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Heimtückischer Protektionsmus

Anmerkungen zum «fairen» Wettbewerb der EU

Auch die Welt der Steuern ist voller Mythen. Es gibt einen,

der sich besonders hartnäckig hält, wenn es um die

Vereinheitlichung von Steuerregeln geht: in Anlehnung an

einen Grundsatz, der die freie Marktwirtschaft erleichtern

soll, sprechen Politiker jeweils von einem Wettbewerb nach

«fairen» Spielregeln. Die auf einem Markt tätigen Unternehmen

sollen alle von den gleichen Produktionsbedingungen,

von «gleich langen Spiessen» profi tieren. Das ist eines der

Kernargumente zur Vereinheitlichung der Steuersysteme in

der Europäischen Union.

So gehört die sogenannte «gemeinsame konsolidierte

Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage» zu den mit

grösster Inbrunst durch die EU-Kommission vorangetriebenen

Initiativen. 2008 soll ein entsprechendes legislatives

Projekt vorgestellt werden. Der EU-Steuerkommissar László

Kovács, ein ehemaliger kommunistischer Apparatschik

aus Ungarn (und heutiger Vizepräsident der Sozialistischen

Internationalen), beharrt darauf, dass «steuerliche Hindernisse

» durch einen einheitlichen Ansatz zu beseitigen seien.

Diese Begründung folgt, recht bedacht, dem oberfl ächlichen

Reiz der Planwirtschaft. So wie die sozialistische Planung

die kostspieligen Doppelspurigkeiten hätte beseitigen

sollen, die durch den Wettbewerb angeblich entstehen, ist

es der erklärte Zweck der gemeinsamen Steuerbemessungsgrundlage,

die bei der Einhaltung der Bestimmungen von

27 verschiedenen EU-Steuerhoheiten anfallenden Kosten

einzusparen. In beiden Fällen werden die Vorzüge der Zentralisierung

überzeichnet und die Vorzüge des Wettbewerbs

unterschätzt.

Es ist klar, dass eine vereinheitlichte Bemessungsgrundlage

das Einfallstor für hohe Mindeststeuersätze ist. Der deutsche

Finanzminister Peer Steinbrück ruft bereits nach einem

EU-Mindestsatz von 30 Prozent für Unternehmensgewinne.

Deutschland war ebenfalls die Triebkraft hinter der Vereinheitlichung

der Mehrwertsteuer. Während anfangs «nur»

die Bemessungsgrundlage zentralisiert wurde, ist heute der

Mindestsatz doppelt so hoch wie in der Schweiz.

Die Vorteile des Wettbewerbs beruhen gerade auf der

Unterschiedlichkeit der Produzenten und deren Produktionsbedingungen

– dies um so mehr, wenn der Wettbewerb

infolge der Liberalisierung der Märkte auf das europäische

oder weltweite Niveau ausgedehnt wird. Es ist die Aufgabe

des Unternehmers, die gesamten Gegebenheiten, steuerliche

inbegriff en, ebenso wie seine eigenen Kapazitäten

bestmöglich zu nutzen, um gegenüber den anderen wettbewerbsfähig

zu sein.

Die Besteuerung ist letztlich nichts anderes als ein einzelner

Faktor unter den gesamten Produktionskosten. Würde

man der Logik eines «fairen Wettbewerbs» folgen, wäre es

auch notwendig, eine grosse Zahl anderer Ungleichheiten

zu vereinheitlichen und auszugleichen. Diese Inkonsequenz

der EU-Kommission wurde vom Ökonomen Pascal Salin

durch Verweis auf den «unfairen» Wettbewerbsvorteil spanischer

Tomatenproduzenten treff end ins Lächerliche gezogen.

Die spanischen Produzenten profi tieren im Gegensatz

zu den holländischen von einer viel längeren kostenlosen

Sonneneinstrahlung. Gemäss der Logik des «fairen Wettbewerbs

» der EU müssten die Spanier nun dazu gezwungen

werden, Abdeckungen auf ihre Tomatenkulturen zu legen,

um ihre Bedingungen mit denen ihrer nördlichen Konkurrenten

gleichzuschalten.

In der real existierenden Welt kommt es natürlich niemals

vor, dass Unternehmer sich mit den genau gleichen

Produktionskosten konfrontiert sehen. Und daran ist auch

nichts auszusetzen. So haben, um im Beispiel zu bleiben,

holländische Tomatenproduzenten innovative Produktionsverfahren

entwickelt, um mit den südeuropäischen Bauern

mithalten zu können. Nebenbei bemerkt: ohne diese Vielfalt

der menschlichen Intelligenz gäbe es keine Notwendigkeit

von Märkten, da alle die gleichen Dinge tun würden. Und

umgekehrt sind es die Märkte, die technische Innovation,

Diff erenzierung, Spezialisierung und Arbeitsteilung fördern.

Klar stellen die lokalen und nationalen Steuerpraktiken

eine grosse Anzahl an Verzerrungen und Diskriminierungen

für die Unternehmen dar. Die progressive Besteuerung

bestraft beispielsweise die Leistungsbereitschaft und den

Erfolg. Die Besteuerung des Vermögens und des Kapitals

verzögert deren Akkumulation und bremst die Produktion

von Gütern, die den Bedürfnissen der Konsumenten besser

und auf kostengünstigere Weise entsprächen.

All diese Konsequenzen sind der Besteuerung als solcher

inhärent. Eine Vereinheitlichung würde nichts anderes bewirken

als eine Verstärkung dieser schädlichen Folgen. Genau

diesen Umstand versuchen die Politiker mit ihrer Rede

vom «fairen Wettbewerb» zu verschleiern. Ihnen scheint es

eher darum zu gehen, die Kosten der Unternehmen in anderen

Ländern zu erhöhen, um diese weniger wettbewerbsfähig

zu machen, als darum, die lokalen oder nationalen

Steuergesetzgebungen attraktiver zu gestalten. Der «faire

Wettbewerb», wie er von der EU im Rahmen der Steuervereinheitlichung

angestrebt wird, ist nichts anderes als eine

besonders heimtückische Form des Protektionismus.

PIERRE BESSARD, geboren 1975, ist Direktor des Institut Constant

de Rebecque in Lausanne.

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