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Matthias Müller, fotografiert von Daniel Jung.

Dolce Vita der Staatsangestellten

Sicherere Arbeitsplätze, höhere Löhne und weniger Wochenarbeitszeit als in der Privatwirtschaft: Stadt und Kanton Zürich lassen es sich gut gehen.

Wie viel Verwaltung soll’s denn sein? Die Antwort auf diese Frage hängt vom Staatsverständnis ab. Das klassisch liberale Ideal ist der Nachtwächterstaat, der sozialistische Traum hingegen ist der Staat als Rundumversorgungsanstalt. In der Realpolitik gilt es, Kompromisse zu finden. Doch das konfliktscheue politische System der Schweiz tendiert dazu, die Frage nach der «Verwaltungsquote» zu tabuisieren.

Meistens rütteln auch bürgerliche Politiker nicht am Besitzstand der Verwaltung und erwecken damit zumindest implizit den Eindruck, dass der staatliche Stellenetat hier und heute exakt korrekt dimensioniert sei. Ihr Ehrgeiz erschöpft sich im wesentlichen darin, das weitere Wachstum etwas bremsen zu wollen. Dass die Verwaltung auf Bundesebene riesig geworden ist, kann kaum bestritten werden: Mittlerweile arbeiten knapp 40 000 Menschen für den Bund. Doch auch bei den anderen beiden Staatsebenen ist die Entwicklung bedenklich. Herausgegriffen seien der Kanton und die Stadt Zürich.

«Meistens rütteln auch bürgerliche Politiker nicht am Besitzstand der Verwaltung und erwecken damit den Eindruck, dass der staatliche

Stellenetat hier und heute exakt korrekt dimensioniert sei.»

«Die kantonale Verwaltung ist der grösste Arbeitgeber im Kanton Zürich.» Dieser Satz steht im Statistischen Jahrbuch des Kantons Zürich 2021 auf Seite 233. Seither wird das Jahrbuch nicht mehr publiziert – pikanterweise mit der Begründung, der Bestand an Behördendaten wachse ständig (was wiederum mit dem Personalbestand korrelieren dürfte). Am Befund hat sich aber nichts geändert: 2022 hat der Kanton über 1100 neue Stellen geschaffen. Für 2023 sind sogar 1370 zusätzliche Jobs geplant. Per Ende dieses Jahres werden rund 51 000 Personen beim Kanton Zürich beschäftigt sein.

Ähnlich präsentiert sich die Lage in der Stadt Zürich: Die Verwaltung zählt heute knapp 23 000 Beschäftigte. Das Wachstum der Stadtverwaltung war in den vergangenen zehn Jahren mit 14,6 Prozent grösser als dasjenige der Bevölkerung von 12 Prozent. Der Personalaufwand stieg gar um 18,5 Prozent – von 2,5 Milliarden auf nahezu 3 Milliarden Franken jährlich. Bis Ende 2026 sind gemäss Finanz- und Aufgabenplan 2023 bis 2026 der Stadt Zürich rund 2000 neue Stellen geplant – obschon im Haushalt immer grössere Löcher klaffen.

Dass ob dieser Zahlen schnell einmal der Überblick über die tatsächliche Lage verlorengehen kann, beweist ein Lehrstück aus der Stadt Dietikon: Der betreffende Stadtrat wurde mittels Interpellation ersucht, aufzuzeigen, wie sich die Anzahl Mitarbeiter in der Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren entwickelt habe und wie dieses Stellenwachstum im Verhältnis zu möglichen Aufwandstreibern stehe. Für die Beantwortung der Interpellation – es ging im wesentlichen um eine tabellarische Übersicht für den Zeitraum zwischen 2013 und 2022 – benötigte die Verwaltung rund 40 (!) Arbeitsstunden.

Höhere Löhne für weniger Arbeitszeit

Nicht nur das staatliche Stellenwachstum ist eklatant und mittlerweile unübersichtlich geworden. Die öffentliche Verwaltung ist den privaten Arbeitgebern auch in Sachen Löhnen voraus: Der Medianlohn in der Zürcher Gesamtwirtschaft (privater und öffentlicher Sektor) beträgt 7114 Franken pro Monat, eine Hälfte der Arbeitnehmer verdient also mehr, die andere weniger. Wer jedoch beim Staat oder in einem staatsnahen Betrieb arbeitet, verdient im Mittel rund tausend Franken mehr als in der Privatwirtschaft. In der Stadt Zürich sind die Löhne für Private wie für Staatsangestellte nochmals deutlich höher, wobei auch hier die öffentliche Hand vorn liegt. In der stadtzürcherischen Privatwirtschaft verdient man (Medianwert) knapp 7900 Franken, bei der Verwaltung sind es etwa 8300 Franken (Zahlen für 2020).

Trotz der höheren Entschädigung hält sich die Arbeitsbelastung im öffentlichen Sektor in Grenzen. Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik liegt (national betrachtet) die Wochenarbeitszeit in der Verwaltung seit Jahrzehnten leicht unter jener der gesamten Wirtschaft.

Die genannten Zahlen gelten freilich nicht pars pro toto für alle Berufe und öffentlichen Arbeitgeber. Nichtsdestotrotz offenbaren sie eine klare Tendenz: Beim Staat verdient man mehr und muss weniger hart arbeiten. Er ist für private Arbeitgeber zu einem grossen Konkurrenten geworden. Und es zeichnet sich auch keine rück- oder gar gegenläufige Entwicklung ab, im Gegenteil: Im Zürcher Kantonsrat ist ein linkes Postulat hängig, das vom Regierungsrat eine Studie zu den Auswirkungen einer Arbeitswoche verlangt, in der (maximal) 35 Stunden gearbeitet wird. In der Stadt Zürich hat die rot-grüne Ratsmehrheit bereits durchgesetzt, dass ein Pilotprojekt zur 35-Stunden-Woche für Angestellte im Schichtbetrieb durchgeführt wird. Dabei würde eine entsprechende Kürzung der Wochenarbeitszeit den Fachkräftemangel massiv verschärfen. Der Stadtrat hat ausgerechnet, dass allein die Stadt Zürich in einem solchen Fall zwischen 1100 und 1500 neue (sehr gut bezahlte) Stellen schaffen müsste.

Wie sind diese Entwicklungen zu erklären? Entscheidend für die Zunahme dürfte die Ausdehnung der staatlichen Tätigkeit auf die verschiedensten bisher zivil organisierten Gebiete sein sowie der Wandel vom schlanken Staat des 19. Jahrhunderts zu einer Wohlfahrtspflege, die sämtliche Bevölkerungsgruppen und Lebenslagen umfasst. All dies wäre freilich ohne die mit dem Wachstumsprozess der Wirtschaft verbundene Wohlstandssteigerung nicht möglich gewesen. Entsprechend der Maslow’schen Bedürfnishierarchie dürfte die Nachfrage nach dem sogenannten Existenzbedarf abgenommen haben, wohingegen die gehobene Nachfrage nach Sicherung und Förderung der Gesundheit, nach exzellenter Aus- und Weiterbildung, Erholung und Befriedigung von Kulturbedürfnissen enorm zugenommen hat. Es ist jedoch zu beachten, dass die allgemeine Erhöhung des Wohlstands wohl eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die gestiegene Staatsquote beziehungsweise das ungebremste Stellen- und Lohnwachstum ist.

Wie wirkt sich die überproportionale Zunahme der Stellen auf das Wirtschaftswachstum aus? Aus liberaler Sicht liegt die Annahme nahe, dass sich der Spielraum für privatwirtschaftliche Aktivitäten durch eine weitere, fortgesetzte Ausdehnung der Verwaltung verengt. Die bestehende Wirtschaftsordnung – schlanker, aber starker Staat –, die wir nicht nur um ihrer ideellen Werte, sondern auch um ihrer gesellschaftlichen Errungenschaften beziehungsweise kolossalen Wohlstandsgewinne willen zu bewahren wünschen, droht aus den Angeln gehoben zu werden. Der noch übriggebliebene Privatsektor wird, auch mit Blick auf stets steigende Staatsausgaben, am Ende noch dazu gut sein, die Steuern zur Finanzierung des Staatssektors zu erarbeiten. Schlimmer noch: Dadurch, dass der Staat in immer mehr Lebensbereiche eingreift, gewöhnen sich die Bürger an die Betreuung durch den Staat. Die vielgelobte Selbstverantwortung verkümmert sukzessive. Je grösser der Staatssektor wird, desto mehr werden Teile der Bevölkerung vom Staat abhängig, und es wird mehr umverteilt.

Der Staat muss loslassen können

Das Subsidiaritätsprinzip muss wieder zur Geltung kommen: Der Staat darf nur Aufgaben übernehmen, die Wirtschaft, Gesellschaft und einzelne nicht zu erfüllen vermögen. Ganz nach dem Motto «Small is beautiful»: Kleine Einheiten sind engagierter, effektiver, überschaubarer, leichter kontrollierbar. Eine staatliche Missbrauchskontrolle dürfte in aller Regel ausreichen. Die Entlastung des Staates von nicht wirklich dringenden Staatsaufgaben würde im übrigen eine Eindämmung der Gesetzesflut nach sich ziehen.

Leider können Politiker, zumal im Wahljahr, den Versuchungen des Geldausgebens – wie einst Odysseus dem Gesang der Sirenen – oftmals nicht widerstehen. Deshalb sollten sie sich – wie der griechische Held, der sich an den Mast binden liess – selbst überlisten. Hilfreich wäre die Schaffung (verfassungsrechtlicher) Obergrenzen, die sichtbar unter den heutigen Werten liegen; nicht nur für die Staatsverschuldung, sondern auch für die Staatsquote, für die steuerliche Belastung und vor allem für die «Verwaltungsquote». Was die Staatsverschuldung anbetrifft, so wäre beispielsweise eine kantonale Schuldenbremse einzuführen. Diese zwingt die Verwaltung und das Parlament zum Masshalten und wirkt als Staatsquotenbremse. Es liegt dabei etwas Hoffnung in der Luft: Im Frühjahr 2023 haben die bürgerlichen Parteien im Kanton Zürich eine Motion eingereicht, die vom Regierungsrat verlangt, die hiesigen Investitionen mittelfristig aus eigenen Mitteln zu finanzieren und somit einen vernünftigen Selbstfinanzierungsgrad zu erreichen.

Was die «Verwaltungsquote» angeht, beschloss etwa das Eidgenössische Parlament im Jahr 2015 eine Obergrenze von 35 000 Bundesstellen. Diesen Plafond hob es aber kurze Zeit später wieder auf. Eine entsprechende ­Motion der Schweizerischen Volkspartei (SVP) wurde im Frühsommer 2023 verworfen. Eine Wende ist auf Bundesebene nicht in Sicht. Angebracht wäre ein entsprechender Versuch auf kantonaler Ebene aber allemal. In diesem ­Zusammenhang wäre ferner eine angemessene Deckelung der Verwaltungslöhne erwägenswert. Es geht nicht an, dass der Staat die hiesigen Arbeitskräfte mit Löhnen lockt, welche die Privatwirtschaft aus vielerlei Gründen nicht zu zahlen imstande ist. Denn eines darf nicht vergessen ­gehen: Jeder Franken, den der Staat ausgibt, muss vorher privat erwirtschaftet werden.

Es ist Aufgabe der bürgerlichen Parteien, Missstände zu beheben und die Grundlagen für den Wohlstand der künftigen Generationen zu legen – dazu gehört insbesondere ein schlanker Verwaltungsapparat. Die Bürgerlichen haben die Mehrheit in der Legislative und in der Exekutive – national wie auch im Kanton (nicht aber in der Stadt) Zürich. Einen Schulterschluss braucht es dazu nicht, aber eine Verständigung darauf, dass in Zeiten von Digitalisierung und Automatisierung der klassischen Büroberufe ein moderater Rückbau des staatlichen Personalbestandes (Zielgrösse: 25 Prozent) erforderlich und zumutbar ist. Sollte selbst dies nicht mehr möglich sein, droht unserem Land Rückschritt.

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