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«Wer alles möchte vom BAG gerettet werden?»

An der Vernissage der neuen «Q»-Heftausgabe kam es zwischen Stefan Homburg, Daniel Koch, Marco Rima, Reiner Eichenberger und Andreas Thiel zu einem emotionsgeladenen Schlagabtausch über die Aufarbeitung der Coronazeit.

«Wer alles möchte vom BAG gerettet werden?»
Podiumsdiskussion am Coronaevent, fotografiert von Joanna Joos

Über 100 Menschen haben sich an diesem sommerlichen Mittwochabend im «SHED»-Lokal in Zug eingefunden, um einer Diskussionsrunde zu lauschen – die es in sich haben wird. Dabei sind mit Finanzwissenschaftler Stefan Homburg, Comedian Marco Rima, Ökonom Reiner Eichenberger und Satiriker Andreas Thiel alles Leute, welche die Regierung für ihre Massnahmen kritisiert haben.

Eigentlich wollte der Schweizer Monat eine Debatte mit jeweils zwei Kritikern und Befürwortern veranstalten. Doch es folgte vonseiten der Befürworter eine Kaskade von Absagen, zumeist aus terminlichen Gründen – die Zuger Zeitung hat in einem Artikel darauf hingewiesen. Chefredaktor Ronnie Grob las in seiner Anmoderation aus Absagemails vor, etwa von Karl Lauterbach, Anne Lévy, Natalie Rickli, Lukas Engelberger oder Marcel Salathé. Die einzige löbliche Ausnahme unter den vielen Absagen war Daniel Koch, ehemaliger Leiter der Abteilung «Übertragbare Krankheiten» beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er sollte an diesem Abend der einzige Vertreter der Massnahmen-Befürworter sein.

Nach einer kurzen Anmoderation wurden die Teilnehmer angehalten, jeweils ein fünfminütiges Eingangsstatement mit ihrer Sicht auf Corona abzugeben. Laut Koch bedarf es unbedingt einer Aufarbeitung der Pandemie; es gelte zu fragen, wie es zu dieser Spaltung in dieser Gesellschaft gekommen ist – wobei Koch Corona nicht als eigentlichen Auslöser sieht. Homburg hegt grundsätzlich Zweifel, dass es eine Pandemie gab – mit Verweis auf die klinischen Daten in Deutschland. Thiel folgte dem und folgerte, dass während dieser Zeit eigentlich alles schief lief; die einzige gute Nachricht sei, dass wir es glücklicherweise nicht mit einem Killervirus zu tun gehabt hätten.

Laut Eichenberger sei Corona eine Art «Politikmode» gewesen. Jene, die die Regierung als Erste kritisiert hatten, seien zum Abschuss freigegeben worde. Es bedürfe einer institutionalisierten Form des «Advocatus Diaboli», womit versucht werde, die Regierung mit den besten Argumenten zu widerlegen. Rima sprach in seinem Statement von seinen Erfahrungen, wie er als Massnahmenkritiker beleidigt und ausgegrenzt wurde. Dabei hatte er nur drei Anliegen: Respekt, freie Meinungsäusserung und Kritik an den Notstandsartikeln.

Nach diesen Statements startete die Diskussion. Auf Grobs Frage, weshalb die Massnahmenbefürworter nicht über die von ihnen verantworteten Massnahmen sprechen wollen, meinte Koch, dass das viel damit zu tun hat, wie heutzutage der wissenschaftliche Betrieb funktioniere. In der Wissenschaft habe nur Erfolg, wer ständig Papers publiziere. Wissenschaftler seien kaum bereit, ihre Irrtümer einzugestehen und damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Homburg dankte Koch für sein Kommen; er hat in fünf Jahren Corona nie erlebt, dass jemand von der Gegenseite sich der Debatte gestellt habe. Homburg monierte, dass während der Corona-Zeit vor allem die Physiker, Verkehrsplaner und Virologen in den Talkshows zu Wort kamen – nie aber die Epidemiologen, die eigentlich die Expertise dazu gehabt hätten. Koch entgegnete, dass in der Schweiz vor allem die Epidemiologen und Biostatistiker sich äusserten. Homburg sieht genau darin das Problem. Denn die Modelle der Statistiker hätten sich als fehlerhaft erwiesen, da sie auf falschen Daten basierten. Koch pflichtet dem bei und verweist auf die übertriebenen Prognosen des britischen Professors Neil Ferguson vom Frühling 2020.

Rima kritisierte, wie in der Coronazeit die Bürger entmündigt wurden. «Wenn alle Menschen der Wissenschaft blind vertrauten, würden wir heute noch an eine flache Erde glauben», so Rima. Der gesunde Menschenverstand sei uns während dieser Zeit abtrainiert worden. Statt einer offenen gesellschaftlichen Debatte über die Massnahmen wurden Kritiker ausgegrenzt und für vogelfrei erklärt. Laut Thiel habe Corona gezeigt, dass der Bundesrat und das Parlament inzwischen obsolet seien und daher abgeschafft gehörten. Ein funktionierender Staat könne nur aus mündigen Bürgern bestehen – diese seien allerdings eine Minderheit. Als staatstragend betrachtet er ausschliesslich die Nettosteuerzahler, die mehr leisten als nur für die eigene Familie zu sorgen. Der Staat befinde sich heute in den Händen der Unmündigen, die von Zwangsabgaben leben.

Homburg sagte, in der Coronazeit gab es deswegen ein Zensurregime, weil die Regierungen entgegen der Evidenz gehandelt hätten. In den Medien habe man keine klinischen Daten gesehen. Stattdessen wurden nur steigende PCR-Kurven präsentiert, die jedoch epidemiologisch völlig irrelevant gewesen seien. Koch widersprach Homburg und erzählte von einem Besuch einer Intensivstation in Genf. Dort erlebte er selbst, wie schlimm die Situation war. Koch warnte davor, die Coronapandemie als «grosse Verschwörung» abzutun. Daraufhin reagierte Homburg wie von einer Nadel gestochen und erklärte laut, dass es auf Intensivstationen generell schlimm zugehe und dass das nichts Aussergewöhnliches sei. Rima fügte an, dass es bereits 2015 Zeitungsartikel gab, in denen von überlasteten Intensivstationen berichtet wurde und dass dies kein Novum sei.

Auf die Frage, weshalb die Aufhebung der Massnahmen drei Jahre gedauert habe, erläuterte Koch, dass die Schweiz die Massnahmen zwar rasch einführte und zeitnah einen Lockerungsplan entwickelte. Obwohl er sich selbst für die Lockerung eingesetzt hatte, konnte er sich damit nicht durchsetzen. Die Massnahmen der ersten Welle verteidigte er als notwendig, weil man dadurch eine erhöhte Übersterblichkeit verhindert hätte. Bis heute steht Koch hinter dem ersten Lockdown in der Schweiz. Bei der zweiten Welle räumte er allerdings Fehler ein – man hätte damals mehr testen sollen. Homburg widersprach Koch, dass Lockdowns von Nöten gewesen seien. Er verwies auf eine Nature-Publikation, die darlegt, dass Schweden in puncto Übersterblichkeit am besten abschnitt – noch besser als die Schweiz.

Im Verlauf der anschliessenden Publikumsfragerunde bekräftigte Koch nochmals, dass die Pandemie gefährlich gewesen sei und er die damaligen Grundrechtsverletzungen für hinnehmbar hält – was von Rima entschieden gekontert wurde. Grundrechtsverletzungen seien gemäss Bundesverfassung nicht zulässig: «Jeder Mensch ist sein eigener Herr!» Zum Abschluss fragte Andreas Thiel das Publikum ironisch: «Wer alles möchte vom BAG gerettet werden?» Nur wenige Hände hoben sich, begleitet von allgemeinem Gelächter.

Die Vernissage endete mit einem reichhaltigen Apéro und angeregten Gesprächen. Man ist sich einig, dass das Thema auch fünf Jahre danach noch viel an emotionalem Diskussionsbedarf bietet, der noch nicht aufgearbeitet ist. Ein erster Versuch ist nun über die Bühne gegangen, mehr nüchterne Fakten gibt’s in unserem Dossier «Corona – und das grosse Schweigen danach». (Michael Straumann)

Die vollständige Diskussion als Video finden Sie hier.

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