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Der Wert der Freizeit
Bild: Shutterstock.

Der Wert der Freizeit

Warum ich gerne auf Einkommen verzichtet habe.

Als ich in den Neunzigerjahren vor den Chefredaktoren sass, um einen Job zu kriegen, war mir eine Frage stets wichtiger als der Lohn: Ob ich die Stelle auch dann erhielte, wenn ich nur 90 oder 80 Prozent arbeiten würde, und ob ich die freien Prozente am Stück beziehen könnte. Ich wollte nämlich so oft wie möglich reisen gehen, am liebsten mindestens sechs Wochen am Stück.

Der Begriff Work-Life-Balance war damals hierzulande noch kaum gebräuchlich. Heute ist er in aller Munde. Gerade hat eine Umfrage bei 2000 Schweizern gezeigt: 68 Prozent der Befragten finden, dass wir in der Schweiz zu viel arbeiteten. Zwei Drittel wünschten sich eine Viertagewoche bei gleichem Lohn. Nur noch drei Tage pro Woche würde der durchschnittliche Befragte arbeiten, wenn Geld keine Rolle spielte.

Nur: Geld spielt eben für viele Menschen eine grosse Rolle. Für die einen, weil sie geringe Löhne haben und nicht auf das volle Einkommen verzichten können. Für andere, weil sie nicht auf das volle Einkommen verzichten wollen, obwohl sie könnten.

Für letztere gilt – und hier kann ich mich nicht auf eine Studie, sondern nur auf Beobachtungen in meinem Bekanntenkreis berufen: Wer einmal gut verdient, tut sich schwer mit dem Gedanken, weniger Salär zu kriegen. Die meisten möchten zwar gerne weniger arbeiten – wenn es aber darum geht, auf etwas zu verzichten, krebsen sie zurück. In eine kleinere Wohnung ziehen? Aufs eigene Auto verzichten, wo man doch meint, auch auf den Zweitwagen angewiesen zu sein? Sich nicht jedes Jahr das neueste technische Gadget leisten? Für viele undenkbar.

Der Wert der freien Zeit bleibt individuell. Für den einen ist die Karriere wichtiger, andere finden im Konsum ihr Glück, für den dritten bedeutet der Neuwagen die ultimative Freiheit. All das muss erarbeitet sein. Ich habe viele Jahre auf mehr Lohn verzichtet und mir die Freiheit genommen, die Welt zu bereisen. Luxushotels lagen zwar nie drin, aber Backpacker-Hostels waren mir sowieso viel lieber. Ich wäre heute viel ärmer, müsste ich auf den Reichtum an Erfahrungen verzichten, die das Reisen in mein Leben brachte.

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