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Nacht des Monats mit Luzia von Wyl

Nacht des Monats mit Luzia von Wyl
Luzia von Wyl, photographiert von Michael Wiederstein.

Es knackt, es raschelt, es klingt. Dann klopft es: hier ein Bing, da ein Bong, unterlegt von Lauten eines alten Minikeyboards, das Ton für Ton die Oktave abwärts dröhnt. Derweil drehen sich Rädchen, bewegen sich Strippen, hauen Hämmerchen auf Becken und Sperrmüll. Wer sich anstrengt, vermag beim Laufen dieser «Ton-Mischmaschine» eine Art Harmonie herauszuhören. Wer sich nicht anstrengt, bleibt «Pop» und staunt immerhin ob der drei Meter hohen Kombination aus buntem Schrott, Motion und Gerappel. Vor der «Méta-Harmonie II» im Basler Tinguelymuseum steht Luzia von Wyl. Und zählt, langsam hin und her gehend, die in die Maschine verbauten Instrumente. Sie stockt einzig bei der Frage, ob ein umgedrehter Kochtopf wohl als Instrument durchgeht. Die rotblonde Komponistin und Pianistin begutachtet den Plastik-Donald, der hin und wieder auf die Tasten eines integrierten Klaviers hinabschnellt. Dann: ein finales Klack, und die Maschine steht still. Für einige Minuten kann sie niemand einschalten, hat Pause. Die Ruhe nutzt Luzia, um mir zu erzählen, wie ihr im Alter von drei Jahren ein hinabsausender Pianodeckel beinahe die Finger zermalmte. Es hat ihrem Enthusiasmus und ihren Fähigkeiten keinen Abbruch getan.

Luzia lebt in Luzern, hat mich wegen diesen Kunstwerken nach Basel zitiert: vor allem jene, die Töne produzieren, wenn man sie anwirft, sind Luzias Lieblinge. Nicht wegen des reinen Schau- und Hörwerts. Auch, weil Jean Tinguely ihrer Vermutung nach denselben Arbeitsmodus hatte wie sie selbst, wenn sie komponiert. «Ich habe immer ein Notizbuch dabei. Wenn ich unterwegs bin – sei das während einer Fahrt im Zug, während eines Spaziergangs im New Yorker Central Park oder sonstwo –, notiere ich Ideen oder singe sie in mein iPhone.» Ihr fallen rhythmische Muster auf, sagt sie, als sich um uns herum plötzlich alte Karussellpferde bewegen und ein Metallarm einen Vorhang hin und her zieht. Musikalische Motive oder Strukturen konkretisiert sie im knirschend-durchgeplanten Chaos, das uns umgibt, seit jemand «den Knopf» gedrückt hat. Irgendwo piepst es jetzt auch noch, nein, es ist ein Quietschen, irgendwo fehlt Öl. «…und dann, zuhause oder bei Proben, verwende ich sie für meine Stücke. Aus einer Idee entwickle ich nach und nach die Komposition.» Tinguely, reime ich mir zusammen, habe sich beim Komponieren seiner Maschinen auch nicht am zukünftigen, «fertigen» Kunstwerk orientiert, sondern Vorgefundenes zusammengebaut, bis aus vielen Einzelteilen ein Zusammenspiel wurde. Die «Grosse Méta Maxi-Maxi Utopia», auf der wir grad sitzen, ist so eins. Mit einem Ächzen kommt der monströse Krachschläger zur Ruhe. «…Ideen habe ich viele. Sie aber zu einem Gebilde zu verarbeiten, ist der schwierigste Teil des Prozesses.»

Geschriebene Stücke spielen sich, auch nachdem man sie mühsam zusammengesetzt und an ihnen tagelang herumgefeilt hat – und also im Gegensatz zu den einmal angeworfenen Tonmaschinen Tinguelys –, nicht von selbst. Luzia hat deshalb Musiker aus der ganzen Schweiz um sich versammelt, die weder quietschen, tröten noch rasseln, sondern miteinander harmonieren. Obwohl: «Quietschen müssen die Musiker manchmal auch», sagt Luzia. Wie damals Duke Ellington schreibt sie den Musikern, die nicht nur in der Schweiz, sondern darüber hinaus bekannte Namen sind, ihre Kompositionen «auf den Leib». Mit ihrem «Luzia von Wyl Ensemble» tourt sie derzeit durch die Schweiz, spielt in Jazzclubs, an Orten für Neue Musik oder auch mal in einem Museum oder in einer alten Laborhalle. Bisher haben sich sämtliche Kritiker an der Beschreibung ihres Stils die Zähne ausgebissen. Irgendwas zwischen Jazz und Klassik, heisst es, wenn nichts mehr hilft. «Impro!» würde ich noch ergänzen, sage ich. Luzia findet die Bezeichnung sekundär: «Das Publikum für Musik, die nicht schubladisierbar ist, ist ja da», sagt sie, als wir im zweiten Stock einen Dok-Film schauen, der Jean bei der Sprengung eines Kunstwerks zeigt. Träume, denke ich, erfüllen sich nicht von selbst. Auch dann nicht, wenn man sein Leben damit bestreitet, Schrott in Lego-Technik-Manier zusammenzubauen, hüpfende Wasserspeier zusammenzuschweissen – um dann alles wieder in die Luft zu jagen. Nun, auch hier endet die Tinguely-Analogie nicht – aber: die Besuchszeit des Museums. Gong!

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