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Stabilisierungsorgien
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Stabilisierungsorgien

Die stark subventionierte Wirtschaft der Europäischen Union erstarrt zunehmend und erzeugt ­Zombiefirmen. Dahinter steht eine Politik der Stabilität um jeden Preis. Sie trägt die Handschrift von Angela Merkel, der mächtigsten Politikerin Europas.

 

Als die Finanzkrise im Spätsommer des Jahres 2009 überwunden war, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass sie durch einen Wachstumsfetischismus verursacht worden sei. Die Krise habe gezeigt, «was passiert, wenn man jede Form von Wachstum einfach zur Oberprämisse deklariert und sagt: ‹Egal wie – Hauptsache Wachstum, alle Nebeneffekte werden nicht ­betrachtet.›»1 Im Zweifel, fand sie, soll man also lieber auf wohlstandsschaffendes Wachstum verzichten und dadurch Risiken vermeiden, die naturgemäss mit Veränderungsprozessen einhergehen.

Merkel, die sich noch vor ihrer Kanzlerschaft eher wirtschaftsliberal positionierte, propagierte nun diese bis weit ins bürgerliche Lager etablierte wachstums- und globalisierungsskeptische Perspektive des grünen Lagers. Die Fokussierung auf grösstmögliche wirtschaftliche Stabilität wurde zu einer Leitlinie ihres Krisenmanagements.

Skeptisch gegenüber Menschen und Markt

Mit ihrer Stabilisierungsorientierung nahm Merkel eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber marktwirtschaftlichen Veränderungsprozessen ein. Diese nehmen notwendigerweise krisenhafte Verläufe an, da technologischer Fortschritt nur um den Preis der Ablösung unproduktiver Wertschöpfungsprozesse möglich ist. Die Grundlage des politischen Handelns von Merkel bildete jedoch nicht nur eine Skepsis gegenüber weitgehend autonomen marktwirtschaftlichen Veränderungsprozessen. Sie saugte auch das vor allem im grünen und linksliberalen Milieu ­dominierende Denken auf, wonach die menschliche Entwicklung durch ökologische Grenzen limitiert ist, und machte es zu ihrer ­eigenen politischen Grundlage.

So führte die Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima, die am 11. März 2011 von einem verheerenden Tsunami ausgelöst wurde, in eine von Merkel angeführte Panikreaktion. In einem «weltweit beispiellosen Akt», so drückte es ­Ex-SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement aus, besiegelte man innerhalb von nur drei Monaten den Atomausstieg.2 Die ­Katastrophe galt als Beleg für die These des deutschen Soziologen Ulrich Beck, wonach die Menschheit zum Opfer ihrer durch technologischen Fortschritt selbsterzeugten sozioökonomischen Risiken geworden war. Technologisches und soziales Experimentieren, wie es für die gesellschaftliche Entwicklung unabdingbar ist, stand durch die Regierungsinterpretation des Reaktorunfalls fortan unter einem extremen Vorbehalt.

Diese misanthropische Haltung hat die Anwendung vieler Technologien wie etwa der Gentechnik in Deutschland verhindert und die Energiewende in eine technologiefeindliche Richtung ­gedrängt. Hochtechnologien wie etwa innovative kerntechnologische Verfahren erhalten nun nur noch geringe Förderung und werden regulatorisch ausgebremst. Die Energieerzeugung hat mit Lowtech auszukommen, also technologischen Verfahren wie etwa Windrädern, die in Regierungskreisen als weniger riskant gelten, tatsächlich aber sogar eine Senkung der Arbeitsproduk­tivität mit sich bringen. Energie verteuert sich dadurch. Trotz ­gigantischer Subventionen im Energiebereich hat Deutschland ­inzwischen die weltweit höchsten Strompreise.3

Schuldenfinanziertes Wachstum

Merkel drückte nicht nur der deutschen Energiewende ihren ­Stempel auf. Als mächtigste europäische Politikerin prägte sie das Krisenmanagement während der Finanzkrise 2008 und der Eurokrise 2012. Die Finanzkrise offenbarte eine Fragilität der staatlich regulierten Marktwirtschaft, wie sie seit der Weltwirtschaftskrise 1929 und der ihr damals nachfolgenden wirtschaftlichen Depression nicht mehr in Erscheinung getreten war. Beide Krisen wurden letztlich überwunden, weil es mittels staatlicher Eingriffe gelang, die Bedingungen wiederherzustellen, die eine Fortsetzung des in die Krise geratenen schuldenfinanzierten Wachstums ermöglichen. Wolfgang Schäuble, damals noch deutscher Finanzminister, wies 2016 auf diesen Sachverhalt hin. Er warnte, dass das schuldenfinanzierte Wachstumsmodell neue Probleme schaffe, indem es «steigende Schulden, Blasen und das über­mässige Eingehen von Risiken» bewirke und zudem «die Wirtschaft zombifiziert».4

Obwohl zur Überwindung von Finanz- und Eurokrise eta­blierte marktwirtschaftliche Grundprinzipien wie etwa das Haftungsprinzip gebrochen, europäische Verträge vielfach ausgehebelt und durch die wirtschaftspolitisch dominierende Rolle der EZB sogar das Demokratieprinzip in Frage gestellt wurde, thematisierte Merkel zu keiner Zeit die tieferen Ursachen dieser Krisen. Sie setzte stattdessen auf die Stabilisierung der Eurozone und ­ihres fragilen Wachstumsmodells. Als sich die Chance bot, das griechische Drama durch einen vorübergehenden Austritt aus dem Euro zulasten europäischer Banken und der Euroländer zu beenden, stellte sich Merkel dagegen, obwohl die griechische ­Regierung diesen Schritt selbst anstrebte, um das Land wieder auf die Beine zu stellen.

Der Teufelskreis der Zombiewirtschaft

Seit der Finanzkrise wird in der Europäischen Union mit allen ­verfügbaren wirtschaftspolitischen Hebeln darauf hingewirkt, Wirtschaft und Unternehmen zu stabilisieren. Die Niedrigzins­politik der EZB sorgt dafür, dass sich sogar dauerhaft unprofitable Unternehmen mit billigem Geld versorgen können. Aber auch die Staaten und die EU sorgen mit Steuererleichterungen und Finanzhilfen für einen kontinuierlichen Fluss steigender Subventionen, die Unternehmen vor Verlusten oder gar dem Untergang bewahren sollen. Allein in Deutschland fliessen inzwischen jedes Jahr mehr als 200 Milliarden Euro staatliche Subventionen.5

Mit welch riesigen Summen Wirtschaft und Sozialsysteme ­inzwischen gestützt und subventioniert werden müssen, zeigt die vor der Coronakrise enorm angestiegene Schuldenlast der Euroländer. Von sechs Billionen Euro vor der Finanzkrise hätten sich deren Staatsschulden glatt verdoppelt, wenn die Niedrigzinsen nicht für Zinseinsparungen von etwa zwei Billionen Euro gesorgt hätten. Trotz massiver Hilfen benötigte die EU-Wirtschaft fünf Jahre, die der Eurozone sogar sechs, um den in der Finanzkrise ­erlittenen Rückgang des Bruttoninlandsprodukts wieder auszugleichen. In Italien und Griechenland hat die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau nicht wieder erreicht.

Die Stabilisierungsagenda verhindert, dass die unproduktivsten und wettbewerbsschwächsten Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Da selbst unprofitable Unternehmen – aus Angst vor den möglicherweise sogar gesamtwirtschaftlich destabilisierenden Effekten – nicht untergehen dürfen, wird die notwendige ­Entwertung unproduktiven Kapitals vereitelt. Die volkswirtschaftlich erzielten Gewinne stehen daher im Verhältnis zu einer durch staatliche Protektion hochgehaltenen Kapitalbasis, was die Rentabilität der Unternehmen schwächt. Dies wiederum hemmt ­deren Fähigkeit, die in der Regel extrem kapitalintensiven und ­risikoreichen Prozess- und Produktinnovationen anzugehen.

Arbeitsproduktivitätssteigerungen gelingen kaum noch und die Wettbewerbsfähigkeit leidet. In Deutschland wurde seit der ­Finanzkrise pro Erwerbstätigenstunde nur noch ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 0,5 Prozent erreicht. Seit 2017 ­stagniert die Arbeitsproduktivität sogar.6 Da sie die langfristige Grundlage für die Entwicklung des Reallohnniveaus bildet, erreichen die durchschnittlichen Reallohnsteigerungen in Deutschland schon seit Mitte der 1990er Jahre nur etwa ein halbes Prozent pro Jahr.7

Die fortwährende Stabilisierung der unter Produktivitäts- und Wettbewerbsschwäche leidenden europäischen Unternehmen hat eine Abwärtsspirale erzeugt, in der immer weitere staat­liche Hilfen und Regulierungen erforderlich werden, um die inzwischen entstandene Zombiewirtschaft vor dem Kollaps zu ­bewahren. Merkels Stabilisierungsorgien haben Europas Wirtschaft ­einen schleichenden Niedergang beschert, der den politisch ­führenden Kreisen in Europa offenbar als hinnehmbar ­erscheint, solange Deutschland die von Merkel zugedachte Rolle eines «Stabilitätsankers» wahrnimmt.

Die Dynamik des Protektionismus

Der staatliche Schutz geschwächter Unternehmen behindert die Entstehung neuer inländischer Wettbewerber und wirkt zudem protektionistisch. Durch die gegenwärtige Dynamik, die dieser EU-Protektionismus entfaltet, werden nun auch in Deutschland industriepolitische Konzepte propagiert, die das eigene auf möglichst freien Welthandel ausgerichtete Geschäftsmodell unter­graben. Auch die Bundeskanzlerin begrüsst die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier protektionistisch ausgerichtete Industriepolitik, fordert «europäische Champions» und ­laxere Beihilferegeln, während die EU unter dem Druck ihrer Mitgliedsländer an Programmen arbeitet, die Kapitalspritzen und Unternehmensförderungen unter Umgehung des europäischen Beihilfe­rechts erlauben.8

Staatliche Protektion und die Angst vor den Risiken menschengemachten und marktwirtschaftlichen Wandels haben zu einer wirtschaftlichen Erstarrung geführt, in der die Unternehmen kaum noch Arbeitsproduktivitätssteigerungen erreichen und der Wohlstand der arbeitenden Massen stagniert. Es ist höchste Zeit, diese Abwärtsspirale der Merkel’schen Europapolitik zu durchbrechen.

  1. Angela Merkel: «Nachhaltiges Wachstum – Wege aus der Wirtschaftskrise», ­Berliner Gespräche der CDU am 17.08.2009, http://www.vimeo.com/6222351.

  2. http://www.schweizermonat.ch/angela-merkels-nukleares-solo/

  3. http://www.welt.de/wirtschaft/plus224386200/Energiewende-Deutsche-zahlen-die-weltweit-hoechsten-Strompreise.html

  4. «German finance minister: expansive policies may have laid foundation of next crises.» In: Reuters online, 26.02.2016.

  5. http://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-subventionsbericht/

  6. Statistisches Bundesamt: «Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen Inlands­produktberechnung Lange Reihen ab 1970». Tabelle 2.13 Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigen, Fachserie 18, Reihe 1.5, 2019 vom 4. September 2020.

  7. Hartmut Görgens: «Irrtum und Wahrheit über die Reallohnentwicklung seit 1990 – Gegen den Mythos einer jahrzehntelangen Reallohnstagnation». Marburg: ­Metropolis, 2018.

  8. Werner Mussler: «Im europäischen Subventionsdickicht». In: Frankfurter ­Allgemeine Zeitung vom 24.6.2020, S. 15.

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