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Warum Diktatoren heute  Anzüge statt Uniformen tragen

Warum Diktatoren heute
Anzüge statt Uniformen tragen

Tyrannen setzen heute meist nicht mehr auf offene Gewalt, sondern auf den Anschein kompetenter Führung. Wie der Fall Putin zeigt, kann es aber zum Rückfall ins alte Muster kommen, wenn der Druck gross wird.

Das Auditorium der Universität Zürich war prall gefüllt, als Professor Sergei Guriev am Dienstagabend auf Einladung des UBS Center for Economics in Society seinen Vortrag «Spin dictators» hielt. Dass das Interesse an seinen Gedanken zu Diktaturen so gross war, lag an der Aktualität der Thematik und sicher auch daran, dass der Ökonom, der heute in Paris lehrt und forscht (Sciences Po), als Berater für die russische Regierung tätig war, bevor er 2013 aufgrund seiner Haltung zum Yukos-Fall unter Druck geriet und nach Frankreich emigrierte.

Gurievs Hauptbotschaft ans Zürcher Publikum: «Das Gesicht der Tyrannei hat sich gewandelt.» Diktatoren des alten Typus hätten sich die Herrschaft mit dem Mittel der Furcht gesichert, Uniformen getragen, brutale Repression und offene Zensur ausgeübt. Im Gegensatz zu diesen «fear dictators» gründe die Macht der heute viel häufigeren «spin dictators», darauf, dass sie ein perfektes Bild einer kompetenten Führung verbreiteten. Entsprechend dominieren graue Anzüge. Repression und Zensur werden mit subtilen Instrumenten umgesetzt, der Umgang mit liberalen Demokratien ist pfleglich und die Mitarbeit in internationalen Organisationen vordergründig konstruktiv. Diktatoren haben ihr Verhalten aber nicht geändert, weil sie plötzlich von Skrupeln heimgesucht worden wären, sondern weil sie angesichts der Modernisierung, Globalisierung und Vernetzung ihre Herrschaft so besser sichern können. Guriev warnte denn auch davor, «spin dictators» als harmlos einzustufen. «Auch sie sind gefährlich, weil sie die Wirtschaft unterhöhlen und den Rest der Welt destabilisieren».

Gefragt war natürlich auch Gurievs Einschätzung der Entwicklung Wladimir Putins – das zusammen mit Daniel Treisman verfasste und im Frühling publizierte Buch «Spin dictators» wurde vor dem Ukrainekrieg abgeschlossen. Das Beispiel Putin zeigt gemäss Guriev, dass auch Diktatoren modernen Zuschnitts ins alte Muster zurückfallen, wenn sie unter Druck geraten. Dann sichern sie sich ihre Macht wieder mit offener Gewalt und Furcht. Gurievs Kategorisierungen mögen manchmal etwas schematisch sein (ist Viktor Orban tatsächlich ein «spin dictator»?), anregend sie sind aber auf jeden Fall. (pk)

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