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Gottfried Keller und Theodor Fontane, konsonant

Das Buch «Gottfried Keller und Theodor Fontane» versammelt zwölf Vorträge, die 2006 während eines Symposions zu Ehren der beiden Dichter in Zürich gehalten wurden. Das Thema «Keller und Fontane» scheint ein Wagnis, denn halbwegs verbürgt haben sich die beiden Dichter nur ein einziges Mal im gleichen Raum aufgehalten, nämlich am 3. Dezember 1852 in Berlin, […]

Das Buch «Gottfried Keller und Theodor Fontane» versammelt zwölf Vorträge, die 2006 während eines Symposions zu Ehren der beiden Dichter in Zürich gehalten wurden. Das Thema «Keller und Fontane» scheint ein Wagnis, denn halbwegs verbürgt haben sich die beiden Dichter nur ein einziges Mal im gleichen Raum aufgehalten, nämlich am 3. Dezember 1852 in Berlin, ohne sich dabei wirklich zu begegnen. Und auch die gegenseitigen schriftlichen Bezugnahmen sind selten, zumal Keller und Fontane – obwohl beide 1819 geboren – literarisch eher ungleichzeitige Zeitgenossen waren. Nach dem Erscheinen der «Leute von Seldwyla» und des «Grünen Heinrich» Mitte der 50er Jahre war Keller, bis zu Paul Heyses Wiederveröffentlichung von «Romeo und Julia auf dem Dorfe» 1871, fast vergessen. Und als Keller 1890 starb, hatte Fontane «Effi Briest» und den «Stechlin» noch nicht geschrieben. So ist es auch nicht ganz überraschend, dass eine Beschäftigung Fontanes mit Keller belegt ist (nach dessen Tod sogar zunehmend, und zunehmend zustimmend), während bei Keller einzig der Bezug nachweisbar ist, dass er genau ein Buch Fontanes in seiner Bibliothek besessen hat (ein Verlegergeschenk), das er in Rückbesinnung auf seine Berliner Zeit vielleicht gelesen hat.

Ungeachtet dieser eher dürftigen Grundlage, kann in den Aufsätzen dieses Bandes, die den Brückenschlag zwischen dem Zürcher und dem Berliner Dichter versuchen, in der Regel schlüssig dargelegt werden, dass beide Autoren, trotz verschiedenen Lebenszentren in verschiedenen Gesellschaftssystemen, zu durchaus vergleichbaren Zeitdiagnosen kamen, die man erkenntnisfördernd aufeinander beziehen kann. Dabei sind es vor allem die Brüche, die diese Betrachtung reizvoll machen. Beide – Keller und Fontane – waren überzeugte Anhänger einer Realismustheorie, die platten Naturalismus ebenso ablehnte wie die romantisch-zeichenhafte Deutung der Welt. Sie wollten in ihren Werken nicht auf eine Sinnebene verzichten, obwohl ihnen die schwindende Bindekraft der Ideologien sehr bewusst war, die einst Sinn verbürgten, und sie dies ebenfalls zu gestalten suchten. Denn plakativer Bezug auf die Ideale alter Prägung wirkte angesichts der Gewinnmöglichkeiten in der sich entwickelnden Weltwirtschaft nur noch unglaubwürdig – im gründerzeitlichen und wilhelminischen Berlin genauso wie im direkt-demokratischen Zürich.

Die Aufsätze können die behandelten Themenkreise – die Problematik der realistischen Ästhetik, das Verhältnis der Dichter zum gesellschaftlichen Umbruch, die Editionspraxis – natürlich nur anreissen. Die meisten Autoren schaffen es jedoch in dem knapp bemessenen Raum von selten mehr als 20 Seiten, auch den fachlich nicht eingearbeiteten Leser von der Sinnhaftigkeit der Fragestellung und den ersten Lösungsangeboten zu überzeugen. Als Einführung in die Epoche oder zu den beiden Dichtern eignet sich der Band jedoch nicht. Dafür ist er zu exemplarisch. Und der Preis von 157 Franken für lediglich 250 Seiten ist deutlich am privaten Buchkäufer vorbeikalkuliert.

vorgestellt von Michael Mühlenhort, Gütersloh

Ursula Amrein & Regina Dieterle (Hrsg.): «Gottfried Keller und Theodor Fontane. Vom Realismus zur Moderne». Berlin: de Gruyter, 2008

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