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Neue Rollenbilder machen Unternehmerinnen
Isabelle Veser, zvg.

Neue Rollenbilder machen Unternehmerinnen

Noch immer ist die Mehrheit der Unternehmensgründer männlich. Damit sich das ändert, brauchen Frauen weibliche Vorbilder.

Männer machen Karriere, Frauen bleiben zu Hause. Dieses Bild ist veraltet und überholt. Heute ist es komplett normal, dass Frauen in der Berufswelt unterwegs sind oder gar Unternehmen leiten. Dennoch sind die meisten Unternehmensgründer noch immer Männer – ein Phänomen, das diesen Wertewandel überdauert hat und zu hinterfragen ist.

Die Philosophin Simone de Beauvoir schrieb einst in ihrem Buch «Das andere Geschlecht»: «Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen.» Das sind harte Worte einer hochintelligenten Frau, die damals dafür kämpfte, Anerkennung als weibliche Wissenschafterin zu ernten. Dass sich die heutige Gesellschaft im Zuge der Emanzipation der Frau verändert hat, ist eine positive historische Kehrtwende. Frauen sind nicht mehr dazu verpflichtet, den Haushalt zu machen oder die Erziehung von Kindern allein zu bewältigen. Sie ziehen es oft vor, ihrer Karriere nachzugehen. Auf sozialen Medien flimmern bereits Werbungen für die Einfrierung von Eizellen über unsere Monitore, so dass Frauen die Möglichkeit, Mutter zu werden, lange hinauszögern können.

Als Nachfolgerin des von meiner Mutter gegründeten Bauträgerunternehmens stand mir der Weg ins Unternehmertum weiter offen als manch einer anderen Frau. Während mein Ururgrossvater sowie mein Urgrossvater auch Unternehmer waren und meine Grossmutter eine Zeitlang selbständig war, ist meine Mutter die erste Frau in der Familie, die ein Unternehmen gegründet hat. So war es mir vergönnt, hautnah miterleben zu dürfen, wie viel Courage und Durchsetzungsvermögen es braucht, ein Unternehmen in einer männerdominierten Branche aufzubauen. Doch auch als Nachfolgerin ist man gefordert: Man muss sich gegenüber der Familie durchzusetzen wissen und dabei die Balance bewahren zwischen dem Einbringen des eigenen Inputs und der Bewahrung des familiären Zusammenhalts.

Nichtsdestotrotz fragte ich mich selbst, weshalb es so wenige Unternehmerinnen gibt. An mangelnder Kompetenz liegt es nicht. Aber woran dann? Ich begebe mich hier auf die Suche nach möglichen Erklärungen.

Gesellschaftliche Vorgaben

Der erste Erklärungsversuch lautet, dass Familien Mädchen anders erziehen als Jungs. Mädchen werden als von Natur aus sensibler, empfindsamer und zerbrechlicher als das männliche Geschlecht dargestellt. Buben hingegen gelten oft als stark und kämpferisch. Sowohl Männer als auch Frauen werden in Schubladen gesteckt, ohne selbst über ihre Klassifizierung mitzuentscheiden, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was Männlichkeit und Weiblichkeit eigentlich bedeuten. Die Gesellschaft gibt vor, bewusst oder unbewusst, wie wir uns zu verhalten haben. Der Mensch, der Teil der Gesellschaft sein will, fügt sich diesen Vorgaben, um keinen sozialen Ausschluss zu erleiden. Durch diesen unsichtbar auf uns allen lastenden Druck wird von Männern erwartet, dass sie beschützen, um etwas kämpfen, sich durchsetzen und Aufgaben erledigen – selbst wenn das deutlich über ihren Fähigkeiten liegt. Viele Frauen sind allerdings durch ihre Erziehung oder die sie prägende Schulzeit etwas zurückhaltender, trauen sich weniger zu, obschon sie eventuell sogar höhere Qualifikationen als ihre männlichen Konkurrenten besitzen.

Der zweite mögliche Einfluss auf das Selbstvertrauen einer Frau liegt in den fehlenden Vorbildern im Familienumfeld. Wenn es kein Familienmitglied gibt, das ein Unternehmen gegründet hat, fällt es oft schwer, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Denn vornehmlich orientieren sich Kinder an bestimmten Verwandten, die als Vorbild fungieren. Auch ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, etwas zu gründen oder in ein Unternehmen einzusteigen, wenn niemand in meiner Familie Unternehmer gewesen wäre, da die Unternehmensgründung oder -führung schlichtweg nie ein Gesprächsthema gewesen wäre. Zudem ist eine finanziell gut ausgerüstete Familie hilfreich für eine eigene Unternehmensgründung, so dass man sich weniger vor dem Scheitern eigener Projekte fürchtet.

Mein dritter Erklärungsversuch besagt, dass die Vermeidung von Risiken relevant für Frauen bleibt. Frauen sind gebärfähig und denken häufig an die Erziehung und den Schutz der eigenen Kinder. Die Schwangerschaft kann für Frauen eine harte Zeit einläuten. In gewissen Fällen wird ihnen sogar Bettruhe verordnet. Zwar gibt es den sogenannten Mutterschutz, aber in einigen Ländern werden Selbständige nicht bezahlt. In der Schweiz ist das zwar nicht der Fall, aber trotzdem kommen die ausgezahlten Beträge mit einer zeitlichen Begrenzung. Die Führung eines Unternehmens kann nicht einfach irgendjemandem übertragen werden, da diese mit viel Verantwortung und Vertrauen verbunden ist. Solche Schwierigkeiten zu ignorieren, birgt Risiken für Unternehmen. Ein Mann ist in dieser Hinsicht klar im Vorteil.

Es braucht Aufklärung und Unterstützung

Dass mehr Männer in der Start-up-Szene vorzufinden sind, muss nicht immer nur an ihrer Erziehung, Schulzeit oder an den fehlenden Mutterinstinkten liegen. Die Wahl des Studiums oder der Ausbildung kann nicht ausser Acht gelassen werden. Technische Studien­gänge oder Ausbildungen werden überwiegend von Männern abgeschlossen. Dementsprechend herrscht ein Über­schuss an Männern in solchen Bereichen. Folglich entsteht der Eindruck, dass fast ausschliesslich Männer Start-ups gründen wollen. ­Daher sollte das Ziel unserer Gesellschaft sein, mehr universitäre Programme anzubieten, die Frauen über die Unternehmensgründung aufklären. Ferner sollte der Staat Frauen mehr oder länger unterstützen, wenn es um den Mutterschutz geht.

«In einer freien Gesellschaft sollte niemand ­gezwungen werden,

sich zwischen der Rolle der Mutter und der Karrierefrau zu entscheiden.»

Es fehlen also definitiv Unternehmerinnen, die andere Frauen dazu ermutigen, denselben Weg zu gehen. Jedoch sollten wir uns daran zurückerinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit Frauen in der Schweiz oder auch in Deutschland nicht mal wählen durften. Doch Fortschritt gab es und wird es geben. In einer freien Gesellschaft sollte niemand gezwungen werden, sich zwischen der Rolle der Mutter und der Karrierefrau zu entscheiden. Was spricht dagegen, dass man beides sein kann? Freiheit bedeutet, das zu machen, was man will – unabhängig vom Geschlecht.

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