
Die Zukunft der Kernenergie ist klein und modular
Grosse Kernkraftanlagen bleiben komplex. Doch die Entwicklung neuartiger Reaktoren, die günstiger, sicherer und flexibler sein werden, läuft auf Hochtouren.
Wir schreiben das Jahr 2030. Soeben wurde Block 1 des Kernkraftwerks (KKW) Beznau nach 60 Betriebsjahren wie geplant vom Netz genommen. Im Gegensatz zur Freudenfeier mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei der Stilllegung des KKW Mühleberg 2019 konnte Bundesrat Albert Rösti hier die planerische Voraussicht loben, die es ermöglicht hat, dass die wegfallende Leistung des alten Kraftwerks von 365 Megawatt bereits durch ein neuerstelltes KKW der Klasse Small Modular Reactor (SMR) ersetzt werden konnte.
Als Ersatz für «Beznau 1» wurde 2026 der neuzertifizierte kleine modulare Reaktor vom Typ VOYGR-6 des US-Herstellers NuScale ausgewählt. Und zwar die Version mit sechs Reaktoren, die insgesamt 462 Megawatt elektrisch leistet. Die ganze Anlage konnte in nur drei Jahren erstellt werden, weil lediglich die äussere Gebäudehülle inklusive unterirdischen Lagers für die Reaktoren neu gebaut werden musste. Die Reaktormodule selbst wurden in der europäischen Zweigfabrik von NuScale serienmässig vorfabriziert und von dort einbaufertig angeliefert.
Verglichen mit den Sicherheitssystemen der alten Anlage bringt das auf «Beznau 3» getaufte neue KKW deutliche Vorteile: Ausgestattet mit sogenannten passiven Sicherheitsvorrichtungen sind alle unterirdisch platzierten Reaktorenmodule imstande, mit selbstregulierender Wasser- und Luftkühlung auch den schlimmsten Betriebsunfall ohne Schaden zu überstehen.
Hohe Auslastung, günstige Stromgestehungskosten
Attraktiv ist ausserdem die Flexibilität neuer Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Module, die alle unabhängig voneinander gesteuert werden können: Während einige die Grundlast des Strombedarfs rund um die Uhr abdecken, können andere den volatilen Stromertrag aus Solaranlagen ausgleichen, für die Fernwärmeproduktion (REFUNA) eingesetzt werden oder sogar Prozesswärme für das nahe gelegene Zementwerk liefern.
Weil beim VOYGR die Brennelemente nur alle zwei Jahre ausgewechselt werden müssen, kann die Arbeitsauslastung dieser Anlage auf über 95 Prozent gesteigert werden. Entsprechend günstig sind die Stromgestehungskosten. Zudem ist dieser Reaktortyp nicht von der Flusskühlung der Aare abhängig, was bei «Beznau 1» im Sommer manchmal zu Problemen führte. Und auch ein Kühlturm ist nicht nötig.
Bundesrat Rösti hat bei der Eröffnungsansprache zudem angekündigt, dass die Stromlücke, die durch die Stilllegung von «Beznau 2» im Jahr 2032 entsteht, durch einen Ausbau des VOYGR-6 zum VOYGR-12 mit zwölf Modulen und einer Gesamtleistung von 924 Megawatt kompensiert werden könne. Das ist möglich, ohne die schon bestehende Gebäudestruktur umbauen zu müssen. Die zwei alten Beznauer Kernkraftwerke werden so durch eine Anlage ersetzt, die über ein Viertel mehr Leistung hat und weniger Platz braucht, was sich positiv auf die Investitionskosten auswirkt.
Klar, diese ganze Geschichte ist erfunden, insbesondere die naive politische Annahme, die heute bestehenden Genehmigungshürden könnten in der Schweiz so rasch überwunden werden. Darüber hinaus aber beruht sie auf einem realistischen technologischen Fundament: dem bestehenden Konzeptentwurf eines fortgeschrittenen SMR von NuScale, dem viele Experten zutrauen, dass er sich am Markt als erstes durchsetzen könnte – vielleicht noch in diesem Jahrzehnt.
Was der Markt heute anbietet
Welche KKW sind aber heute auf dem Markt? Soeben fertiggestellt wurde in Finnland das leistungsstärkste KKW der Welt, der Reaktor «Olkiluoto 3» vom französischen Typ EPR (European Pressurized Reactor) mit einer Leistung von 1600 Megawatt – über viermal mehr als «Beznau 1». Und in Kürze wird das letzte von vier KKW in den Vereinigten Arabischen Emiraten fertiggebaut: Dabei handelt es sich um den südkoreanischen Typ APR-1400 mit einer Leistung von 1400 Megawatt.
Heute erhältlich sind also grosse KKW mit Leistungen ab 1000 Megawatt. Doch solche Kraftwerke zu bauen, erfordert hohe technische Kompetenz und Erfahrung, ihre Grösse führt zu hohen Investitionskosten und sie bilden sicherheitstechnisch gesehen ein Klumpenrisiko. Beim finnischen «Olkiluoto 3» ist das aus dem Ruder gelaufen: Sowohl die geplante Bauzeit als auch die Kosten wurden mehrfach überschritten, weil der französische Hersteller Areva während Jahrzehnten keine Reaktoren mehr gebaut hatte. Viel besser sieht es bei den Südkoreanern aus: Dort läuft alles nach Plan,…

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Dieser Artikel ist in Ausgabe 1109 – September 2023 erschienen. Er ist nur registrierten, zahlenden Nutzern zugänglich. Vollen Zugang erhalten Sie über unsere attraktiven Online- und Printangebote.
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