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Die Schweiz sollte dem  Subventionswettlauf fernbleiben
Reto Föllmi, zvg.

Die Schweiz sollte dem
Subventionswettlauf fernbleiben

Industriepolitik ist ökonomisch und ökologisch ineffizient, und doch feiert sie weltweit ein Revival. Wir sollten eine prinzipienorientierte Wirtschaftspolitik verfolgen, nicht Standortdoping für ­einzelne Branchen betreiben.

Nach dem Ende des Ostblocks war Industriepolitik, also direkte staatliche Eingriffe zur Förderung einzelner Branchen, eher verpönt. Seit einigen Jahren erlebt sie aber weltweit ein kraftvolles Comeback. Die USA mit dem Chips and Science Act, dem Inflation Reduction Act, aber auch die EU mit dem European Green Deal, einem eigenen Chips Act und dem Global Gateway geben hier den Takt vor, von direkt staatlich gesteuerten Volkswirtschaften wie China ganz zu schweigen.

Die grundlegenden Schwierigkeiten dieser Stützungsmassnahmen einzelner Branchen liegen aus ökonomischer Sicht auf der Hand. Die Unterstützung einzelner geht nur auf Kosten vieler. Jemand muss die Subventionen oder Steuergeschenke ja bezahlen. So verfehlen diese Industrieunterstützungen zumeist das vorgebliche Ziel, die Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Kaufkraft zu stärken. Geschieht der Aufbau der Halbleiterindustrie nur mit Subventionen, entstehen zwar dort Arbeitsplätze, allerdings auf Kosten anderer Branchen, welche die Subventionen über die Steuerrechnung bezahlen mussten. Industriepolitik ist letztlich Planwirtschaft: Der Staat gibt vor, welche Branche förderungswürdig ist. In einer funktionierenden Marktwirtschaft herrscht dagegen das freie Zusammenspiel von ambitionierten Unternehmern, bei dem sich die beste Idee durchsetzt. Die Entwicklung hin zu Industriepolitik ist also gefährlich für die Wirtschaftsentwicklung, denn welche Ideen zukunftsfähig sind, ist definitions­gemäss unsicher. Die Experimentierfunktion des Wettbewerbs schlägt die zentrale Planung, die immer Gefahr läuft, aufs falsche Pferd zu setzen.

Handelspolitischer Teufelskreis

Das Risiko der Fehlplanung ist gerade darum erhöht, weil ein zentrales Komitee aufgrund mangelnder Informationen eine leichte Beute von Lobbyisten einzelner Branchen wird. Oftmals werden nämlich nicht die Zukunftsbranchen unterstützt, sondern der Strukturwandel verzögert. Deutschland brauchte sehr lange, um aus der Braunkohleförderung auszusteigen. Auch die Schweiz hat mit dem Bonny-­Beschluss, also Steuererleichterungen für Firmen in Randregionen, im besten Falle sehr gemischte Erfahrungen gemacht.

Auch eine bewusste «Auswahl» von Zukunftsbranchen führt nicht immer zum Erfolg. Japan konnte in den 1990er-Jahren trotz staatlicher Förderung nicht den Standard im globalen Konsumelektronikmarkt etablieren. Die lateinamerikanischen Staaten scheiterten mit ihrer Politik der Förderung heimischer Industrien. Die exportorientierte ­Politik Südkoreas, die oft als erfolgreiche Industriepolitik beschrieben wird, war nicht auf Einzelbranchen konzentriert.

Fast noch schlimmer sind die Zweitwirkungen der Industriepolitik. Einzelne Initiativen verletzen elementare Prinzipien der freien Handelsordnung. So hängen die Subventionen für Elektroautos im amerikanischen Inflation Reduction Act davon ab, ob ein bedeutender Anteil der Produktion in Nordamerika stattfindet. Wenn die Handelspartner der USA nachziehen und ähnliche Klauseln festschreiben, ergibt sich ein Teufelskreis mit abnehmendem Handel, was gerade für kleinere Länder zu immensen Wohlstandsverlusten führt. Vielleicht am verheerendsten sind aber die Signale, die Industriepolitik an junge Talente aussendet. Unter Umständen lohnt es sich mehr, sich aufs «Rent-Seeking» und Lobbying für staatliche Fördertöpfe zu verlegen, statt mit unternehmerischem Gespür neue Geschäftsideen auszuprobieren.

Technologieneutrale Förderung

Die Argumente für eine aktive Wirtschaftspolitik sind eng begrenzt. Überall, wo ein Marktversagen vorliegt, sind zielgerichtete staatliche Interventionen gerechtfertigt. Diese sind aber recht genau in drei Argumenten abgrenzbar: zu hohe Monopolrenten, Externalitäten und positive Spillovers der (Grundlagen-)Forschung. Bei Monopolrenten ist die wirtschaftspolitische Antwort klar: Zu hohe Preisaufschläge durch geschützte Monopole sind durch die Wettbewerbspolitik zu adressieren. Gewisse Monopolrenten als Entschädigung des Innovators sind aber erwünscht, wofür ja auch Patente stehen.

Dem zweiten Problem, dem Vorliegen von Externalitäten, wenn Umweltschäden nicht eingepreist sind, kann durch eine entsprechende Steuer oder ­Regulation begegnet werden. Das gilt sowohl für regionale Probleme wie Luft- und Gewässerverschmutzung als auch für das globale Problem des Klimawandels – auch wenn dort die Umsetzung der ökonomisch korrekten Lösung, eine Steuer auf Emissionen beziehungsweise ein Emissions­handelssystem, komplexer ist und koordiniertes Handeln vieler Staaten erfordert. Das hat aber nichts mit einer weitergehenden Industriepolitik zu tun, denn diese löst das globale Problem auch nicht oder verschärft es sogar, wenn aufgrund weniger Handel und ineffizienterer globaler Arbeitsteilung mehr Ressourcen verbraucht werden.

Eine wichtige Rolle darf die Industriepolitik in der Innovationspolitik spielen. Forschung und Entwicklung besitzen positive Spillovers, weil das generierte Wissen die Chancen für technologische Durchbrüche in der Zukunft erhöht, wovon der Innovator heute aber monetär nicht profitiert. Ganz besonders gilt das selbstverständlich für die Grundlagenforschung. Darum ist letztere zu einem grossen Teil staatlich durch Universitäten oder durch den Nationalfonds finanziert. Aber auch Forschung in Firmen hat positive externe Effekte und eine teilweise öffentliche Finanzierung ist darum angebracht. Die Schweiz kennt ­dafür Instrumente wie Innosuisse oder die Patentbox bei den Unternehmenssteuern. Gemeinsam ist all diesen Förderinstrumenten, dass sie technologieneutral sind. Sie sind offen und legen nicht ex ante fest, in welche Richtung die Innovation gehen soll.

Die Wichtigkeit der drei obigen Argumente hat sich über die Zeit nicht wesentlich geändert. Das wirft berechtigterweise die Frage auf, warum wir gerade jetzt ein Wiederaufleben der Industriepolitik mit partikulärer Förderung einzelner Branchen oder heimischer Produktion beobachten. Vielleicht ist die Erinnerung an die verfehlte Planwirtschaft der sozialistischen Staaten am Verblassen und Politiker wollen sich wieder vermehrt als «Macher» präsentieren.

Geopolitische Gründe

Meines Erachtens ist der Hauptgrund in der veränderten sicherheitspolitischen Lage zu suchen. Die Sicherheits­politik und die Verteidigung sind naturgemäss eine Domäne des Staates. Die wachsenden Spannungen zwischen China, Russland und dem Westen stellen die internationale Handelsarchitektur vor grosse Herausforderungen. Ausserdem sind China und der Westen wirtschaftlich weit enger verflochten, als dies der Westen und der Warschauer Pakt waren. Der Welthandelsanteil von Autokratien ist höher als zu Zeiten des (ersten) Kalten Krieges. Aus sicherheitspolitischen Erwägungen sind dadurch Überwachung des Technologietransfers, Investitionskontrollen und auch der Aufbau einer entsprechenden heimischen Industrie für sicherheitsrelevante Güter verständlich.

Die Gefahr besteht, dass die Politik unter dem Einfluss von Lobbyisten Branchen vermehrt als sicherheitsrelevant deklariert. Wie erwähnt haben sowohl die USA als auch Europa ihren eigenen Chips Act, es ist aber kaum effizient, überall eine Halbleiterindustrie aufzubauen. Investitionskontrollen sind nur dort angebracht, wo durch die Übernahme einer Firma strategisches Know-how verlorengehen könnte. Wenn es um die Gefahr der Marktmacht geht, ist die gewöhnliche Wettbewerbspolitik zuständig. Wenn im Kern valide sicherheitspolitische Argumente auf immer mehr Bereiche angewendet werden, hat dies enorme Folgen. Die Verpflichtung zu mehr heimischer Produktion lässt die Welt in einzelne Blöcke zerfallen. Die Handelsgewinne gehen zurück, die Herstellung von Gütern wird ökonomisch und ökologisch ineffizienter und der Handel kann seine Risikoteilungsfunktion nicht mehr wahrnehmen, was die Weltwirtschaft instabiler macht. Eine ähnliche Desintegration hat die Weltwirtschaft in der Zwischenkriegszeit gesehen, mit den bekannten Konsequenzen.

«Die Gefahr besteht, dass die Politik unter dem Einfluss von ­Lobbyisten Branchen ­vermehrt als sicherheitsrelevant deklariert.»

Aber auch die drei Argumente für eine gute «zivile» Industriepolitik dürfen nicht missbraucht werden. Gerade die Schweiz hat einen funktionierenden Markt für Risikokapital und lahmt auch nicht in ihrer Innovationstätigkeit; über etablierte Gefässe wie Innosuisse hinaus müssen dar­um kaum Steuergelder eingesetzt werden, um Start-ups zu fördern. Es gibt auch wenige Gründe, dass der Staat noch mehr Nachhaltigkeit von den Unternehmen einfordert. Es wird oft vergessen, dass Marktkräfte bereits in diese Richtung gehen. Nachhaltigkeit wird häufig von den Konsumenten selbst verlangt oder ist aus Kostengründen im ureigenen Interesse der Firmen.

Wir profitieren von den Subventionen anderer

Wie soll nun eine Wirtschaftspolitik für die Schweiz in diesem Kontext aussehen? Ein kleines Land wie die Schweiz kann den Subventionswettlauf der anderen Länder nicht gewinnen, darum wäre eine Teilnahme daran besonders schädlich. Die Schweiz ist kein Unschuldslamm, wenn es um Subventionen geht. Subventionen sind beliebt, weil die Nutzniesser gut sichtbar sind, aber die Kosten intrans­parent über die Allgemeinheit verteilt werden. Das jüngst beschlossene Klimaschutzgesetz hat zwar löbliche Ziele, steht jedoch mit seinem Fokus auf Subventionen in einer Reihe mit den entsprechenden Gesetzen der EU und der USA, wenn auch der Umfang deutlich begrenzter ist.

Die vom weltweiten Subventionswettlauf betroffenen Branchen werden natürlich vorbringen, dass sie gleich lange Spiesse wie ihre ausländischen Konkurrenten bräuchten. Wenn aber unsere Handelspartner eine Branche subventionieren, können wir nur gewinnen – weil wir so die Importgüter verbilligt kaufen können. Wenn Österreich seine Skigebiete subventioniert, wird bei uns vielleicht die Nachfrage dafür etwas schwächer ausfallen. Dies setzt aber in Zeiten des Fachkräftemangels Ressourcen frei, die in anderen Branchen benötigt werden. Und es zwingt die Schweizer Tourismusindustrie, in neue Segmente vorzustossen. Ohnehin sind verbilligte Importprodukte oft auch Vorleistungen für andere Firmen, was deren Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Markt stärkt. Die Schweiz darf daher kein Standortdoping für einzelne Firmen betreiben, denn dies geht immer auf Kosten der ansässigen Bevölkerung. Entscheidend wird sein, dass die Schweiz für ambitionierte Immigrantinnen und Immigranten sowie innovative Firmen attraktiv bleibt. Eine prinzipienorientierte Wirtschafts- und Industriepolitik muss gute Rahmenbedingungen für alle bieten und insbesondere technologieoffen sein. Nur so können wir als kleines Land dazu beitragen, die drängenden Probleme der Welt zu lösen.

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