Die Nahostpolitik der USA im Dilemma
Die Road Map – wenig Hoffnung auf Frieden Die USA können keine ausgewogene Nahostpolitik verfolgen, weil sie zu einseitig auf Israel fokussiert sind. Daraus ergibt sich gegenüber den arabischen Ländern in der Region eine unüberbrückbare Glaubwürdigkeitslücke.
Der US-Präsident hatte am 25. Juni 2002 seine «Vision» von der Lösung des Nahostkonflikts in einer Rede dargelegt, die auch vom israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon hätte gehalten werden können. Er mutete den Palästinensern nichts weniger zu, als ihren in freien und demokratischen Wahlen – soweit dies unter Besatzung möglich war – gewählten Präsidenten Yassir Arafat durch einen anderen zu ersetzen.
In Bushs sogenannter Vision für den Nahen Osten waren alle üblichen Forderungen Israels an die Palästinenser enthalten. Neben den Befehlen an die Palästinenser warnte Bush auch Syrien, sich auf die richtige Seite im Kampf gegen den Terror zu stellen. Der Duktus dieser Rede hatte nichts Visionäres, sondern war eher eine politische Zumutung. Nicht ganz so einseitig verhält es sich auf den ersten Blick mit der Road Map, der «Strassenkarte» zum Frieden im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Gescheiterter Neuanfang
Dieser Plan wurde am 4. Juni 2003 vor der beeindruckenden Postkartenkulisse im Palast des jordanischen Königs in Aqaba in einer bescheidenen Zeremonie offiziell lanciert. Obwohl dieses Dokument ein Plan des sogenannten Nahost-Quartetts – bestehend aus USA, Russland, Uno und EU – ist, war ausser Präsident Bush bezeichnenderweise kein anderes Mitglied dieses Klubs anwesend. Der Neuanfang mit schnellen praktischen Ergebnissen ist sowohl durch Israels Politik der fortgesetzten Kolonisierung der besetzten Gebiete und den Bau eines Schutzwalles vertan worden, wie auch durch das Scheitern von Mahmoud Abbas, die extremistischen Widerstandsgruppen zu entwaffnen. Ein zusätzliches trugen die nach sechs Wochen wieder aufgeflammten Terroranschläge sowie Israels Wiederaufnahme seiner Tötungsoperationen gegen vermutete Drahtzieher des Terrors bei, von denen bisher 176 als angebliche Drahtzieher des Terrors staatlicherseits hingerichtet wurden. Diese fliegenden Erschiessungskommandos in Form von Apache Kampfhubschraubern oder F16 Kampfjets widersprechen allen westlichen Normen und Werten.
Vage Versprechungen Sharons
Präsident Bush hatte beide Konfliktparteien auf die Road Map eingeschworen. Ariel Sharon und der damalige Ministerpräsident Abu Mazen gaben in Aqaba gedrechselte Erklärungen ab, die aber viel über die Prioritäten der beiden Seiten aussagen. Erstmalig sprach zwar ein israelischer Ministerpräsident öffentlich von einem Palästinenserstaat, konkreter von einem «demokratischen palästinensischen Staat» und nicht von einem «unabhängigen und souveränen», wie es in der Road Map heisst. Abu Mazen rief das Ende der gewaltsamen Unabhängigkeitsintifada aus. Er will aber die palästinensische Infrastruktur des Terrors nicht gewaltsam zerschlagen, da dies zu einem Bürgerkrieg führen könnte.
Ariel Sharons Lippenbekenntnis zur Road Map hatte in Israel zu Massendemonstrationen extremistischer Siedlergruppen geführt, die ihn, wie seinerzeit Yitzhak Rabin, einen Verräter nannten. Ebenso löste Sharons Feststellung, dass «3,5 Millionen Palästinenser unter Besatzung eine schreckliche Sache für Israel, die Palästinenser und die Wirtschaft» sei, innerhalb seiner rechtsnationalistischen Regierung einen Sturm der Entrüstung aus. Das israelische Kabinett hatte sowieso schon vor dem Gipfel in Aqaba der Road Map 14 Stolpersteine in den Weg gerollt, die ihr Scheitern herbeiführen sollen. Sharon versprach folglich in Aqaba auch nur die Auflösung einiger «illegaler Aussenposten».
Mit diesem vagen Versprechen blieb er weit hinter den Forderungen der Road Map zurück, nach der Israel verpflichtet ist, alle seit März 2001 errichteten Siedlungen (damals 70 – heute über 100) aufzulösen und die natürliche Expansion der bestehenden zu beenden. Dass alle Siedlungen in den besetzten Gebieten wider das Völkerrecht errichtet worden und somit illegal sind, ist allen Beteiligten bekannt. Das Völkerrecht ist seit dem Irak-Krieg zu einer disponiblen Grösse amerikanischer Machtpolitik geschrumpft. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Sharon der Spiritus rector des expansiven Siedlungsprojektes ist. Niemand kann von ihm im Ernst erwarten, dass er sein Lebenswerk zerstört.
Wenn das Quartett oder besser die USA wollen, dass die Road Map die erste von drei Phasen überlebt, dann müssen sie mehr aufbieten als zehn amerikanische zivile Beobachter. Schon die Forderungen in der ersten Phase – die Auflösung der «illegalen Aussenposten» von Seiten Israels und die Zerschlagung der radikalen Gruppen – gelang nicht. Erst wenn dies geschehen ist, muss das Quartett einstimmig befinden, dass die erste Phase erfolgreich beendet ist. Dazu dürfte es aber nicht mehr kommen, weil sich kein palästinensischer Politiker zum Subunternehmer in Sharons eigene Variante der «Terrorbekämpfung» machen lässt. Danach erst kann die zweite Phase beginnen, in der bis Ende 2003 ein «provisorischer Palästinenserstaat mit vorläufigen Grenzen» entstehen soll.
Sollte dieses bisher nicht dagewesene Gebilde wirklich das Licht der Welt erblicken, wird von 2004 bis Ende 2005 über den endgültigen «Staat» verhandelt werden und alle damit zusammenhängenden Fragen wie Siedlungen, Flüchtlinge, Jerusalem, Grenzen, Wasser etc. Bereits an diesen Fragen ist der Osloer-Prozess letztendlich auch gescheitert. Wenn die «Strassenkarte» nicht ein rein amerikanisch-israelisches Unternehmen bleiben soll, muss sich das bisher unbeteiligte Restquartett beherzter einbringen. Warum schlägt es den USA nicht vor, eine Nato-Schutztruppe – ausgestattet mit einem «robusten Mandat» – in die besetzten Gebiete zu entsenden, um den Abzug der israelischen Besatzungstruppen zu überwachen und der Road Map dadurch zum Erfolg zu verhelfen? Palästina wäre das ideale Territorium für eine internationale Militärintervention, da dort die Besatzungsmacht seit nunmehr 36 Jahren gegen alle UN-Resolutionen verstösst. Wenn die USA im Irak schon solche Resolutionen gewaltsam durchgesetzt haben, warum dann nicht in Palästina?
Arafat als Symbolfigur
Auch der Nachfolger von Abbas, Ahmed Kurei, ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden. Er muss seinem Volk einen Plan schmackhaft machen, der den Konflikt erst 1967 beginnen lässt. Während Israel eine acht Meter hohe monströse Mauer um ein Rumpfpalästina errichtet, den Siedlungsbau weiter vorantreibt, das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge kategorisch ablehnt und bisher nur 42 Prozent der besetzten Gebiete für den «Staat Palästina» angeboten hat, könnte der Ruf nach Yassir Arafat zwangsläufig wieder ertönen. Denn nur er, der die nationalen Wünsche der Palästinenser nach einem eigenen Staat verkörpert, könnte seinem Volk solch ein Gebilde als die Erfüllung der Sehnsüchte schmackhaft machen. Wie die Entwicklung der letzten Wochen gezeigt hat, ist Arafat alles andere als «irrelevant», wie Bush und Sharon erklärt haben. Seine Beseitigung wäre ein schwerer politischer Fehler. Arafat hat für die Palästinenser die gleiche Bedeutung wie seinerzeit Nelson Mandela für die schwarze Bevölkerung Südafrikas.
Am 24. und 25. Juli war der palästinensische Ministerpräsident Mahmoud Abbas und am 28. Juli der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon nacheinander zum Rapport beim US-Präsidenten Bush einbestellt. Es ging um nichts Geringeres als den Friedensprozess; schon nach kurzer Zeit zeigten sich die enormen Schwierigkeiten. Was aber in Washington geboten wurde, war ein Paradebeispiel politischer Semantik. Als Bush und Abbas vor die Presse traten, konnte man den Eindruck gewinnen, als hätte sich Bush rhetorisch auf die Seite der Palästinenser geschlagen, weil er von ihren berechtigten Sorgen und Nöten überzeugt worden sei. Abbas durfte artig alle palästinensischen Forderungen vortragen. Bush lobte ihn als «good guy», weil er der amerikanischen Antiterrorlinie zu folgen vorgab. Bush äusserte sogar seine Sorge über den Bau der Mauer; sie sei ein «Problem». Auch den anhaltenden Siedlungsbau bezeichnete er als nicht «hilfreich» für die Umsetzung der Road Map. Bush beharrte aber darauf, dass die Palästinenser die letzten Widerstandsnester gegen eine israelische Besatzung ausräuchern müssten. Sie seien das eigentliche Hindernis auf dem Weg zum Frieden. Dass vielleicht die brutale israelische Okkupation das Haupthindernis sein könnte, kam Bush nicht in den Sinn. Bei der Freilassung der über 7000 inhaftierten Palästinenser wollte sich Bush nicht festlegen. Er trat für eine Einzelfallprüfung ein. In der Substanz fiel der Besuch von Abbas sehr mager aus. Mehr als die Gründung eines palästinensisch-amerikanischen Wirtschaftsrates war nicht drin. Mit diesem Ergebnis wurde Abbas zu seinem geschundenen Volk zurückgeschickt.
Vom «Problem» zur «sensiblen Frage»
Die Hoffnungen der Palästinenser auf einen möglicherweise ehrlichen Makler USA dauerten nur so lange, bis wenige Tage später Ariel Sharon in Washington eintraf. Sharon und Bush sind Busenfreunde. Der israelische Ministerpräsident trat selbstbewusst auf und konnte mit kosmetischen Konzessionen aufwarten. Der zu erwartenden Kritik wurde so der Wind aus den Segeln genommen. Israel verzichte offiziell auf die «Einweihung» der ersten 140 Kilometer der Mauer. Sharon gelang es auch, Bush die Mauer als antiterroristischen Schutzwall zu verkaufen. Wenn die Mauer Terror verhindere und der Sicherheit diene, nütze sie dem Friedensprozess, so Sharon. Von dieser Logik war der US-Präsident so beeindruckt, dass er fortan, wie die Israeli auch, euphemistisch von einem Zaun sprach; folgerichtig mutierte die Mauer von einem «Problem» zu einer «sensiblen Frage».
Sharon erklärte sich bereit, einige hundert Kleinkriminelle freizulassen, deren Haftstrafe sowieso abgelaufen war – die Extremisten natürlich nicht. Bush bezeichnete diese Geste als «Grossherzigkeit». Wie konzessionsbereit die Israeli sind, zeigt die Tatsache, dass sie zwei von immerhin 150 Strassensperren weggeräumt haben. Auch beim kolonialen Siedlungsprojekt, dem politischen Baby Sharons, gab es ausser Rhetorik keine konkreten Aussagen. Bush hat noch nicht einmal die Auflösung der sogenannten «illegalen Aussenposten» verlangt, die nach März 2001 errichtet worden sind und deren Beseitigung die Road Map fordert. Geschweige denn alle seit 1967 errichteten Siedlungen, die gemäss Völkerrecht illegal sind. Da hilft es auch nichts, dass US-Aussenminister Colin Powell noch einmal auf die Vorgaben in der «Strassenkarte» hinwies. Sharon konnte sich auch in der Frage der Terrorbekämpfung durchsetzen. Im Antiterrorkampf sind sich Bush und Sharon völlig einig.
Politik des doppelten Massstabs
Die Aussichten auf einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Völkern im Nahen Osten sind nicht gut. Unter Präsident Bush und der Herrschaft der neokonservativen Elite unterstützen die USA die Politik Israels noch vorbehaltloser als unter Präsident Bill Clinton. Fast die gesamte Bush-Administration zählt zu den Anhängern der Likud-Linie israelischer Politik. Die US-amerikanischen globalen Interessen sollten im Nahen Osten aber über den engen Horizont Israels hinausgehen. Es ist zu befürchten, dass die Bush-Administration wohl nicht zu den traditionellen demokratischen Gepflogenheiten amerikanischer Aussenpolitik zurückkehren wird, also zum Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit, für die Achtung des Völkerrechts und für die Rechte von Unterprivilegierten. Es zeigt sich vielmehr deutlich, dass diese demokratischen Traditionen wohl weiterhin einer Politik des doppelten Massstabes geopfert werden und dies den nationalen Interessen der USA langfristig abträglich sein wird. Warum wundert sich Präsident Bush in seinen Reden immer wieder, warum so viele Muslime die USA hassen?
Ludwig Watzal, geboren 1950, promovierte in Politikwissenschaft und Philosophie und ist Redaktor und Publizist in Bonn. Er ist Autor des Buches «Feinde des Friedens. Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern», Berlin 2002.