An Gaskraftwerken führt kein Weg mehr vorbei
Vanessa Meury, zvg.

An Gaskraftwerken führt kein Weg mehr vorbei

Die Schweiz ist auf zuverlässige Bandenergie angewiesen, die Photovoltaik, Wind und Biomasse nicht liefern können. Kurzfristig braucht es deshalb Gaskraftwerke, langfristig den Bau neuer Kernkraftwerke.

 

Visionen und Hoffnungen bestimmen seit Jahren die Schweizer Energiepolitik. Wunschdenken ist immer mehr an die Stelle von nüchternen Analysen getreten. Sie mögen es mir daher verzeihen, wenn auch ich mich vom Zeitgeist leiten lasse und diesen Text mit meinem eigenen Tagtraum beginne:

Vor einem Monat wurde im neuen KKW Mühleberg Aufrichte gefeiert. Die Bernerinnen und Berner hatten nämlich am 13. Februar 2011 dem Bau von Mühleberg 2 zugestimmt. Bundesrätin Simonetta Sommaruga musste von Amtes wegen an den Feierlichkeiten vor den Toren Berns teilnehmen, gar eine Rede halten. Die Anwesenden ahnten es: Es war für die Sozialdemokratin eher Pflicht als Freude. Von Euphorie war bei der Energieministerin jedenfalls nichts zu spüren. Ganz anders sah es bei den Vertretern der BKW, den Betreibern des neuen KKW, aus: Nach Jahren der Planung, der gehässigen politischen Auseinandersetzungen, der juristischen Kämpfe, Hürden und Verzögerungen während des Baus ist man endlich am Ziel angelangt: Das modernste Kernkraftwerk wird die Schweiz bald mit zuverlässigem Bandstrom versorgen. Zwar wird es noch gut zwei Jahre dauern, bis alle Sicherheitschecks gemacht und die letzten Arbeiten abgeschlossen sind. Doch das Werk steht und spätestens Anfang 2025 geht es ans Netz.

Von drohenden Stromengpässen in den Wintermonaten spricht niemand. Schliesslich hatte die Stimmbevölkerung 2013 den bewährten Strommix aus Wasserkraft und Nuklearstrom in einer Referendumsabstimmung mit 54 Prozent Ja-Stimmen bestätigt. Wasserkraft und Kernkraft, die beste Kombination von Versorgungssicherheit und Klimaneutralität, sollen auch in den kommenden Jahrzehnten für umweltfreundliche Stromversorgung sorgen. Bei Beznau 3 und KKW Niederamt sind die Bauarbeiten in vollem Gang. Spätestens 2028 wird die Schweiz über einen modernen Park an sicheren Kernkraftwerken verfügen.

Angesichts der steigenden Nachfrage nach Strom, ausgelöst durch die Dekarbonisierung der Mobilität und den rasanten Umbau der privaten Heizungen, ist man froh, dass die Schweiz auch in Zukunft über genügend inländische Stromproduktion verfügen wird. Schliesslich wächst die Bevölkerung stetig und die Digitalisierung nimmt weiter Fahrt auf. Glücklich ist man nicht zuletzt auch deshalb, weil mit dem Aus beim institutionellen Rahmenabkommen der Abschluss eines Stromabkommens mit der EU in die Ferne gerückt ist. Selbst Bundesrätin Sommaruga kam in ihrer Rede in Mühleberg nicht darum her­um, zu betonen, dass das neue Kernkraftwerk gerade zur rechten Zeit ans Netz gehe. Andernfalls hätte man wohl auf mehrere Gaskraftwerke setzen müssen, auch wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien noch so gute Fortschritte machen würde. «Angesichts der ambitionierten Klimaziele der Schweiz wären Gaskraftwerke ein Super-GAU gewesen», sagte Sommaruga zur gut gelaunten Gästeschar.

 

Wie man ohne Strom Nudeln kocht

Sie finden meinen Tagtraum unrealistisch? Vermutlich ist er näher an einer alternativen Realität, als Sie jetzt denken. Am Vorabend von Fukushima lagen dem Bundesrat drei Gesuche für eine Rahmenbewilligung neuer Kernkraftwerke vor. Die bestehenden Werke in Mühleberg, Beznau und Gösgen sollten ersetzt werden. Die damalige Planung sah vor, dass 2013 die wohl unausweichliche ­Referendumsabstimmung über die Bühne geht. Im Anschluss wären die Bauarbeiten gestartet. Zugegeben: Vielleicht wären die Werke ein paar Jahre später fertiggestellt worden, als ich es hier träumte. Doch alle drei würden sich im Bau befinden und in den kommenden Jahren ans Netz gehen.

Die Schweiz könnte beruhigt in die Zukunft schauen. Stattdessen dominieren in diesem Winter folgende Schlagzeilen den Blätterwald: «Frau Bundesrätin, gehen in der Schweiz demnächst die Lichter aus?», «Darum droht der Schweiz ein Strom-Blackout» oder «2000 kleine Gaskraftwerke sollen Blackouts in der Schweiz verhindern». Die Möglichkeit einer winterlichen Strommangellage ist zurzeit omnipräsent. Viele Medien fokussieren dabei auf Absurditäten, wie zum Beispiels Tips, wie man sich bei einer Strommangellage noch Nudeln kochen könne, anstatt die Frage aufzuwerfen, wie man sich in diese unmögliche Si­tuation manövriert hat. Vermutlich müsste man sich dann eingestehen, dass man selbst diesem fehlgeleiteten Kurs…