
Die Schweiz sollte dem
Subventionswettlauf fernbleiben
Industriepolitik ist ökonomisch und ökologisch ineffizient, und doch feiert sie weltweit ein Revival. Wir sollten eine prinzipienorientierte Wirtschaftspolitik verfolgen, nicht Standortdoping für einzelne Branchen betreiben.
Nach dem Ende des Ostblocks war Industriepolitik, also direkte staatliche Eingriffe zur Förderung einzelner Branchen, eher verpönt. Seit einigen Jahren erlebt sie aber weltweit ein kraftvolles Comeback. Die USA mit dem Chips and Science Act, dem Inflation Reduction Act, aber auch die EU mit dem European Green Deal, einem eigenen Chips Act und dem Global Gateway geben hier den Takt vor, von direkt staatlich gesteuerten Volkswirtschaften wie China ganz zu schweigen.
Die grundlegenden Schwierigkeiten dieser Stützungsmassnahmen einzelner Branchen liegen aus ökonomischer Sicht auf der Hand. Die Unterstützung einzelner geht nur auf Kosten vieler. Jemand muss die Subventionen oder Steuergeschenke ja bezahlen. So verfehlen diese Industrieunterstützungen zumeist das vorgebliche Ziel, die Wirtschaft, Arbeitsplätze und die Kaufkraft zu stärken. Geschieht der Aufbau der Halbleiterindustrie nur mit Subventionen, entstehen zwar dort Arbeitsplätze, allerdings auf Kosten anderer Branchen, welche die Subventionen über die Steuerrechnung bezahlen mussten. Industriepolitik ist letztlich Planwirtschaft: Der Staat gibt vor, welche Branche förderungswürdig ist. In einer funktionierenden Marktwirtschaft herrscht dagegen das freie Zusammenspiel von ambitionierten Unternehmern, bei dem sich die beste Idee durchsetzt. Die Entwicklung hin zu Industriepolitik ist also gefährlich für die Wirtschaftsentwicklung, denn welche Ideen zukunftsfähig sind, ist definitionsgemäss unsicher. Die Experimentierfunktion des Wettbewerbs schlägt die zentrale Planung, die immer Gefahr läuft, aufs falsche Pferd zu setzen.
Handelspolitischer Teufelskreis
Das Risiko der Fehlplanung ist gerade darum erhöht, weil ein zentrales Komitee aufgrund mangelnder Informationen eine leichte Beute von Lobbyisten einzelner Branchen wird. Oftmals werden nämlich nicht die Zukunftsbranchen unterstützt, sondern der Strukturwandel verzögert. Deutschland brauchte sehr lange, um aus der Braunkohleförderung auszusteigen. Auch die Schweiz hat mit dem Bonny-Beschluss, also Steuererleichterungen für Firmen in Randregionen, im besten Falle sehr gemischte Erfahrungen gemacht.
Auch eine bewusste «Auswahl» von Zukunftsbranchen führt nicht immer zum Erfolg. Japan konnte in den 1990er-Jahren trotz staatlicher Förderung nicht den Standard im globalen Konsumelektronikmarkt etablieren. Die lateinamerikanischen Staaten scheiterten mit ihrer Politik der Förderung heimischer Industrien. Die exportorientierte Politik Südkoreas, die oft als erfolgreiche Industriepolitik beschrieben wird, war nicht auf Einzelbranchen konzentriert.
Fast noch schlimmer sind die Zweitwirkungen der Industriepolitik. Einzelne Initiativen verletzen elementare Prinzipien der freien Handelsordnung. So hängen die Subventionen für Elektroautos im amerikanischen Inflation Reduction Act davon ab, ob ein bedeutender Anteil der Produktion in Nordamerika stattfindet. Wenn die Handelspartner der USA nachziehen und ähnliche Klauseln festschreiben, ergibt sich ein Teufelskreis mit abnehmendem Handel, was gerade für kleinere Länder zu immensen Wohlstandsverlusten führt. Vielleicht am verheerendsten sind aber die Signale, die Industriepolitik an junge Talente aussendet. Unter Umständen lohnt es sich mehr, sich aufs «Rent-Seeking» und Lobbying für staatliche Fördertöpfe zu verlegen, statt mit unternehmerischem Gespür neue Geschäftsideen auszuprobieren.
Technologieneutrale Förderung
Die Argumente für eine aktive Wirtschaftspolitik sind eng begrenzt. Überall, wo ein Marktversagen vorliegt, sind zielgerichtete staatliche Interventionen gerechtfertigt. Diese sind aber recht genau in drei Argumenten abgrenzbar: zu hohe Monopolrenten, Externalitäten und positive Spillovers der (Grundlagen-)Forschung. Bei Monopolrenten ist die wirtschaftspolitische Antwort klar: Zu hohe Preisaufschläge durch geschützte Monopole sind durch die Wettbewerbspolitik zu adressieren. Gewisse Monopolrenten als Entschädigung des Innovators sind aber erwünscht, wofür ja auch Patente stehen.
Dem zweiten Problem, dem Vorliegen von Externalitäten, wenn Umweltschäden nicht eingepreist sind, kann durch eine entsprechende Steuer oder Regulation begegnet werden. Das gilt sowohl für regionale Probleme wie Luft- und Gewässerverschmutzung als auch für das globale Problem des Klimawandels – auch wenn dort die Umsetzung der ökonomisch korrekten Lösung, eine Steuer auf Emissionen beziehungsweise ein Emissionshandelssystem, komplexer ist und koordiniertes Handeln vieler Staaten erfordert. Das hat aber nichts mit einer weitergehenden Industriepolitik zu tun, denn diese löst das globale Problem auch nicht oder verschärft es sogar, wenn aufgrund weniger Handel und ineffizienterer globaler Arbeitsteilung mehr Ressourcen verbraucht werden.
Eine…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1110 – Oktober 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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