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Das Stiftungsvermögen  arbeiten lassen
Georg von Schnurbein, zvg.

Das Stiftungsvermögen
arbeiten lassen

Nachhaltige Geldanlage spielt bei vielen Stiftungen eine untergeordnete Rolle. Dabei steigert die richtige Strategie nicht nur die Rendite, sondern fördert direkt den Stiftungszweck.

 

Eigentlich hätte er Kaufmann werden sollen, aber er interessierte sich mehr für die heimische Landwirtschaft. So kam es, dass Christoph Merian sein Vermögen immer mehr in Landbesitz rund um Basel investierte und zu einem der grössten Landbesitzer der Schweiz wurde – und damit zu einem wirkungsorientierten Investor. Nach dem Tod seiner Frau 1886 wurden die Ländereien in eine Stiftung eingebracht und bilden bis heute den Grundstock des Stiftungsvermögens der Christoph-Merian-Stiftung. Bei der Bewirtschaftung flossen früh ökologische und soziale Grundsätze ein und dennoch (oder gerade deshalb) steigerte sich der Vermögenswert ständig.

Christoph Merian war seiner Zeit voraus. Heutzutage scheint es schon fast Common Sense zu sein, dass Vermögen nachhaltig investiert werden. Unter nachhaltig wird dabei meist die Kombination von ökologischen, sozialen und organisato­rischen Gütekriterien verstanden (ESG-Kriterien). Gerade aber gemeinnützige Stiftungen scheinen besondere Mühe zu haben mit der Umstellung auf diese nachhaltigen Anlageformen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie1 zeigte zwischen den Erhebungs­zeitpunkten 2013 und 2019 kaum Unterschiede beim Anteil nachhaltiger Anlagen. Jeweils nur etwas über 20 Prozent der befragten Stiftungen gaben an, mit dem Stiftungsvermögen nachhaltige Investitionen zu tätigen. Sind Stiftungsräte also Ignoranten und verpassen ­gerade eine der grössten Umwälzungen an den Finanzmärkten? Bevor hier ein allzu kritisches Bild gezeichnet wird, ­bedarf es ­einer genaueren Betrachtung des Stiftungssektors und der möglichen wirkungsorientierten Anlagen.

Wirkungsorientierte Anlagen

In der Schweiz gibt es 13 375 gemeinnützige Stiftungen mit einem Stiftungsvermögen von insgesamt etwa 100 Milliarden Franken. Von diesem Betrag ist der grösste Teil nicht frei verfügbar, sondern zweckgebunden investiert, etwa in Immobilien für Pflegeheime, in Museen oder in Bildungsinstitutionen. Es sind so­genannte operative Stiftungen, die selbst einen Betrieb führen oder eigene Projekte umsetzen. Vielen Räten dieser Stiftungen käme wohl nie in den Sinn, bei ihrem Vermögen von einer ­wirkungsorientierten Anlage zu sprechen. Aber genau das ist es – sogar in Reinform! Denn das Vermögen dieser Stiftungen wird unmittelbar für den gemeinnützigen Zweck der Stiftung eingesetzt, ohne dass der Stiftungsrat viel darüber entscheiden könnte.

Anders sieht es bei den anderen rund 68 Prozent der Stiftungen aus, die mehrheitlich aus dem eigenen Stiftungsvermögen ­heraus Organisationen und Projekte finanzieren. Hier galt lange der Grundsatz einer maximalen Rendite, das heisst, das Stiftungsvermögen sollte möglichst hohe Ergebnisse erzielen, damit viele Ressourcen für Ausschüttungen zur Verfügung stehen. Die geltende Praxis im Steuerrecht und die Orientierung an den BVV-2-Richtlinien2 begünstigten diese strikte Trennung zusätzlich. Nicht zuletzt durch die veränderten Finanzmärkte hat in den letzten Jahren aber ein Umdenken eingesetzt.

Die Stiftung als Wirkungseinheit

Im Swiss Foundation Code (SFC) wird die Stiftung als Wirkungseinheit bezeichnet. Das heisst, dass alle Aktivitäten der Stiftung sich an der Zweckerfüllung orientieren müssen. Damit soll verhindert werden, dass bei einer ausschliesslich auf Finanzrendite ausgerichteten Vermögensanlage durch Investitionen Effekte befördert werden, die letztlich dem gemeinnützigen Stiftungszweck zuwiderlaufen. Als minimaler Anspruch gilt auch hier der ethische Grundsatz, keinen Schaden zu verursachen («do no harm»).

Eine zeitgemässe Vermögensanlage muss sich deshalb nicht nur an Rendite, Sicherheit und Liquidität ausrichten, sondern zusätzlich auch die «Zweckrendite» berücksichtigen, also die Folgen der Vermögensanlage für den gemeinnützigen Zweck. Als Zweckrendite lässt sich der Nutzen bezeichnen, der aufgrund einer Investition von Vermögen im Sinne des Stiftungszwecks entsteht. Investiert eine Bildungsstiftung beispielsweise in einen Lehrbuchverlag, kann neben der möglichen finanziellen Rendite auch der Nutzen der Lehrmittel in den Schulen als Zweckrendite erfasst werden. Die Zweckrendite ist also nicht zwingend monetär zu bemessen, was ihre Beurteilung in der Praxis oft erschwert. Für viele Stiftungsräte bedeutet dies eine besondere Herausforderung, denn diese neue Anforderung an die Vermögensanlage setzt voraus, dass entsprechende Investitionen auch tatsächlich möglich sind. Es ist dabei noch eine weitere Einschränkung zu berücksichtigen: Die meisten Stiftungen haben nur sehr geringe Vermögenswerte. 80 Prozent der Stiftungen verfügen über ein Stiftungskapital von weniger als 3 Millionen Franken. Werden regelmässige Erträge für Ausschüttungen vorgeschrieben, beschränkt sich die Auswahl bei den Investitionen auf einige wenige Anlageklassen.

Kein Widerspruch

In Diskussionen über nachhaltige Anlagen wird oft die Frage gestellt, wie viel von der Finanzrendite man überhaupt aufgeben müsse. Eine Perspektive, die den Anschein erweckt, dass finanzielle Rendite und Zweckrendite im Widerspruch zueinander stehen. Auch wird vermutet, dass sich durch Nachhaltigkeit eine Verstärkung bei der finanziellen Rendite ergibt oder zu erwarten wäre. Beides ist nicht der Fall. Man sollte beide Renditen als sich ergänzende Faktoren betrachten: Wenn eine Stiftung nachhaltig investiert, muss die Summe aus finanzieller Rendite und Zweckrendite grösser sein als die blosse finanzielle Rendite einer konventionellen Investition.

Wie in der Abbildung ersichtlich wird, setzt eine echte Wirkungsorientierung voraus, dass die ökologische oder soziale Rendite messbar ist. Werden konventionelle Fonds schlicht durch solche mit ESG-Rating ersetzt, ist diese Bedingung nicht erfüllt, da ein einzelner Investor bei einem Fonds selten den Wirkungsgrad des eigenen Investments messen kann. Auch bei einem ESG-Fonds bleibt am Ende die Frage nach der finanziellen Rendite ­offen, immerhin eingepackt in etwas gutes Gefühl.

Wirkungsorientierte Anlagen dagegen ermöglichen einen direkten Bezug zum Stiftungszweck. Dies kann durch die Finanzierung von Infrastruktur, durch die Förderung unternehmerischer Aktivitäten oder durch Investitionen in spezifische Technologien geschehen. Anlagemethoden können von Darlehen über bestimmte Formen von Obligationen (Bonds) bis hin zu Eigenkapital gehen. Eine besondere Form sind Social- oder Development-­Impact-Funds, mit denen innovative soziale Leistungen durch private Geldgeber vorfinanziert und im Erfolgsfall durch den Staat rückvergütet werden. Auch gibt es bereits erste Immobiliengesellschaften, die ausschliesslich in Immobilien für Non-Profit-­Organisationen investieren. Die finanzielle Erwartung ist eine Rendite unter Markt; jedoch kann man genau nachverfolgen, welchen sozialen Einrichtungen die eigene Investition eine kostengünstige Bleibe ermöglicht hat. Auch bezüglich des Risikos sind bei wirkungsorientierten Anlagen verschiedene Stufen denkbar. Die Förderung eines Social-Start-ups ist hochriskant, während ein Darlehen für den Neubau eines Altenheimes wenig Ausfallrisiken hat.

Diskontierung von Zweckrendite und Ausschüttungen

Im Verhältnis zu den Ausschüttungen ist eine Zweckrendite wie eine Diskontierung zu verstehen. Der Stiftungsrat muss entscheiden, inwiefern die erhöhte Zweckrendite eine spätere geringere Ausschüttung rechtfertigt. Wenn in früheren Zeiten eine maximale Rendite ohne Rücksicht auf nichtfinanzielle Folgen der Investition getätigt wurde, bedeutete dies letztlich eine Diskontierung zugunsten der späteren Ausschüttung. Diese Variante ist gerechtfertigt, wenn mögliche zweckgefährdende Folgen der Investition als geringer einzustufen sind als die Folgen der zusätz­lichen gemeinnützigen Ausschüttungen zu einem späteren Zeitpunkt. Umgekehrt bedeutet die Investition mit Zweckrendite, dass die Erwartung an die geringeren späteren Ausschüttungen auf die positiven gesellschaftlichen Folgen der Zweckrendite ­diskontiert werden. Diese zeitlich verschobene und inhaltliche Aufrechnung lässt sich kaum in der Realität umsetzen. Als Gedankenstütze mag die Idee eines Wirkungszinses jedoch hilfreich sein, um Entscheide in der Vermögensanlage einer Stiftung neu zu denken.

Stiftungen sind von Natur aus auf langfristiges Handeln ausgelegt, insbesondere «auf Ewigkeit» angelegte Förderstiftungen. Auch bei der Christoph-Merian-Stiftung hat sich die gesellschaftliche Wirkung des Stiftungskapitals erst über Jahrzehnte herauskristallisiert; erst heute weiss man den Erhalt landwirtschaft­licher Flächen, die Vergabe von Baurecht statt Verkauf oder Bau von Sozialwohnungen richtig zu schätzen. Genauso sollte eine Stiftung, die in wirkungsorientierte Investitionen einsteigt, zuvor systematisch erarbeiten, welche Faktoren für sie von Bedeutung sind, welche Ziele verfolgt werden sollen, welche Risiken sie eingeht und welche eigenen Kompetenzen bestehen. Ansonsten läuft sie Gefahr, vor allem der entgangenen finanziellen Rendite nachzutrauern, anstatt die eigentliche Wirkung des Vermögens zu verstehen.

  1. Vermögensverwaltung und Nachhaltigkeit bei Schweizer Stiftungen, heraus­gegeben vom Center for Philanthropy Studies (CEPS) und der Globalance Bank (2021).

  2. Mit BVV 2 gemeint ist die Verordnung über die berufliche Alters-, ­Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge von 1984, http://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1984/543_543_543/de

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