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Aus dem Bichselland

Peter Bichsel: «Dezembergeschichten». Frankfurt a.M.: Insel, 2007.

Wenn Peter Bichsel in seiner aus dem dingnahen Dialekt geborenen Sprache einen Satz setzt, stehen am Jurasüdfuss die Uhren still. Oder schreibt er ihn, weil sie stillstehen? Dieses Büchlein jedenfalls hat nicht die Zeit gestaut, es ist eine Kompilation schon gedruckter Texte, mitunter zauberhafter Lesebuchgeschichten aus dem wohlvertrauten

Bichselland. Was Fontane mit halbem Recht Gottfried Keller vorgeworfen hat – er überliefere die ganze Welt seinem Kellerton − das gilt in ähnlichem Masse auch für Bichsel. Von seinen eigenartigen, trauriglustig-lakonischen Erzählungen lässt sich ohne weiteres auf den Autor schliessen, und umgekehrt wäre es bei hundert anderen ausgeschlossen, dass sie sie geschrieben haben könnten. Hier handeln sie, diese «Dezember»-Berichte, diese Impressionismen des Endes, von der Unfeierlichkeit der Feiertage, der Furcht vor der Heimsuchung durch eine Lotto-Million, den komischen Sinnlosigkeiten des Lebensvollzugs, den Sehnsüchten einer kargen Existenz, die in ein einziges Wort wie «Gossau» finden.

Nur in einem der zehn Texte kommt kein «Ich» vor. Bichsel, scheint es, erzählt stets von sich. Seine Geschichten stellen sich als erlebt und wahr dar. In einfachen Sätzen mit eingebautem, leicht verstecktem Hintersinn wird das Banale zum Besondern und Erzählenswerten erhoben, gelegentlich vom ästhetisch etwas langweiligen Standpunkt des «Guten Menschen» aus, wie ihn die Ringier-Kolumnisten so lieben. Man kennt das alles: die Geste der Hilflosigkeit und auch Uninteressiertheit gegenüber allem Grossen, Starken, Unbescheidenen, die Heiligung des Kleinen, Beiläufig-Alltäglichen; ferner ein bisschen Sozial- und Zeitkritik, die auf Wirklichkeitskritik gründet. Sein Missionieren hält sich wohl in höchster Diskretion; aber der Erkenntnisgewinn, denkt man sich, blüht doch recht vereinzelt. Dann aber die erwartet unerwarteten Sätze, die den Grauschleier leuchtend durchstrahlen. Der Erzähler nimmt es den Käfern in seiner Wohnung persönlich übel, dass sie ihn zwingen, sie umzubringen. Frauen, die er kennengelernt hat, misst er daran, ob er traurig sein könnte, wenn sie stürben. Oder eine grosse Wahrheit wie «Erzählen ist friedlich, und der wahre Frieden ist eine grosse und wunderbare Erzählung». Bichsel schafft es, im Leser Schmerzwut zu erwecken über den Idioten, der seinem gescheiten Sohn verleidet, die Josef-Geschichte vorzulesen. Er schafft es, immer aufs neue, auf drei Seiten eine Welt zu geben, die man so schnell nicht vergisst.

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