Licht am Ende des Tunnels
Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels im Dezember 2016 wird nicht nur in geologischer und verkehrstechnischer Hinsicht ein epochaler Durchbruch sein. Für den Kanton Schwyz kann diese neue Verbindung positive Effekte auslösen. Worauf muss sich der Kanton einstellen?
«Man sagte mir, am Ende des Tunnels sei Licht. Doch man verschwieg mir, dass es der Zug war!» Dieser alte Witz, eine Anspielung auf enttäuschte Hoffnungen, entfaltet seine Wirkung immer noch. Positive Gefühle sind dennoch angezeigt, wenn ein Schweizer Jahrhundertwerk wie die Neue Alpentransversale (Neat) eine neue, entscheidende Etappe erfährt. Der Gotthard-Basistunnel, mit seinen 57 Kilometern Länge das Herzstück der Neat, schlägt nicht nur den Rekord als längster Eisenbahntunnel der Welt, sondern eröffnet ab 2016 für den Nord-Süd-Verkehr verheissungsvolle Perspektiven. Für den Kanton Schwyz, ideal gelegen auf dieser historisch schon immer rege frequentierten Route, werden die Lichter entgegenkommender Züge positiv konnotiert sein.
Ein kurzer Blick zurück
Mit der Eröffnung der Schöllenenstrasse im Jahr 1231, die den Zugang zum Gotthardpass erst ermöglichte, setzte eine rege Handelstätigkeit zwischen den heutigen Gebieten Deutschland und Italien ein. Bis anhin benutzte man noch die alten, zum Teil schon bei den Römern bekannten Verbindungswege über die Alpen. Die strategisch und transporttechnisch überragende Lage des Gotthardmassivs, gelegen zwischen Rhein- und Poebene, war und ist zentral für die Entwicklung des Nord-Süd-Transports. Der Kanton Schwyz liegt mitten in dieser seit Jahrhunderten vielbefahrenen nördlichen Handelsroute vom Rheinland und von Basel her. Die Stärkung der Gotthard-Handelsroute zwischen den aufblühenden Wirtschaftsregionen auf in Gebieten der heutigen Lombardei, Deutschlands und Flanderns als direkteste Verbindung für den Fernhandel begünstigte unter anderem die demographische und wirtschaftliche Entwicklung im Kanton Schwyz.
Der Einfluss leistungsstarker Verkehrswege
Nächstes Jahr wird die Verbindung mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels eine neue Dimension erreichen. Das Jahrhundertprojekt generiert zusätzliche Investitionen in die Bahninfrastruktur. Bereits im August dieses Jahres hat der Bund den Spurausbau von Walchwil in Richtung Zug bewilligt. Falls keine Beschwerden eingereicht werden, brauchen Züge ab dem Jahr 2020 eine Stunde weniger zwischen Zürich und dem Tessin. Der Bau einer 1,7 Kilometer langen Doppelspur schlägt mit neunzig Millionen Franken zu Buche. Im Zuge dieser Investition sind Massnahmen zum Schutz des Bahntrassees vor Naturgefahren in Arth und Umgebung genehmigt.
Schon begonnen hat der Ausbau des Bahnhofs Arth-Goldau. Die Investitionssumme beträgt 52 Millionen Franken. Es geht um die Erneuerung und den Neubau von Unter- und Überführungen, aber auch von Bachdurchlässen sowie die Anpassungen von Tunnels, um den Einsatz von Doppelstockwagen zu ermöglichen. Züge von Zürich ins Tessin sollen im Halbstundentakt fahren. Dadurch wird der Kanton Schwyz schneller erreichbar. Diese Tatsache kann die Attraktivität des Kantons für Firmen und Menschen als Wirtschafts- und Lebensraum steigern. Zumindest theoretisch. Die gemachten Erfahrungen mit dem seit acht Jahren in Betrieb stehenden Lötschberg-Basistunnel deuten in diese Richtung, wenn auch positive Auswirkungen sich nicht von alleine einstellen, sondern aktiv gestaltet werden müssen. Das lehrt die jüngste Wirtschaftsgeschichte. Von einem Blick ins Wallis kann Schwyz profitieren.
Auswirkungen des Lötschberg-Basistunnels
Der 34,6 Kilometer lange Lötschberg-Basistunnel zwischen dem Berner Oberland und dem Wallis ist seit dem 16. Juni 2007 in Betrieb. Gebaut als Etappe der Neat ist dieses Werk eine ebenso wichtige Massnahme zur Realisierung des Verlagerungsziels im Güterverkehr wie der Gotthard-Basistunnel. Eine im Jahr 2012 vom Bundesamt für Raumentwicklung präsentierte Studie zu den verkehrstechnischen und räumlichen Auswirkungen des Lötschberg-Basistunnels hat interessante Aspekte zutage gefördert. So wurden im Personenverkehr zwischen 2007 und 2011 rund 74 Prozent mehr Frequenzen gemessen als vor der Eröffnung. Die touristische Wertschöpfung für das schnell erschlossene Wallis schlägt mit einem Zuwachs von über einem Prozent zu Buche. Gerade im Bereich der Parahotellerie ergaben sich Hinweise auf einen sprunghaften Anstieg von Übernachtungen im Kanton Wallis.
Die durch den Tunnel signifikant verbesserte Erreichbarkeit hat die Beschaffungs- und Absatzmärkte auf beiden Seiten zwar vergrössert, wenn auch die Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung im Berner Oberland und in der Region Brig-Visp-Naters geringer ausfielen, als allgemein anzunehmen war.
Die Walliser Gemeinde Visp stellt offensichtlich eine Ausnahme dar. Seit der Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels ist diese Gemeinde signifikant gewachsen: Verharrte die Bevölkerung vor 2006 lange konstant bei rund 6500 Einwohnern, stieg die Population danach auf über 7500. Das ist ein Wachstum von rund 15 Prozent. Als Konsequenz stiegen die Mieten in dieser Periode um dreissig Prozent. Für den Visper Gemeindeschreiber Thomas Anthamatten hat der Neat-Tunnel viele positive Effekte gebracht: «Unsere Gemeinde ist zu einem verkehrstechnischen Vollknotenpunkt geworden. Das hat die Attraktivität in dem Masse gesteigert, dass der Wohnungsbau überdurchschnittlich gewachsen ist. Mit 8500 Arbeitsplätzen in unserer Gemeinde gelten wir als unangefochtenes Wirtschaftszentrum des Oberwallis.» Diese Entwicklung hat die Stadtväter zu einem «Masterplan Visp» inspiriert, der in diesem Jahr präsentiert wurde und neben raumplanerischen Anpassungen auch den Bau von Hochhäusern vorsieht. Verdichtetes Bauen ist künftig angesagt.
Was bedeutet dies für den Kanton Schwyz im Vorfeld der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels?
Die Chancen frühzeitig sehen und anpacken
Der Kanton Schwyz hat sich in den letzten Jahrzehnten vom Agrarkanton hin zu einer Industrie-, Finanz- und Dienstleistungsregion gewandelt. Verbesserungen im Verkehr – wie zum Beispiel die Autobahn durchs Säuliamt als Westumfahrung Zürichs – haben das Gebiet besser erschlossen und sowohl für Unternehmen wie auch für Menschen attraktiv gemacht. Für den Schwyzer Regierungsrat Kurt Zibung wird die Neat-Eröffnung im nächsten Jahr neue Perspektiven eröffnen (siehe dazu das Interview auf Seite 6). Eine deutliche Zunahme von Eintragungen italienischer Unternehmen im Handelsregister bestätigt diesen Optimismus. Der Kanton hat schon früh, bereits ab 2004, Veranstaltungen im wirtschaftsstarken Mailand und weiteren Gebieten der Lombardei veranstaltet. Mit der Verkürzung der Reisezeit zwischen Norden und Süden öffnet sich das Einzugsgebiet.
Ob die neue, schnelle Verbindung dank des Gotthard-Basistunnels für den Kanton Schwyz konkrete wirtschaftliche Vorteile bringt? Eine denkbare Antwort dazu ist mehr als nur ein Wortspiel: Die Frage steht im Raum – im Schwyzer Wirtschafts- und Lebensraum.