
Israel ist kein Produkt des
US-Imperialismus
Gemäss verbreiteter Meinung verdankt der jüdische Staat seine Existenz westlichen Mächten. Tatsächlich genossen die Zionisten zunächst mehr Zuspruch von Linken.
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Ein Grossteil der politischen Welt hat sich mit gewissen Erfindungen arrangiert, die um die Gründung des jüdischen Staates vor 75 Jahren kreisen. Es ist deshalb unabdinglich, die Gegebenheiten jener Ära in Erinnerung zu rufen, als noch heute gebräuchliche Begriffe Bedeutungen hatten, die sich grundlegend von denjenigen unterschieden, die im Kalten Krieg und seither zur gängigen Meinung geworden sind.
Im linken Verständnis jener Jahre meinte «Imperialismus» die Versuche Grossbritanniens, seinen Einfluss im Nahen Osten zu sichern, während die Zionisten, die gerade im britischen Mandatsgebiet Palästina einen jüdischen Staat gründen wollten, für «Antiimperialismus» standen. Die «Antirassisten» jener Jahre waren die Zionisten, die den Antisemitismus bekämpften, während es sich bei den «Rassisten» um das Palestine Arab Higher Committee handelte, das die vermeintliche rassische Homogenität der arabischen Gesellschaften feierte und dessen Führer im Zweiten Weltkrieg und während des Holocausts mit Nazideutschland kollaboriert hatten, sowie um die Islamisten, die aus ihrem Hass auf die Juden als Juden keinerlei Hehl machten.
Kommunisten für Israel
Zwar war der US-amerikanische Zuspruch unter Präsident Harry Truman wichtig für den neuen Staat, folgenreicher war jedoch die Unterstützung durch die Sowjetunion und den Ostblock. Der sowjetische Zionismus zeigte sich zunächst in der Unterstützung der Jewish Agency und dann Israels während der diplomatischen Auseinandersetzungen bei den Vereinten Nationen, in der Unterstützung der jüdischen Auswanderung aus Europa in das vorstaatliche Palästina sowie in der Entscheidung der kommunistischen Tschechoslowakei, sich über das von den USA und Grossbritannien initiierte UNO-Waffenembargo hinwegzusetzen und den Juden während des Krieges 1948 Waffen zu schicken, als diese am dringendsten auf solche Lieferungen angewiesen waren.
Israel war kein Produkt des «US-Imperialismus». Ganz im Gegenteil: Das zionistische Vorhaben wurde von leitenden Figuren des State Departments wie Aussenminister George Marshall und dem Planungschef im Aussenministerium, George Kennan, vehement bekämpft. Wie die gesamte Führungsebene im Bereich der nationalen Sicherheit sahen auch sie in der Gründung Israels eine Bedrohung für den Nahen Osten und einen Schlag gegen die gerade Gestalt annehmende Politik der Eindämmung des Kommunismus in Europa. In den Vereinigten Staaten waren es linke Politiker und Journalisten, in Frankreich Sozialisten, Kommunisten und gaullistische Veteranen der Résistance, die das zionistische Projekt als Teil einer weitaus grösseren und globalen Revolte begriffen, die sich zum einen gegen den Kolonialismus richtete und zum anderen die antinazistische und antifaschistische Stimmung nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust logisch fortführte.
Damals versuchten Linke in den Vereinigten Staaten, Haj Amin al-Husseini, den Grossmufti von Jerusalem, wegen seiner Rolle in der Verbreitung von Propaganda für das Naziregime vor Gericht zu bringen, scheiterten damit jedoch. Zu diesem Zeitpunkt waren der Hass, den der Mufti gegen Juden hegte, und seine Kollaboration mit den Nazis ein öffentlicher Belang. Zwischen Mai 1945 und Juni 1946 hielt ihn Frankreichs Regierung unter Hausarrest. Das Fehlen einer einflussreichen jüdischen Instanz in der Politik sowie die Inexistenz eines souveränen Staates zeigte sich in der Weigerung der Siegermächte, den Mufti vor Gericht zu bringen, obwohl seine Kollaboration mit Nazideutschland umfangreich dokumentiert war. Um gute Beziehung zu den arabischen Ländern bemüht, verweigerte Frankreich die Bitten um Auslieferung al-Husseinis nach Grossbritannien und schickte ihn auch nicht nach Nürnberg, wo ihm der Prozess hätte gemacht werden können. Stattdessen konnte er in den Nahen Osten zurückkehren und zum Anführer der palästinensischen Araber werden, wofür er noch nicht einmal vortäuschen musste, von seiner Verachtung der Juden abzulassen, die er während des Holocausts über die Radiogeräte Nazideutschlands verbreiten konnte.
Skepsis in Washington und London
Während das zionistische Projekt unter Linken und Linksradikalen im Westen und im Ostblock Unterstützung fand, stiess es im angloamerikanischen nationalen Sicherheitsapparat auf Misstrauen und auf Widerstand. Beständig zog sich die Assoziation jüdischer…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1107 – Juni 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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