-Regierung wird nicht viel passieren.

 

Sie rechnen also nicht mit einer neuen Eurokrise, ausgelöst durch Frankreich?
Nein. Das Problem ist die ungleiche Verschuldung in Europa. Solange Deutschland ein gutes Kreditrating hat, färbt das auch auf andere Euroländer ab. Doch nun gehen auch die Deutschen auf die 100-Prozent-Verschuldungsmarke zu. Strauchelt Deutschland, wird der Euro schwächer, und die Verschuldung wird weiter zunehmen. Findet Deutschland nicht bald wieder zurück zu alter Wirtschaftsstärke, sodass es den Grossteil der EU finanzieren kann, stehen uns grosse politische Verwerfungen bevor.

 

Wo sehen Sie die derzeit grössten Finanzmarktrisiken?
Meiner Meinung ist die Akzeptanz von Kreditrisiko heute auf einem höheren Stand als 2008.

 

Machen Sie sich auch Gedanken zu einem möglichen grossen Systemkollaps?
Wir gehen definitiv in Richtung Kreditblase. Zu einem Crash wird es aber nur dann kommen, wenn niemand ihn erwartet. Zurzeit erwarten viele einen «Reset», somit ist der eingepreist in den Märkten. Den Boom von Kryptowährungen sehe ich in erster Linie als Misstrauensvotum gegenüber dem Establishment. Sollten wir wieder eine Vertrauenskrise wie 2008 haben, werden die Auswirkungen jedoch grösser sein.

«Den Boom von Kryptowährungen sehe ich in erster Linie als Misstrauensvotum gegenüber dem Establishment»

Warum?
Weil viel mehr Kredit ausstehend ist und die Kreditrisikoprämien gefallen sind. Auch im Aktienmarkt und den Private-Equity-Märkten haben sich die Risiken in den letzten Jahren erhöht.

 

Welche denn?
Private Equity braucht tiefe Kapitalkosten, um profitabel zu sein. Schon heute ist es nicht mehr so einfach wie vor Jahresfrist, als Private-Equity-Investor über die Börse auszusteigen. Auch ist der Nichtbankenkreditmarkt in den letzten Jahren geradezu explodiert. Und in der Pandemie sind in der westlichen Welt schätzungsweise 10 000 Milliarden Dollar ohne wirtschaftlichen Nutzen verteilt worden. Dieses Geld ist teilweise nach wie vor im Markt tätig. Wenn das Wirtschaftswachstum nicht ausreicht, um die Kredite zu bedienen, könnte das eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen. Es gibt keine planbaren Finanzkrisen, sonst würde man etwas dagegen unternehmen. Krisen gibt es nur, wenn alle überzeugt sind, dass es nur in eine Richtung gehen kann. In solchen Momenten fehlt dem Markt dann die Gegenpartei. Und dann ist Feierabend.

 

Wie stehen Sie zu Kryptowährungen?
Ich sehe die Vorteile, wie die politische Unabhängigkeit oder die Einfachheit von weltweiten Transfers, was gerade für Entwicklungsländer mit Währungsbeschränkungen oder Menschen, die in Diktaturen leben, interessant sein kann. Doch der Wert von Bitcoin liegt im Glauben an ihn. Hinter Fiatgeld steht zumindest die Wirtschaftsleistung eines Währungsraums. Auch übt die mangelnde Transparenz des Kryptomarktes auf gewisse Investoren offenbar einen Reiz aus. Ich sehe da gewisse Parallelen zur Subprime-Krise 2008. Damals haben es die Amerikaner verstanden, ihre Subprime-Bonds in Europa zu verkaufen. Auch einige Banken haben auf die falschen AAA-Ratings der Agenturen vertraut.

 

Was sind die Folgen?
Diese massive Ausweitung der Geldmenge, verstärkt durch Kredite von Versicherungen und andere Nichtbankenkredite, hat zur Folge, dass die Investoren immer grössere Risiken eingehen. Das Gesamtrisiko schaukelt sich dann bei mehr Liquidität im Markt hoch. Was zuvor als riskantes Investment angesehen wurde, erscheint plötzlich als vernünftige Anlage. Es ist auch eine menschliche Eigenheit, dass eine hochriskante Investition als weniger riskant angesehen wird, wenn viele Menschen sie tätigen. Irgendwann wird das zwangsläufig in einem Reset enden.

 

Wie kann ich mich als Investor schützen?
Ich tendiere zu Sachwerten, um mich gegen die Geldentwertung zu schützen. Dazu gehören Aktien, Edelmetalle, Immobilien und Anlagen in einer starken Währung. Die offiziell ausgewiesenen Inflationsraten sind in aller Regel sehr weit davon entfernt von dem, was Sie als Bürger spüren. Viele Preise, die nicht im Warenkorb sind, haben sich vervielfacht.

 

Wie ist es um die Schweiz und ihren Finanzplatz bestellt?
Leider nicht gut, nüchtern betrachtet. Wir haben nur noch eine Grossbank, unsere Börse leidet an chronischer Liquiditätsschwäche und die Politik scheint in der Mehrheit gegen den Finanzplatz zu sein. Wenn irgendjemand denkt, der Finanzplatz Schweiz sei in den letzten zwanzig Jahren bedeutender geworden, dann täuscht er sich gewaltig. Wir haben vieles verschlafen. Das sollten wir ändern, denn es wäre wichtig für das Land.

 

Welche Finanzzentren sind stärker geworden?
Vor allem New York und Schanghai. Singapur hat in Asien zugelegt, in Europa hat London etwas an Einfluss verloren, hat aber keine grosse Konkurrenz.

 

Wie stehen Sie zu den geplanten Verträgen zwischen der Schweiz und der EU?
Die EU-Kommission erfindet immer mehr Kompetenzen für sich, oft entgegen den Wünschen der Bürger; ich glaube nicht, dass wir durch ein Rahmenabkommen etwas gewinnen können, was die rechtlichen Einschränkungen rechtfertigt. Die Schweiz hat sich in ihrer Geschichte nie besonders gut mit fremden Richtern vertragen. Interessanterweise produzieren viele der Unternehmen, welche die Verträge befürworten, gar nicht oder nur gering in der Schweiz.

 

Hat eine EU-Annäherung Auswirkungen für den Finanzplatz?
Und wie! Man muss sich eines bewusst sein: Die Kunden bringen ihr Geld nicht wegen der schönen Landschaft in die Schweiz.

 

Sondern?
Weil wir noch einigermassen neutral sind, eine direkte funktionierende Demokratie, eine gute Rechtsordnung und international tätige Banken haben.

 

Was würde bei einer Annahme des Vertragspakets konkret geschehen?
Vertrauen in die Schweiz ginge verloren. Es gäbe dann weniger Gründe, sein Vermögen in der Schweiz verwalten zu lassen. Je näher wir an die EU andocken, desto schlechter für den Finanzplatz. Es erstaunt mich immer wieder, wie wenig die Schweizer Politik sich der Bedeutung des Finanzplatzes bewusst ist.

 

Wie profitiert die Schweiz vom Finanzplatz?

Schweizer Firmen und Bürger haben jahrzehntelang tiefere Zinssätze als das Ausland gehabt, als direkte Folge der vielen in der Schweiz verwalteten Auslandgelder und der resultierenden Liquidität. Die Wirtschaft hat enorm von tieferen Kapitalkosten profitiert. Auch deswegen konnte sie sich so vorzüglich aufbauen. Ein Nein zu den EU-Verträgen ist ein Ja zu einem gestärkten Finanzplatz Schweiz.

 

Wäre eine Verlegung des UBS-Hauptsitzes in die USA schlimm für die Schweiz oder in der nächsten Krise gar ein Vorteil?
Es wäre eine Katastrophe für den Finanzplatz und meiner Meinung nach auch schlecht für die UBS. Insofern kommt das nicht in Frage, ist aber eine nette Diskussion für die Medien.

 

Zum Thema «Investieren im Alter» haben Sie gesagt, man werde zum Daytrader. Haben Sie heute schon getradet?
Nein, das war zynisch gemeint. In meinem Alter wissen Sie nie, ob Sie morgen noch leben. Mein Anlagehorizont wird immer kürzer (lacht).

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Oswald Grübel sorgt sich um den Finanzplatz Schweiz. Bild: Akchayan Sivakumar.
«Wir gehen definitiv in Richtung Kreditblase – zu einem Crash wird es aber nur kommen, wenn niemand ihn erwartet»

Findet Deutschland nicht bald zu alter Wirtschaftsstärke zurück, drohen politische Verwerfungen, warnt Ex-UBS-Manager Oswald Grübel. Die massive Ausweitung der Geldmenge hat ein gefährliches Spiel mit immer grösseren Risiken entfacht.

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