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Schweizer können nicht nur Mundart
Pirmin Meier, zvg.

Schweizer können nicht nur Mundart

Die hiesigen Literaturverlage sind ungebrochen produktiv. Ein kleiner Überblick und einige Tips zu aktuellen Publikationen.

Den 1938 in Aarau geborenen Autor Hansjörg Schneider «muss» man Gott sei Dank nicht lesen, aber man darf es. Der Tagebuchschreiber, dessen Werke bei Diogenes erscheinen, verbindet in seinen kürzlich publizierten Reflexionen «Spatzen am Brunnen» schwebende Leichtigkeit mit ungesuchtem Tiefsinn, bei Verzicht auf Inszenierung von Altersweisheit: «Es gibt für mich nur die erhellende Klarheit der Sprache. Sprache wirft Licht in die Welt, auf das Leben und Sterben», sagt er. Lesenswert ist auch sein Porträt des Autors und Verlegers der «Nachtmaschine», Matthyas Jenny, des Gründers der Buch Basel. Und dann wären da noch Schneiders höchst beliebte Krimis um den Kommissar Hunkeler, der wie sein Schöpfer in Basel wirkt: kritische ­Heimatromane, die unverkitschte Heimatliebe verkörpern.

Der regional orientierte Kriminalroman hat Konjunktur. Als Nummer eins wohl nicht nur in der Zentralschweiz hat sich Silvia Götschi durchgesetzt, deren Bücher u.a. von der Literaturwerkstatt Küssnacht verlegt werden. Mit der originellen Polizistin Valérie Lehmann fand die Autorin die ­passende «Ermittlerin». Götschi ist Spezialistin für vor Ort recherchierte, stimmungsvolle, gelegentlich zu etwas viel Causerie neigende Kriminalgeschichten. Am 9. Februar 1961 fand in Kaltbad eine Brandkatastrophe mit elf Todes­opfern statt. Götschi erzählt vor diesem Hintergrund eine erfundene, aber komplexe Clan-Geschichte mit Psycho­logie, Esoterik und volkskundlich-historischen Aperçus.

Seit Jahren publiziert der für den Bodenseeliteraturpreis gehandelte Volker Mohr aus Schaffhausen Prosa auf konstant gepflegtem Niveau. Das Groteske dient dem Autor dazu, vermeintlich Unsagbares, das sich im Alltag andeutet, auf poetische Weise deutlich werden zu lassen. Glänzend realisiert Mohr dies in seiner Novelle «Der verlorene Himmel», die der Schaffhauser Verlag Loco 2022 veröffentlicht hat. Der Protagonist in «Der verlorene Himmel» wird auf ­einen Clown aufmerksam, der auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt Flyer verteilt. Es folgt eine Invasion von Clowns, die in der Stadt Pappnasen verteilen. Kinder werden angehalten, sich als Clowns zu verkleiden, und Tram oder Supermarkt kann man nur noch mit einer Pappnase betreten.

Nach 60 Jahren Lektüre aargauischer Literatur ist der für mich bemerkenswerteste Roman «Das Planetenrührwerk» des Lyrikers Markus Kirchhofer. In den Fussstapfen Hermann Burgers geschrieben, steht hier im Gegensatz zu dessen subjektiven Höllen objektive Landschaftskritik des Mittellandes im Vordergrund – in Form eines Abgesangs auf die herkömmlichen Käsereien. Der Roman ist 2022 im ­Oltener Knapp-Verlag erschienen, dessen «Perlen»-Reihe einen gedruckten Streifzug durch die vielfältige Literatur des Landes bietet.

Dominik Riedo wiederum, vor Jahren als «Kulturminister» der Schweiz zum Enfant terrible des Kulturbetriebs avanciert, gehört zu den Rettern des Luzerner Verlages Pro Libro. Zusammen mit Peter Schulz, Theologe und Gründungsdirektor der Schweizer Journalistenschule MAZ, hält er einen Ort für belletristische Sachbücher aufrecht, die nicht nur für den Raum Luzern relevant sind. Riedo, der sich in der Carl-Spitteler-Stiftung und in der Carl-Albert-Loosli-Gesellschaft engagiert, legt mit «Das Lächeln in den Rissen des Weltgebäudes» kritische Aufsätze zur Literatur und zum ­Leben vor. Er gehört zu den wenigen, die seinerzeit den 75. ­Geburtstag des «heimlichen Grossschriftstellers» E. Y. Meyer zu würdigen vermochten, z.B. mit der Zusammen­fassung von Meyers Landschaftskritik in einem Satz, den sich King Charles III nicht mehr leisten kann – nämlich ­«Architekten, die ihren Namen der Geschichte aufpressen wollen und dabei ganze Quartiere der Unlust bauen». Landschaftskritik findet sich auch in «Das Planetenrührwerk» des ­Aargauers Markus Kirchhofer, mit einem Rest Jeremias ­Gotthelf: «Wenn ich an Vater denke, denke ich an seine ­Käseharfe. Ich sah gerne zu, wie er sie durch die eingedickte Milch zog. Wie er mit gleichmässigen, schwungvollen ­Bewegungen den Bruch zerteilte. Danach wusch er die Harfe sorgfältig und hängte sie an die Wand zurück.» Der kann Deutsch!, hätte Johann Peter Hebel gesagt. Schweizer Literaturverlage können nicht nur Mundart.

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