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Fiesta

In diesem Augenblick stürmt die Herde vorbei. Die Renngasse ist voller Menschen. Stiere und Ochsen verschwinden fast in der Menge. Ohrenbetäubend ist der Lärm, Geschrei und Gejohle erfüllen die enge Schlucht, von den Rängen rundum feuern zahllose Zuschauer die Läufer an. Die Nacht über haben sie gewartet, in den Strassen, den Kneipen und Wohnungen, auf […]

In diesem Augenblick stürmt die Herde vorbei. Die Renngasse ist voller Menschen. Stiere und Ochsen verschwinden fast in der Menge. Ohrenbetäubend ist der Lärm, Geschrei und Gejohle erfüllen die enge Schlucht, von den Rängen rundum feuern zahllose Zuschauer die Läufer an. Die Nacht über haben sie gewartet, in den Strassen, den Kneipen und Wohnungen, auf den Balkons hoch über dem Abgrund. Dann hörten sie den Raketenknall, kurz darauf biegt der Pulk in die Gasse ein, die Stiere haben die Vorläufer bereits eingeholt, Jubelrufe, die Spannung entlädt sich.

Nur 825 Meter lang ist die Strecke bis zur Arena, kaum drei Minuten dauert der Stierlauf in Pamplonas Altstadt. Obwohl sich das Ereignis in der Festwoche allmorgendlich wiederholt, versiegt die Begeisterung nicht. Täglich vermehrt sich die Masse. Hunderttausende strömen herbei, um das Spektakel mitzuerleben.

Hoch oben auf den bezahlten Logenplätzen sind die Schaulustigen in Sicherheit. Unten auf der Strasse laufen Tausende hinter, neben und vor den Tieren her. Mutige suchen die Gefahr, wagen sich direkt vor Hufe und Hörner, um dann mit einer behenden Wendung auszuweichen. Oder sie spielen Stehaufmännchen und reizen die Tiere mit der einzigen Waffe, die ihnen erlaubt ist, der eingerollten Tageszeitung. Einheimische haben häufig für den Stierlauf trainiert, Zugereiste stürzen sich meist unvorbereitet in das Getümmel. Viele suchen Rettung, indem sie sich seitlich an die Häuserwände drücken, wenige nur werfen sich zu Boden, verschränken die Arme über dem Kopf und hoffen, dass das Getrampel gleich vorüber sei. Mittlerweile mischen sich auch Frauen unter die Läufer. In dem alten Duell zwischen Mannesmut und Stiergewalt wollen sie nicht zurückstehen.

Begierig warten die Zuschauer auf den Zwischenfall, das Unglück, den Augenblick. Manchmal stürzt vor ihren Augen ein verwegener Läufer oder es reisst in dem Gewühle einen Bullen zu Boden, der sich jedoch sofort aufrichtet und seinen Feind sucht. Die Kampfstiere stammen aus den besten Zuchtfarmen, beim Sturmlauf verteidigen sie ihre Herde. Die Hatz ist nicht ungefährlich. Jedes Jahr gibt es Dutzende Verletzte, manchmal auch Tote, vor allem beim Gedränge vor der Arena. Da wird einer zwischen die Hörner genommen und umhergeschleudert, einen anderen trifft die Spitze direkt in Schulter, Brust oder Bauch. In solchen Momenten hält die Menge den Atem an. Wird der Verletzte später weggetragen, brandet Beifall auf. Das Blut beweist seinen Mut.

Das Photo zeigt nichts von der hautnahen Dramatik des Stierlaufs. Der Totalblick umfasst die gesamte Festgesellschaft. Aus allen Etagen drängt es die Menschen in die Strassenschlucht. Durch die Balkone wirkt die Gasse enger und die Menge dichter. Die vertikale Masse will selbst teilhaben. Viele Zuschauer tragen die Uniform der Fiesta, weisse Hemden und Hosen, rotes Halstuch und Gürtel. Vielleicht werden einige am nächsten Morgen selbst mitlaufen, um den Nervenkitzel im eigenen Leib zu erleben.

Eine ganze Woche ist die Gesellschaft im Ausnahmezustand. Umzüge, Jahrmärkte, Festversammlungen halten die Stimmung der Gemeinschaft aufrecht. Doch der Siedepunkt des Tumults ist die Bullenhatz. Wenn die Stiere einbrechen, scheint die Ordnung aufgehoben. Nun gilt nicht mehr die Marschordnung der Prozessionen. Die Meute schreitet nicht, sie rennt. Mit dem Knall der Rakete beginnt die heilige Zwischenzeit des Hetzens und Tötens zu gemeinsamer Hand. In diesen drei Minuten zitieren die Läufer das alte Opferfest. Sein Ende findet das Spiel mit dem Tod am Abend. In der Corrida werden die Tiere vom Matador kunstfertig getötet. Der Morgen ist dem populären Tumult vorbehalten. Hier feiert das Volk seine Missachtung des Todes mit robustem Wagemut. Der Stierlauf besiegt Natur und Gewalt.
Die abendliche Choreographie der eleganten Toreros quittieren die Läufer, die sich auf der Sonnenseite der Arena versammelt haben, häufig mit lautstarker Verachtung. Sie fiebern schon dem nächsten Morgen entgegen, wenn Tier und Mensch losgelassen werden, angefeuert vom Festgeheul der Meute.

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