Der neue ­Klassenkampf
Robert Benkens, zvg.

Der neue ­Klassenkampf

Liberale Meinungen werden an den Schulen nicht unterdrückt; sie finden gar nicht erst statt. Um für ein junges Publikum attraktiv zu werden, müssen die Liberalen den Gang ins Schulzimmer wagen.

 

Ob «Burn Capitalism, Not Coal» oder «System Change, Not ­Climate Change» – das sind nur zwei der Slogans auf Protestbannern von Klimaaktivisten. Eine Umfrage1 zeigt: In Deutschland haben 45 Prozent der jungen Menschen ein positives Bild vom Sozialismus und noch mehr, 47 Prozent, sind gegenüber dem Kapitalismus negativ eingestellt. Woran liegt es, dass ein Wirtschaftssystem, das bei allen Schwächen, die zweifellos staatliche Korrekturen und Rahmengesetze notwendig machen, so viel für die Armutsbekämpfung in der Welt getan hat wie kein anderes zuvor – dass ein solcher Kapitalismus einen schlechteren Ruf hat als der Sozialismus, der für die grössten menschengemachten Hunger- und Umweltkatastrophen verantwortlich ist?

Liberale haben offensichtlich zu lange an die normative Kraft des Faktischen, an «das Ende der Geschichte» geglaubt. Sie haben sich damit zufriedengegeben, dass die Systemalternativen scheiterten. Typisch dafür ist eine Floskel, die ich nicht nur von Schülern, sondern auch von Erwachsenen immer wieder höre: «Der Sozialismus ist ja eigentlich eine gute Idee, wurde nur falsch umgesetzt.» Die Konstruktionsfehler, die dem Sozialismus «ab Werk» eingeschrieben sind, können wenige benennen. Gleichzeitig sind die Megatrends bei der weltweiten Armutsbekämpfung weit­gehend unbekannt.

Deshalb, dachte ich zu Beginn meiner Lehramtszeit vor ein paar Jahren, müsse man nur etwas ökonomische Aufklärung betreiben: Nicht nur über die Bilanzen von Bundesrepublik und DDR, USA und Sowjetunion, Süd- und Nordkorea, sondern auch über die vierzig Millionen Verhungerten im sozialistischen China unter Mao und die Befreiung von über 500 Millionen Chinesen aus der Armut durch die marktwirtschaftliche Öffnungspolitik Deng Xiaopings, über Liberalisierungsmodelle in Botswana und Chile oder Verarmungsregime wie Kuba und Venezuela. Bei der Suche nach Material stiess ich auf Bücher wie «Factfulness», «Why Liberalism Works», «Identität», «Aufklärung jetzt» und «More from Less», stöberte in «Our World in Data», entdeckte das «Breakthrough ­Institute» und erkannte, dass eine stabile Marktordnung in einem Land nicht nur die ökonomische Entwicklung begünstigt, sondern auch soziale sowie ökologische Indikatoren verbessert.

«Konservative haben Religion, Familie,

Dorf oder Heimatgefühle im Angebot.

Linke haben Visionen internationaler

Solidarität. Die Grünen sind auf

Weltrettungsmission. Was haben die

Liberalen jungen Leuten anzubieten?»

Die Unterrichtsvorbereitung führte bei mir zu einem grundsätzlichen Nachdenken über das Bildungssystem: Während sich die Welt draussen rasant entwickelte, wurde weiterhin das schon zu meiner Schulzeit überholte Bild einer geteilten Welt der 1970er gezeichnet – einer Zeit, in der viele meiner Lehrer Studenten ­waren. Mit Verblüffung stellte ich fest, was aus den Untergangs­prognosen von damals geworden war, etwa denen des Club of Rome, und dass diese Fehlprognosen im Unterricht nicht auf­gearbeitet wurden. Eigentlich müsste es doch Aufgabe neuer Lehrergenerationen sein, für einen Perspektivwechsel, gewissermassen ein «Update» des Weltbildes in den Lehrerzimmern zu sorgen.

Wo bleiben die liberalen Antworten?

Stattdessen sah ich mit zunehmender Ratlosigkeit, wie ökopessimistisches, wachstumsfeindliches, antikapitalistisches und fortschrittsskeptisches bis technologiefeindliches Denken auf unterschiedlichen Kanälen auf Schüler und Lehrer einströmte. Noch ratloser liess es mich zurück, wie wenig Kontra aus der liberalen Ecke kam. Ich fragte mich, warum man liberale Antworten auf bestehende Probleme kaum vernahm. Wo war der liberale Kampf gegen sich zementierende Ungleichheit, sozialisierte Umweltschäden, ­armutsbedingte Naturzerstörung und identitätspolitische Spaltungen der Gesellschaft von rechts und links? All dies sind Phänomene, die massgeblich auf die Missachtung liberaler Grundprin­zipien in Markt, Staat und Gesellschaft zurückzuführen sind.

Dann erkannte ich, dass der Liberalismus nicht nur seine programmatische Profilierung hatte schleifen lassen, sondern auch die politische Bildung und das Agenda-Setting. Zwar bilden all die tollen Bücher, Analysen und Lösungskonzepte wichtige Argumentationsgrundlagen. Sie bleiben aber nutzlos, wenn sie nicht zur breiten Öffentlichkeit durchdringen.

In Talkshows sitzen Leute wie Richard David Precht, die in ­ihren Bestsellern Untergangsszenarien ausbuchstabieren, in…