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Verludert das Geld, verludert die Gesellschaft
Beat Kappeler, fotografiert von Daniel Jung.

Verludert das Geld, verludert die Gesellschaft

Mit tiefen Zinsen und dem Aufkauf von Staatsanleihen haben Notenbanken eine verheerende Schuldenspirale in Gang gesetzt. Die Geschichte zeigt, wie wir zu solidem Geld zurückkehren können.

 

Den westlichen Gesellschaften sind die tragenden Werte abhandengekommen. Wann und wie, das sah kaum jemand. Die Korrumpierung der Werte wurde möglich durch die Korrumpierung des Geldes. Die Notenbanken haben seit der Finanzkrise 2008/09 die Macht ergriffen und den Fiskalpolitikern erlaubt, Riesenschulden mit Tiefzinsen einzugehen, um die Bevölkerung am Gängelband der Direktzahlungen zu halten. Demokratische Entscheide wurden ausgehebelt, ebenso wie der Ehrbegriff, dass Ausgaben zu bezahlen sind. Opfer wurden der Geldwert, die Solidität von Staaten und Firmen, die Sparer und die Vermögensverteilung. Niemand sah, wann und wie dies passieren konnte. Es lohnt sich daher, die Entscheidungen der Notenbanken und Budgetpolitiker nachzuzeichnen. Das öffnet den Blick für eine mögliche solidere Zukunft des Geldes.

In der Finanzkrise halfen die Staaten dem ewig unstabilen, privaten Buchgeld vervielfachenden Bankensystem mit Milliarden; die Schweiz stützte die UBS. Dann aber waren alle Staaten im Dollar- und Euroraum überschuldet. Anstatt Banken und Budgets hart zu sanieren wie in Island, entschloss sich die US-Notenbank Fed im November 2010 zu riesigen monatlichen Käufen von Staatsschulden, der Präsident der Europäischen Zentralbank EZB, Mario Draghi, folgte am 26. Juli 2012 mit seinem berühmten «Whatever it takes». Ohne Not fuhren diese Zentralbanken fort, bis Staatsschulden im Wert von 7000 bis 8000 Milliarden Dollar vom Markt genommen und die Zinsen gegen Null gedrückt waren. Die solidere Schweizerische Nationalbank wehrte die dadurch drohende Frankenaufwertung ihrerseits mit einer Geldschöpfung um Hunderte Milliarden ab. Die Wertpapierkurse vervierfachten sich, während die Sparer bis heute mit Brosamen abgespiesen werden.

 

Federstriche einsamer Komitees

Das ganze Gesellschaftssystem, Staaten und Firmen (nun oft Zombie-Firmen), waren von nun an auf Schulden und Billigzinsen angewiesen, und jede Erschütterung durch externe Schocks oder einen Börsencrash würde neues Unheil bringen. Als in der Pandemie ganze Volkswirtschaften stillgelegt wurden, brachen alle Dämme: Am 18. März 2020 verkündete die EZB, sie werde erneut Staatsanleihen über 750 Milliarden Euro aufkaufen. Das Fed folgte fünf Tage später mit umfassenden Kreditversprechen an alle – den Staat, Firmen und Private. Schon drei Tage später setzten sich in beiden Währungsräumen Budgetpolitiker zusammen, um die entsprechenden Ausgabenprogramme zu formulieren. Das Sahnehäubchen steuerte der Internationale Währungsfonds bei – er schuf am 23. August 2021 Sonderziehungsrechte im Betrag von 650 Milliarden Dollar, also neues, aus dem Nichts geschaffenes Kreditgeld für die Staaten untereinander. Dieser grössten Geldschöpfung der Weltgeschichte stimmten auch die Nationalbank und das Finanzdepartement der Schweiz zu. Diese Entscheidungen waren alles Federstriche einsamer Komitees.

 

Alles ist anders geworden

Die Folgen liessen nicht lange auf sich warten. Inflation von zehn Prozent kam auf. Die Aufrechterhaltung des Staatsbetriebs läuft in vielen Ländern nur noch mit neuen Schulden und tiefen Zinsen, welche das Fed und die EZB gerade jetzt wieder in Aussicht stellen. «Tiefe Zinsen erzwingen tiefe Zinsen für immer», folgert der britische Finanzhistoriker Edward Chancellor in seinem Buch «The Price of Time». Erodiert ist die Selbstverantwortung durch die Bürger, denn in der EU und den USA wurden die Haushalte mit nie gesehenen Direktzahlungen für Inflation, Energiepreise, sowie die Firmen für ausfallende Umsätze voll entschädigt. Recht, Treu und Glauben sind verletzt. Als das deutsche Verfassungsgericht den EU-Gerichtshof (EuGH) rügte, weil er die frivole Geldschöpfung der EZB und die vertraglich verbotene Stützung der Mitglieder billigte, klagte die EU-Kommission Deutschland vor ebendiesem EuGH an. Im August 2021 aber unterwarf Merkel den deutschen Staat per Brief dem EuGH, vorbei am eigenen Verfassungsgericht und Bundestag.

Zusammen mit Infrastruktur- und Chipsubventionen, mit gestrichenen Studienschulden in den USA wurden in beiden Währungsräumen um die 4000 Milliarden aufgeworfen – und die Staatsschulden überschritten 100 Prozent des Sozialprodukts. Der von John Maynard Keynes erwartete Multiplikator solcher Defizite – dass ein hinausgeworfener Dollar die Wirtschaft um ein Vielfaches ankurble – fiel auf unter 1. Das heisst, die Sozialprodukte wuchsen um weniger als die neuen Staatsschulden. Wie man diesen Herbst bei den Budgetplanungen in den USA, Frankreich, Italien, Spanien oder Grossbritannien für 2025 sieht, gibt es kaum mehr Spielraum zum Geld verteilen oder für neue Defizite. Der Ameisenstaat ist hier, alle hängen am Tropf eines Superstaates, und dieser wiederum ist auf Gedeih und Verderben vom Wohlwollen der Notenbanken abhängig.

«Alle hängen am Tropf eines Superstaates, und dieser
ist vom Wohlwollen der Notenbanken abhängig.»

 

In historischer Parallele hat Draghi das gescheiterte Experiment von John Law in Frankreich (1716–1720) getreu kopiert: Der schottisch-französische Ökonom kaufte die im Kurs gesunkenen Staatsschulden zum Vollwert auf und schöpfte dafür Geld. Er subventionierte die Käufer von Aktien seiner «Banque Générale» mit Krediten und trieb die Kurse der Börsen in immer neue Höhen. So auch Draghi: Die EZB hat die Banken mit Negativzinsen für ihre neu erteilten Kredite subventioniert, und, wie in der Schweiz, die Sparer dafür mit Negativzinsen zur Kasse gebeten. Wie damals bei Law in Frankreich, stellte sich die EZB schützend über die Staatsdefizite und entband somit die Politiker ihrer Verantwortung zur Sanierung der Schuldenlage. Gleiches geschah in den USA. Fiskalpolitik und Geldpolitik sind verschränkt. Bei Inflation und Schuldenkrisen bezahlen am Ende immer die Gläubiger.

 

Karl der Grosse als Vorbild

Solide Geldverfassungen gab es in der Geschichte mehrere. Zum Beispiel den Denar Karls des Grossen von 793, der 1,7 Gramm Silber enthielt und im «finsteren Mittelalter» während rund 300 Jahren zirkulierte. Oder den Fiorino d’oro, die mittelalterliche Goldmünze aus Florenz, die mit gut 3 Gramm Gold ebenfalls 300 Jahre Gültigkeit hatte. Zeitlich etwas näher bei uns kam die Mark Banco auf, als in den Wirren des Dreissigjährigen Krieges eine Bank in Hamburg Silbereinlagen (Barren und Münzen) entgegennahm, und dafür Geldscheine ausstellte. Diese Währung unter Privaten zirkulierte von 1621 bis 1873, unabhängig vom Staat, nur mit diesen Gutschriften, das Metall ruhte im Tresor.

Damit hätten wir die Alternativen – einen neuen Goldstandard zuerst. Die Notenbanken würden den Goldpreis unter sich durch stete Interventionen wie 1961 bis 1968 auf dem Goldmarkt stabilisieren, dem freien Kurs auch nachführen (also auf- und abwerten), und die Noten in barem Gold am Schalter garantieren. Neuerdings kaufen alle Notenbanken wieder Gold. Vielleicht tut sich was.

Die zweite Variante wäre private Selbsthilfe, etwa in Form des RealUnit aus Zug. Wie in Hamburg legt die gleichnamige Aktiengesellschaft das einbezahlte Buchgeld in Metallen, Rohstoffen, einigen Aktien an, also realen Werten, und alles ausserhalb des Banksystems gelagert. Der RealUnit kann dann als Zahlungsmittel und als stabiles Wertaufbewahrungsmittel genutzt und überwiesen werden, schliesslich auch als Token auf der Blockchain.

Die dritte Variante sind die privaten Geldsysteme der Kryptowelt auf der Blockchain. In der Menge limitiert wie Bitcoin, damit sozusagen Goldstandard, oder Ethereum als Blockchain für Tokens, welche dereinst Wertpapiere, Börsen, Banken ersetzen können.

Digitales Geld durch die Notenbanken selbst würde die Grundsätze des freien, liberalen Wirtschaftens vollends abschaffen: die Einlagen des Publikums wären manipulierbar über Verzinsung, allenfalls über Amputation oder Sperrung von Konten (für Fehlverhalten und Sanktionen aller Art), und wenn die Zentralbank dann anstelle der Banken Kredite erteilt, entscheidet ein neuer sowjetischer «Gosplan» über Investitionen und Innovationen.

Die Konten auf Banken sind ja kein Geld, sondern nur Zahlungsversprechen, weshalb jede geldschöpfende Bank letztlich ein Schneeballsystem ist. Dem können private Vermögensbanken und die Postfinance entfliehen, welche die Buch«geld»einlagen der Kunden in Wertpapiere direkt und auf deren Risiko anlegen, den Rest bei der Notenbank als «Sichtguthaben» deponieren, also in echtes gesetzliches Zahlungsmittel umwandeln.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine «Narrow Bank», wie in den USA von Privaten angedacht, welche Buchgeldeinlagen annimmt und ausschliesslich bei der Notenbank als Sichteinlagen deponiert. Das brächte dem Sparer heute in den USA 5 Prozent Zins, in der Schweiz 1,25 Prozent. Am Notenbankgeld hängen sie aber weiterhin.

 

Pfusch-Geldsysteme

Es gibt also Wege, die Solidität wieder zu gewinnen, privat und im Wettbewerb der Lösungen. Die staatlichen Zwangsgeldsysteme haben die Marktwirtschaft abgeschafft, insbesondere den Zins als freie Steuerung. Sie haben eine Schuldenmasse aufgebaut, die dem Westen bei jeder kommenden Krise um die Ohren fliegen wird. Sie haben Erwartungen an Direktwohltaten an die Haushalte ausgelöst, die nie und nimmer zu bezahlen sind, ausser mit neuen Schulden. Diese Geldsysteme sind Pfusch; das Dollar-Gold-System von 1944 hielt bis 1971 ganze 27 Jahre, jenes des Euro bis zu seiner Krise 2010 elf Jahre. Federstriche ohne Demokratie haben sie weitergeschleppt. Federstriche können aber die Realität nicht für immer übertölpeln.

 

Dieser Beitrag basiert auf dem neuen Buch von Beat Kappeler, «Geld in falschen Händen. Überschuldete Staaten, haltlose Notenbanken schrauben am Geldwert. Analyse – Geschichte – Ausblick auf solidere Zeiten», ab sofort erhältlich im Buchhandel.

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