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Warum wir gerne irrationale Politik unterstützen

Protektionismus ist ineffizient, aber trotzdem sehr beliebt bei den Wählern. Nicht weil diese dumm wären, sondern weil es sich für den Einzelnen nicht lohnt, sich gut zu informieren. Politiker wissen das auszunutzen.

Warum wir gerne irrationale Politik unterstützen
Altes Stahlwerk in Bethlehem im Rust Belt der USA, Bild: Wikimedia.

Eine Zeit lang hatte ich mir eine strenge Regel gesetzt: nur Bücher von bereits verstorbenen Autoren zu lesen. Dahinter stand die Idee, dass die Zeit die lesenswerten Bücher auswählt und die anderen aussortiert. Wenn ein heutiger Autor wirklich interessant ist, wird er es auch in zwanzig Jahren noch sein.

Beim Lesen alter Bücher hatte ich oft das verstörende Gefühl, darin Argumente von erstaunlicher Aktualität zu finden. Zu den Autoren, deren Relevanz die Zeit überdauert, gehört ganz besonders der Ökonom Frédéric Bastiat (1801–1850).

Bastiat interessierte sich bereits für die Ursachen, die dazu führen, dass eine Gesellschaft wirtschaftlich irrationale Entscheidungen trifft. Er versuchte, seine Leser darauf aufmerksam zu machen, dass «eine Handlung nicht nur eine Wirkung hat, sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste sofort sichtbar; sie tritt gleichzeitig mit ihrer Ursache ein, man sieht sie. Die anderen folgen erst später, man sieht sie nicht.»

Auf Zölle angewendet, lautet die Argumentation: Wenn Trump beschliesst, neue Handelsbarrieren einzuführen mit der Begründung, er wolle die Amerikaner in einem bestimmten Sektor vor der chinesischen Konkurrenz schützen, ist das sichtbar. Diese Massnahmen werden jedoch indirekte negative Folgen haben, etwa Inflation oder Gegenmassnahmen des sanktionierten Landes. Diese Massnahmen werden einen Sektor und Arbeitnehmer treffen, die nichts dafür können. Letztlich wird diese Politik insgesamt negative Auswirkungen auf das Land haben. Das ist es, was man nicht sieht.

Rationale Ignoranz

In einer Studie haben der Ökonom David Autor und seine Kollegen die Auswirkungen der Zollbarrieren in Trumps erster Amtszeit auf seine Wähler untersucht. Die Zölle waren in wirtschaftlicher Hinsicht wenig überzeugend – politisch aber ein voller Erfolg. So sind die «Bewohner der am stärksten von Zöllen betroffenen Regionen» trotz der Tatsache, dass die Schutzmassnahmen weder Arbeitsplätze in ihre Region zurückgebracht noch ihr Einkommen erhöht haben, «diesen Massnahmen gegenüber positiver eingestellt, weniger geneigt, sich als Demokraten zu bezeichnen, und eher bereit, erneut für Donald Trump zu stimmen».

Dieses Paradoxon könnte man dadurch zu erklären versuchen, dass die Wähler die Zusammenhänge nicht verstünden und sich irrten. Das trifft sicherlich auf einen Teil von ihnen zu, aber im Allgemeinen ist diese Erklärung unzureichend. In «The Myth of the Rational Voter» liefert der Ökonom Bryan Caplan einen Teil der Antwort. Seiner Meinung nach herrscht in der Politik eine «rationale Ignoranz», die dazu führt, dass sich die Wähler nicht gründlich informieren, weil ihre einzelne Stimme wenig Einfluss hat. Im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen, wo ein Fehler persönlich teuer sein und zu Konkurs oder Trennung führen kann, entstehen den Wählern in der Politik keine persönlichen Kosten, wenn sie falsche oder voreingenommene Überzeugungen äussern. Wir haben daher wenig Anreiz, unsere Vorurteile zu korrigieren, und ziehen es vor, uns mit unserer Stimmabgabe etwas Gutes zu tun.

Angesichts unserer Irrationalität haben Politiker, die gewählt werden wollen, kein Interesse daran, den Wählern zu sagen, dass sie sich irren – im Gegenteil: Sie haben jedes Interesse daran, populäre Vorurteile zu bestätigen. Caplan zitiert Analysen, gemäss denen selbst eine bessere Bildung die tief verwurzelten emotionalen Überzeugungen nicht beseitigen kann.

«Haben Politiker, die gewählt werden wollen, kein Interesse daran, den Wählern zu sagen, dass sie sich irren – im Gegenteil: Sie haben jedes Interesse daran, populäre Vorurteile zu bestätigen.»

Wenn wir die Spielregeln nicht ändern, wird die «rationale Ignoranz» in der Demokratie bestehen bleiben. 

Diese Kolumne erschien zuerst auf Französisch in «Le Temps».

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