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Der Generationengraben

Die Alterung der Gesellschaft und die tiefen Beteiligungsraten der Jugendlichen schwächen das Gewicht der nachkommenden Generationen. Das Rezept gegen die Herrschaft der Alten sind vitale politische Werte der Jungen.

Nur in der Schweiz ist es so einfach möglich, so systematisch Themenpräferenzen der Jungen und der Alten zu erkennen. Was würde ändern, wenn es auf einmal mehr Junge gäbe oder sie einfach mehr teilnehmen würden, und was würde passieren, wenn das Gewicht der Menschen im Rentenalter noch grösser gewesen wäre?1 Das haben wir anhand von VOX- und VOTO2-Daten der letzten fünfzehn Jahre untersucht.

Bis gestern: ein eher kleiner Generationengraben

Zunächst einmal: So viel würde sich nicht ändern. Zwar machen Jungparteien immer lauter auf sich aufmerksam, lancieren Referenden und Initiativen und übertreffen sich mit provokativen Äusserungen. Auffallend oft stimmen aber dann Ältere und Jüngere gleich oder ähnlich. Aktuelles Beispiel ist das Geldspielgesetz. Am 10. Juni 2018 wurde das Gesetz angenommen und eine Art Online-Schutzzone für heimische Casinoanbieter gebaut. Zunächst waren die an der Abstimmung interessierten Jungen in der SRG-Trend-Befragung mehrheitlich kritisch mit der Idee solcher Internetbarrieren und folgten damit der Haltung von den drei Jungparteien Junge GLP, Jungfreisinnige und Junge SVP. Die Jungparteien waren zwar mitentscheidend bei der Ergreifung des Referendums. Die Haltungen der schliesslich an der Abstimmung teilnehmenden Jungen insgesamt glichen sich aber immer mehr den Älteren an und sie stimmten am Schluss im Sinne der Mehrheit des Parlaments und des Bundesrats. 74 Prozent der 18- bis 29-Jährigen nahmen die Vorlage an, bei den über 60-Jährigen waren es 77 Prozent. Die Richtung der Meinungsbildung ist typisch bei Personen, die noch nicht fest an eine Partei gebunden sind. Sie setzen sich (sofern sie vorhaben teilzunehmen) mit näherkommender Volksabstimmung immer intensiver mit dem Gegenstand auseinander. Oft entscheiden sie schliesslich gleich wie die Mehrheit von Bundesrat und Parlament.

Seit 2002 wurden für 133 Volksabstimmungen VOX- und VOTO-Analysen durchgeführt. Bei 98 war die Fallzahl gross genug, um Auswertungen zum Abstimmungsverhalten nach Alter durchzuführen. Diese Auswertungen zeigen: Nur in dreizehn Fällen war der Generationengraben grösser als 20 Prozentpunkte (vgl. Tabelle). Sechsmal resultierte dabei trotz grosser Unterschiede zwischen den über 60-Jährigen und den unter 30-Jährigen die gleiche Mehrheitsentscheidung (viermal Ablehnung einer Volksinitiative, je einmal Annahme und Ablehnung eines Bundesgesetzes), fünfmal gingen die Alten als Sieger aus dem Generationenduell hervor, immerhin zweimal versetzten aber auch die Jungen die Älteren in die Minderheit.

Umweltanliegen scheinen bei Jungen mehr Rückhalt zu geniessen als bei den über 60-Jährigen – wenn auch man das in der vorliegenden Tabelle mit den Extremresultaten schlecht sieht, denn die meisten Unterschiede in der Zustimmung bewegen sich zwischen 10 und 20 Prozentpunkten. Ausnahme ist die Vorlage zur Spezialfinanzierung des Luftverkehrs im 2004 mit einem Graben von fast 30 Prozentpunkten (grüne Kreise waren damals aus Umweltschutzgründen gegen eine zusätzliche Förderung des Luftverkehrs). In Fragen der Gleichstellung Homosexueller sowie in der Drogenpolitik geben sich die Jungen gesellschaftsliberaler als Ältere. Auch Jüngere haben aber die Hanfinitiative tendenziell knapp mehrheitlich abgelehnt. Bei der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft wurden die Älteren in die Minderheit versetzt, sie waren deutlich kritischer als die Mehrheit. Der grösste Generationengraben tat sich beim Nachrichtendienstgesetz auf (vgl. auch Abb. auf S. 11). Hier hatten sich Juso, Jungfreisinn und Junge SVP gemeinsam für das Referendum und den Online-Datenschutz stark gemacht und konnten die Unterstützung der Jungen gegen die Vorlage – anders als beim Geldspielgesetz – bis zum Schluss sicher­stellen. Trotzdem verloren sie allerdings letztlich gegen die deutliche Zustimmung aus den Reihen der Älteren.

Wenn die Involvierung gross ist oder die Betroffenheit im Kampagnenverlauf für Junge deutlich wird, kann sich ein Gene­rationengraben öffnen. Sie stimmen dann etwas gesellschaftsliberaler, etwas mehr an Nachhaltigkeit interessiert, fallweise gegenüber linken Initiativen offener und typischerweise eher in ihrem Interesse vor allem in Fragen der Altersvorsorge. Von den acht ausgewerteten Vorlagen in diesem Bereich war der Generationengraben in drei erheblich (über 20 Prozentpunkte). Bei den Vorlagen «AHVplus» und «Nationalbank­gewinne für die AHV» lief er in die zu erwartende Richtung: Die Jungen hatten wenig Sympathie für diese reinen Ausbau- oder Finanzierungsvorlagen. Überraschend ist dagegen die Abweichung in die andere Richtung bei der vorgeschlagenen Senkung des Mindestumwandlungssatzes, die ja eigentlich die ungewollte intergenerationelle Umverteilung von Jung zu Alt in der 2. Säule verringert hätte. Erklärbar ist das möglicherweise damit, dass die Vorlage schon weit im Vorfeld deutlich diskreditiert war als Kniefall vor grossen Pensionskassen wie Swiss Life. Des Umverteilungseffektes eines zu hohen Umwandlungssatzes waren sich die Jungen vor acht Jahren zudem offenbar schlicht noch nicht bewusst. Dieses Bewusstsein dürfte mit den umfassenden Diskussionen zur Altersvorsorge 2020 unterdessen gestiegen sein.

Es ist allerdings wichtig festzustellen, dass der Generationengraben in allen drei Fällen letztlich nicht relevant war, da trotzdem jeweils beide Altersgruppen «Nein» stimmten. Nur bei den aneinandergeknüpften Vorlagen zur Altersvorsorge 2020 vom Herbst 2017 wurden die Jungen – denkbar knapp – überstimmt. Der Generationengraben war hier mit ca. 8 Prozentpunkten allerdings ziemlich klein, ebenso wie bei den drei übrigen altersvorsorgerelevanten Abstimmungen.

Die Übersicht zeigt also, dass sich bei der Altersvorsorge bisher nur punktuell Generationengräben öffnen und dass diese bisher kaum zu Konflikten – also zu Unterschieden in der Mehrheitsmeinung – zwischen Jung und Alt führten. Der Parteigraben, der Stadt/Land-Graben und der Röstigraben sind im Stimmverhalten der Schweizerinnen und Schweizer deutlicher erkennbar als Unterschiede zwischen Alt und Jung. Bei 54 der 98 untersuchten Volksabstimmungen war der Generationengraben kleiner als 10 Prozentpunkte. Ist die demokratietheoretische Problematik der Gerontokratie damit entschärft?

Heute: individualisiert in Richtung Mikropolitik

Ein kritischer Blick zeigt, dass chronische Beschwerden nicht wegen mangelnder Stimmkraft der Jugendlichen drohen, sondern die einzigartige Politkultur der Schweiz heute schon – chronisch – leidet. Das Milizsystem stösst an seine Grenzen. Mehr als die Hälfte der Gemeinden zwischen 1000 und 5000 Einwohnerinnen und Einwohnern hatten laut Gemeindemonitoring, das IPM.SWISS in Zusammenarbeit mit dem IDHEAP Lausanne 2017 durchführte, Probleme damit, genügend Gemeinderätinnen und Gemeinderäte zu stellen. Trend: steigend. Da wären vor allem beruflich erfahrene Personen zwischen 40 und 60 Jahren in der Pflicht.

Die Belastung durch die ständig schnellere Arbeitswelt, aber auch die komplexe Politik mit der geringeren Einflussmöglichkeit auf Gemeindeebene erschweren jedoch die Milizarbeit für die Gemeinde. Aber seien wir ehrlich: Die Individualisierung, die Verfolgung des persönlichen Glücks und die Optionen der Freizeitgesellschaft machen einfach mehr Spass als die Mitgliedschaft in der Finanzkommission einer Agglomerationsgemeinde. Oft springen hier Personen im Rentenalter in die Bresche und harren im Amt aus Mangel an Konkurrenz weitere vier Jahre aus. Nachwuchs ist leider kaum in Sicht. Junge Polittalente streben wenn schon eine Karriere auf Kantons- und Bundesebene an.

«Der Parteigraben, der Stadt/Land-Graben und der Röstigraben sind im Stimmverhalten der Schweizerinnen und Schweizer deutlicher erkennbar als Unterschiede zwischen Alt und Jung.»

Auch die Konkordanz wankt bedenklich: Die politische Kultur und der permanente Wahlkampf erschweren die Lösungs­findung einer Regierung, die alle relevanten Kräfte beteiligen soll. Die Konkordanz hat ein Problem: Sie ist recht langweilig. Alle Regierungsparteien haben deshalb trotz Konkordanz mit gewissem Erfolg den permanenten Wahlkampf für sich entdeckt. Nicht mehr die Lösungssuche, sondern die personalisierte Streitdarstellung wird gesucht – mit entsprechenden Nebenwirkungen. Bisher hatte diese Strategie auch Erfolg bei den Wählenden – mehr noch: Mit dem Microtargeting werden die Parteien noch individueller jeden Wähler und jede Wählerin nach ihren beispielsweise auf Facebook erkennbaren Präferenzen ansprechen können. Die bevorzugte Strategie, um sich die Individualisierung zunutze zu machen, ist die Mikropolitik. Parteien erwecken so den Anschein, für unsere individuellen Probleme sofort die ultimativen Lösungen zu haben und diese auch – ganz allein – verwirklichen zu können.

Es ist diese Veränderung, die den Graben zwischen den Generationen nun tatsächlich aufzureissen droht, denn sie befördert den Blick auf den eigenen finanziellen Vorteil und verschleiert den Blick auf politische Notwendigkeiten der Gesellschaft. Wenn Junge ohne Solidarität die Abzüge als Berufstätige optimieren oder Ältere ohne Rücksicht auf jüngere Generationen ihre Rentenpfründe sichern, dann sind Verteilkämpfe vorprogrammiert. Rein auf Nutzenmaximierung ausgerichtete Mikropolitik entreisst der einzigartigen politischen Kultur den Boden und unterminiert den Generationenvertrag. Diese Kultur hat bisher stets die Vorteile der direkten Demokratie realisiert, ohne die Risiken einer reinen Stimmungsdemokratie gegen Regierungen zu entfalten und ohne systematisch gewisse Gruppen aus den Entscheidungen auszuschliessen. Das gilt eben auch für die klare Minderheit der jungen Stimmenden. Oft stellen sie zusammen mit Personen im mittleren Alter die Mehrheit und fast nie stimmen auch sie geschlossen für oder gegen eine Vorlage.

Morgen: smart zurück zu Werten

Die Individualisierung lässt sich nicht aufhalten. Einer der Megatrends der letzten Jahrzehnte wird durch die Digitalisierung nochmals befeuert: Wir haben immer weniger strukturierende Massenmedien und damit verschwindet der gemeinsame Blick auf relevante gesellschaftliche Probleme. Wir kaufen individualisierte Produkte, profitieren von der personalisierten Medizin, orientieren uns zunehmend in der eigenen Filterbubble und sind Egotaktiker im Optionendschungel. Auch die Interessenbündelung von den traditionell in der Schweiz sehr mächtigen Verbänden wird immer schwieriger. Die Mitglieder wie beispielsweise Unternehmen verfolgen lieber «individualisiert» ihre Interessen.

Die Antwort, weshalb der Generationengraben bisher nicht allzu weit aufgerissen wurde, sind Werte. Sie werden in jungen Jahren am liebsten im Austausch mit den engsten Freunden ausgebildet und halten in der Regel ein ganzes Leben lang. Vielleicht rückt man mit dem Älterwerden ein, zwei politische Schritte nach rechts, weil beispielsweise Steuern für Familien plötzlich zur Belastung werden oder Sicherheitsbedürfnisse steigen. Aber ansonsten ist die Orientierung im politischen System recht stabil. Die gemässigten politischen Werte richten sich aber meist auf die Wohlfahrt der Schweiz, der Gesellschaft und des Systems als Ganzes. Sie reduzieren damit Egoismus. Sie sind der Schlüssel, um gegen die chronischen Beschwerden der Gegenwart zu kämpfen.

Wir brauchen politisch motivierte Junge mit der Fähigkeit, politische Werte auszubilden. Früher wurde dies meist noch über das Elternhaus geleistet. Das alleine genügt nicht mehr, denn die Herausforderungen der Individualisierung sind bei den heutigen Eltern schon evident. Zurzeit gelten Politik und Parteien als unsexy, wie das CS-Jugendbarometer zeigt. Da gilt es anzusetzen. Smart sollte es gelingen, die Politik auch für Junge greifbar, konkret und attraktiv zu gestalten. Das steigert langfristig die Freude daran, die Schweiz mitzugestalten. Das Projekt easyvote vom Dachverband Schweizer Jugendparlament ist ein Beispiel dafür. Neben einzelnen Leuchtturmprojekten braucht es aber ergänzend die Schweiz als Ganzes, die für dieses aufwendige Politsystem ein Nachwuchsprogramm startet. Über Bildung können die Fundamente der Gesellschaft vermittelt werden. Eine nationale Strategie für politische Bildung ist nötig. Politische Themen müssen auf allen Schulstufen spielerisch und smart Alltag werden. Die Gesellschaft muss fähig sein, sich selber heute eine kritische Diagnose zu stellen. So können wir gegen chronische Probleme der Individualisierung und indirekt gegen die drohende Gerontokratie, also die Herrschaft der Alten, antreten.

  1. Gemäss Avenir Suisse wird schon im Jahr 2025 die Hälfte aller Stimmenden über 60jährig sein.

  2. Für die VOTO-Studien werden jeweils nach jeder eidgenössischen Volks­abstimmung 1500 Stimmberechtigte aus der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin in einem 15- bis 20minütigen Telefoninterview befragt.

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