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Durch das Fenster in die Vergangenheit

Luc Bondy: «Am Fenster». Wien: Zsolnay, 2009

Am Ende steht (und so stand es auch schon in Interviews zu lesen), dass Peter Handke der Privatlektor seines Freundes Luc Bondy war, als dieser mit einer schweren Erkrankung in der Klinik lag. Weder der Autor noch sein Lektor konnten (oder wollten) verhindern, dass diese 160 luftig gesetzten Seiten als «Roman» feilgeboten würden; im Text selber ist von «Erzählung», von «Bruchstücken» oder, selbstironisch, von «Anekdoten» die Rede. Ihr autobiographischer Impuls ist unverkennbar, obwohl Treue im Faktischen vorsätzlich zugunsten des «Plausiblen» vermieden wird. Damit widersetzt sich dieses mäandernde, zerstreute und passagenweise anmutig leichte Erzählen dem autobiographisch schnüffelnden Lesen (darin mag die Bezeichnung «Roman» ihre Berechtigung haben).

Am Fenster zu stehen und auf die Zürcher Seminarstrasse oder auf die Stadt zu schauen, evoziert hier keinen Blick für die topographischen Besonderheiten; das zerstreute Hinausschauen des ungefähr 60jährigen Protagonisten ist viel eher ein inneres Sehen. Die Altersangaben dieses «Vegetierenden» («Wo das Leben aufhört und man nur noch vegetiert, da beginnt vielleicht das Leben») schwanken ebenso vorsätzlich, wie der Akt der Namengebung bewusst markiert ist: Donatey, so nennen wir diesen älteren Herrn, der ein begnadeter und bekennender Opportunist ist, was schwere Melancholie indes nicht ausschliesst. Dass sein Rückgrat chirurgisch mit einer Eisenstange stabilisiert werden musste, ist eines der brachialsten Ironiesignale dieses Textes.

Seine jetzige Hauptsorge, seine junge Geliebte Seraphine zu verlieren, bestätigt sich am Ende auch, ohne dass wir mit den üblichen Paarquälereien molestiert worden wären. Die Frauen, vorab Mutter Mathild, bilden das Hauptgestirn dieses Lebens, das als ineinander übergehende Konstellationen gezeigt und gleich wieder verwischt wird. Die vielleicht grösste Leistung dieses Buches besteht in der mit einzigartigem Takt evozierten Geschichte der Verfolgung und Vertreibung der jüdischen Eltern aus Deutschland über Belgien, Frankreich und die Schweiz – ebenfalls keine zusammenhängende Geschichte, sondern episodisch gereiht und mit den markierten Lücken des Vergessens und der Erinnerungstäuschung versehen; vor allem aber auch mit dem Schweigen der Opfer.

Der Protagonist, seines Zeichens ehemaliger Mitarbeiter und treu-opportunistischer Diener des weltberühmten, inzwischen verstorbenen Regisseurs Gaspard Nock, löscht zuletzt ohne Lärm die Theaterlichter. Entgegen den kurzen Aufregungen des diesjährigen Salzburger Sommers über das Regietheater, wird hier Regisseur lakonisch unter «Berufe bis 2014» gesucht. «Das Theater ist tot, weil alle sich darstellen wollen», so ein Satz Gaspard Nocks. Ein nicht nur das Theater (be)treffender Befund.

vorgestellt von Karl Wagner, Zürich

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