Waffe her oder Psychiater zahlen
Die Polizei möchte mir meine Waffen abnehmen.
Nicht, weil ich erwiesenermassen eine Gefahr darstelle,
sondern wegen meiner libertären Gesinnung.
«Herr Bubendorf, wie können Sie uns garantieren, dass Sie Ihre Waffen niemals gegen die Behörden einsetzen werden?» Ich blinzelte den Polizisten gegenüber ungläubig an. «Herr Obrenz*», antwortete ich, «es ist nicht möglich, eine zukünftige Unschuld zu beweisen.»
Ich wähnte mich im falschen Film: um genau zu sein, im Film «Minority Report». Darin verhindert die Polizei Verbrechen, bevor sie begangen werden. Und doch sass ich hier in der Realität auf dem Polizeiposten und wurde eines «Precrimes» verdächtigt.
Ein Antrag als Auslöser
Schiessen gehört seit meiner Jugend zu meinen Hobbys. Ich war Jungschütze, trug später stolz das Scharfschützenabzeichen an meiner Militäruniform und übte mit Tontauben. Als ich kürzlich erfuhr, dass in meinem Nachbarort ein grosser Schiesskeller für taktische Schützen eröffnet werde, beschloss ich, mir ein Sturmgewehr anzuschaffen. Da ich bereits einige Feuerwaffen besitze, kannte ich den Prozess und stellte bei der zuständigen Behörde den dafür geforderten Antrag auf einen Waffenerwerbsschein. Ein unkomplizierter Amtsakt, der bisher schnell und zuverlässig erledigt wurde. Doch dieses Mal kam es anders; ich wurde zum Gespräch vorgeladen.
Wachtmeister Obrenz von der Fachstelle Waffen und Sprengstoff ist die Angelegenheit sichtlich unangenehm. Ein «Seich» sei das alles, ein richtiger «Scheissfall», sagt er. Meine Akte kennt er gut; er weiss, dass ich immer friedlich gelebt habe und in meinen Texten und Auftritten betont habe, dass auch politische Auseinandersetzungen friedlich geführt werden sollen. Das Video, in dem ich Gewalt gegen Polizisten verurteile, ist auf YouTube öffentlich abrufbar. Meine kriminelle Karriere beschränkt sich auf kleinere Ordnungsbussen, mein Vorstrafenregister ist und war immer schon leer, ja ich habe noch nicht einmal auf Bilder von Maria und Jesus gefeuert. Abhängigkeiten von Substanzen hatte ich nie, dafür bis heute eine wunderbare Familie sowie eine Firma, die zehn Mitarbeitern ein Auskommen bietet und einen Lernenden zum Kaufmann ausbildet.
«Meine kriminelle Karriere beschränkt sich auf kleinere Ordnungsbussen, mein Vorstrafenregister ist und war immer schon leer, ja ich habe noch nicht einmal auf Bilder von Maria und Jesus gefeuert. »
Herr Obrenz weiss das alles, die Vorbehalte gegen meine Waffenfähigkeit, sagt er, kämen auch gar nicht von ihm. Das Kantonale Bedrohungsmanagement habe Alarm geschlagen. «Wegen Ihrer Gesinnung. Dieses neue libertäre Gedankengut, das müssen Sie verstehen, das macht uns bei den Behörden Angst.»
Und so wechseln wir vom «Minority Report» zu «1984» und ich muss mich gegen orwellsche «Thoughtcrimes» verteidigen. Ich erkläre Herrn Obrenz geduldig, dass libertäre Gedanken keineswegs neu seien, zitiere Nietzsches «Also sprach Zarathustra» aus dem Jahr 1885, verweise auf Ludwig von Mises, Murray Rothbard, doch umsonst – was ich tun soll, stand schon vor dem Gespräch fest: Ich soll mir kein Sturmgewehr kaufen dürfen und die Waffen, die ich bereits besitze, soll ich der Polizei abgeben. Die einzige Möglichkeit, dieses Verdikt zu verhindern, sei ein Gang zum Psychiater. Bescheinigt dieser nicht meine «Waffenfähigkeit», soll ich in der Schweiz nie wieder eine Waffe berühren.
Waffenfähigkeit gegen 3500 Franken
Meine libertäre Überzeugung speist sich aus einer tiefen Aversion gegen Zwang und Gewalt. Ironischerweise ist es diese Friedfertigkeit, die mich jetzt zum Psychiater führen soll. Ich versuche es sportlich zu nehmen: «Das Gespräch mit dem Psychiater fände ich interessant», sage ich zu Herrn Obrenz. «Das kostet ungefähr 3500 Franken», antwortet dieser. Bezahlen soll ich diese erstaunlich hohe Summe auf jeden Fall selbst. Obrenz entlässt mich mit den Worten: «Bis Freitag müssen Sie sich entscheiden.»
«Meine libertäre Überzeugung speist sich aus einer tiefen Aversion gegen Zwang und Gewalt. Ironischerweise ist es diese Friedfertigkeit, die mich jetzt zum Psychiater führen soll.»
Was tun? Die Buchvorlage zu «Minority Report», erinnere ich mich, endet für die Behörden im Desaster. Der Polizist begeht den Mord, den das Precrime-System vorhersagt, gegen seinen Willen. Er tut es, damit das System rechtbehält und weiterbesteht. Was Unrecht verhindern sollte, führte das Verbrechen in einer selbsterfüllenden Prophezeiung herbei. Eine schöne Parabel auf den Staat, der bei uns zum Glück von solchen Schreckensvisionen noch weit entfernt scheint.
Das geforderte Verständnis dafür, dass mein friedliches Engagement Angst mache, kann ich trotzdem nicht aufbringen. Könnte vielleicht ein Psychiater den Behörden beim Umgang mit ihren irrationalen Ängsten helfen?
* Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert