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INTRO

«Ich weiss, dass ich nicht weiss.» – Sokrates

In der aktuellen Debatte um sogenannte Fake News ist es so gekommen, wie es leider oft kommt: Politiker fordern ein Verbot, und zwar von Falschmeldungen in den Medien. Wer nachweislich Unfug verbreitet, soll bestraft werden. Das ist ärgerlich, denn es geht völlig am Punkt vorbei. Beim – unglücklich gewählten – Begriff «Fake News» geht es nicht um faktische Fehler in der Berichterstattung. Es geht nicht darum, dass Journalisten nicht «die Wahrheit» schreiben. Schon der Anspruch ist völlig verfehlt: Eine objektive Wahrheit kann es nie geben.

«Fake News» verweist auf ein viel grundsätzlicheres Problem: auf eine Kultur, die jenen kritischen Umgang mit Wissen ablehnt, für den Aufklärer seit der Antike kämpfen. Die Überzeugung, dass niemand «die Wahrheit» kennt – dass es sich aber lohnt, fortwährend danach zu suchen. Und dass es dafür anerkannte Werkzeuge gibt: der Blick auf eine Frage aus verschiedenen Perspektiven, die Unterscheidung zwischen überprüfbaren Fakten und Interpretation, das Zugeständnis, wenn man etwas (noch) nicht weiss oder falsch lag. Es ist eine Haltung, die idealerweise die Wissenschaft prägt und in abgeschwächter Form auch den Journalismus. Abgeschwächt darum, weil Journalismus nicht nur Aufklärung, sondern auch Kunst und Unterhaltung ist.

Es gibt Medien, die in diesem Geist arbeiten. Sie sind nicht neutral und nicht objektiv. Sie sind möglicherweise gar einer politischen Grundhaltung verpflichtet, die nicht immer offen deklariert ist. Sie mögen unhöflich, extrem, boulevardesk oder satirisch sein. Aber sie anerkennen, dass es so etwas wie überprüfbare Fakten gibt. Ich lese beispielsweise «The New Yorker», «The Economist», FAZ, NZZ, «brand eins», WOZ und «Titanic» – sowie das Lifestylemagazin «Fantastic Man», ein Geburtstagsgeschenk. So unterschiedlich diese Medien sind, eines haben sie gemeinsam: ihre Redaktionen behaupten nicht, über jeden Zweifel erhaben zu sein, sie gestehen faktische Fehler ein, wenn sie sie gemacht haben – und sie korrigieren und ergänzen sich ständig untereinander. Hier liegt der Kern der «Fake News»-Kultur: Ihre Akteure halten überprüfbare Fakten mindestens für irrelevant oder gar gleich für inexistent. Ein typisches Beispiel ist Trump-Beraterin Kellyanne Conway, die eine Terrorattacke erfand, das «Bowling Green Massacre», das es nie gab – einfach, weil es ihr gerade in die Propaganda passte. Sie liess diese Falschaussage selbst dann stehen, als sie von einem gut vorbereiteten Kollegen vor laufender Kamera gegrillt wurde. Oder Newt Gingrich: nachdem Journalisten ihm mehrere offizielle Kriminalitätsstatistiken vorgelegt hatten, zuckte er mit den Schultern – diese spielten keine Rolle, denn für die Menschen fühle es sich nicht so an.

Einer solchen Haltung begegnet man nicht mit einem Verbot von «falschen» Schlagzeilen. Der vorerst vielversprechendste Weg ist es, seriöse Medien zu unterstützen, die Propaganda mit Fakten kontern – und zwar unabhängig davon, ob gerade Obama oder Trump im Weissen Haus sitzt. Man sollte es sich etwas kosten lassen, die eigene Komfortzone regelmässig und von vielen verschiedenen Seiten erschüttern zu lassen.  Denn vergessen wir nicht: Informationsmärkte sind so unüberschaubar gross, dass ein einzelner niemals in der Lage sein kann, sie zu überblicken. Je mehr ich zu wissen glaube, desto öfter stelle ich dann fest, dass ich eben doch nicht weiss, nicht wissen kann. Wem die resultierende Ungewissheit Unbehagen bereitet, der findet vielleicht eher Gefallen an den grossen Ideologien, die das entstehende Vakuum nur zu gern mit einfachen Rezepten füllen. Liberale aber fahren gut damit, sich nicht einlullen, sondern herausfordern zu lassen, um so in kleinen Schritten der «Wahrheit» immerhin näher zu kommen – und damit jeden Tag, jede Woche oder jeden Monat weniger anfällig für Fake News zu werden.

 


Michael Wiederstein
Chefredaktor

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