Der Mauersegler
…auch ein Agentenroman braucht Tote… Im Grunde fehlt mir ja der Zugang zu Agentenromanen, dachte ich. Alle diese Decknamen, Beschattungen, Verdächtigungen: sie sind doch – verdächtig. Aber wessen? Immer gleicher Strickmuster! Nein, die Welt von John le Carré & Co. überlasse ich gerne den Carréristen, so mein lang gehegtes Vorurteil, das nicht einmal der Urvater […]
…auch ein Agentenroman braucht Tote…
Im Grunde fehlt mir ja der Zugang zu Agentenromanen, dachte ich. Alle diese Decknamen, Beschattungen, Verdächtigungen: sie sind doch – verdächtig. Aber wessen? Immer gleicher Strickmuster! Nein, die Welt von John le Carré & Co. überlasse ich gerne den Carréristen, so mein lang gehegtes Vorurteil, das nicht einmal der Urvater dieses Genres, immerhin Joseph Conrad mit seinem Roman «Agenten», entkräften konnte. Doch gebe ich zu, dieser «Mauersegler» hat etwas. Ein verlockender Anfang: «Kilchenmann is dead». Man kann ja nach Frisch nicht mehr schreiben: XY ist nicht XY, also ist das schon eine probate Variante. Und im Schatten dieses in einem See der Holsteinischen Schweiz zu Tode gekommenen Dunkelmannes bewegt sich so manches in diesem verhalten spannend erzählten Roman. Da ist zum Beispiel Mangold, ein seit grauer Vorzeit hinter dem Eisernen Vorhang in die Geheimdienstszene verstrickter Mediencoach aus Zürich, oder auch ein gewisser (eher blasser) Agent namens Förster, dem Mangold zuarbeitet; zudem finden sich ein paar Frauen im Hintergrund, mit Ausnahme der hauptrollenträchtigen Sara Pechstein im Schwabinger Milieu, Pflegetochter eines gewissen Mr. Fisher aus Venice, California, angebliche Tochter Mangolds, der sich ‹Mauer-segler› nennen muss, die aber in Wahrheit den auf mysteriöse Weise umgekommenen Kilchenmann zum Vater hat und sich von einem neureichen Russen mit Decknamen Tolstoi lieben und aushalten lässt, zudem noch dem Verfassungsschutz dabei behilflich ist, Neonazis aufzuspüren, die bei der Eröffnung der neuen Münchener Synagoge an einem 9. November, diesem deutschsten aller Schicksalstage, einen Anschlag geplant haben, der aber vereitelt werden kann.
Nein, Agentenromane liegen mir eigentlich nicht. Jedoch, «Der Mauersegler» ist lesenswert, nicht weil er von einem «Tatort»-Drehbuchschreiber und versierten Unterhaltungsromancier stammt, sondern weil der Text atmosphärisch zu verdichten versteht, mit Motivreihen wirkungsvoll umgeht und im Mauersegler ein Vogelsymbol gefunden hat, das für die Literatur entdeckt werden musste. Denn was kann dieser Apus apus nicht alles: «Er holt im Flug seine Nahrung, kann auch im Flug schlafen und paart sich sogar gelegentlich in der Luft. Auf dem Land gilt der Mauersegler wegen seines penetranten Schreis, den er ausstösst, wenn er über die Häuser segelt, als Teufelsvogel.» Nun, manches davon kann auch unser Mangold, zumindest im Flugzeug. Und es ist ganz reizvoll, diesem komischen Vogel lesend auf den Krallenfersen zu bleiben. Lange Flüge, Zug- oder U-Bahnfahrten verkürzt Zeindlers kleines Kabinettsstück allemal.
vorgestellt von Rüdiger Görner, London
Peter Zeindler: «Der Mauersegler». Zürich: Arche, 2007.