Schöne neue Arbeitswelt?
Über die Zukunft von Produktivität, Wertschöpfung und Erfüllung am Arbeitsplatz in unseren Wissensgesellschaften.
Die Stimmung ist jeweils düster. Wer sich zurzeit eine Debatte zur Zukunft der Arbeit anhört, wird den Raum eher unsicher als euphorisch verlassen. Viele Leute befürchten, dass im Zeitalter der Roboter Menschen entweder gar keine Arbeit mehr haben – oder eine Art von Arbeit, die, ganz im Sinne von Marx, so sinnentleert und entfremdet ist, dass sie die Menschen ins Unglück stürzt. Als Massnahme gegen eine solche Perspektive wird deshalb die Befreiung von der Arbeit in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) erwogen.
Ich verstehe diese Überlegungen. Allerdings glaube ich, dass die für das heutige Arbeiten massgebende Wissensgesellschaft für Angestellte viel bessere Bedingungen mit sich bringt, als wir sie aus dem Industriezeitalter kennen. Warum? Weil in einer Wissensgesellschaft das etablierte und oft schmerzhafte Konzept der Kontrolle über Mitarbeitende als Führungsinstrument nicht taugt – stattdessen sind Unternehmen auf die Loyalität ihrer Leute angewiesen. Das bedeutet: sie müssen sie gut behandeln.
Statt über die Gefahren der Wissensgesellschaft und ein mögliches BGE sollten wir also im Gegenteil über jene Arbeitsfelder sprechen, die dem aktuellen Umbruch nicht ausgesetzt sind: Gerade in Organisationen, die sehr geschützt und statisch sind – manche staatlichen Stellen, andere Bürokratien –, kann ein Gefühl der Sinnlosigkeit und der mangelnden Wertschätzung Einzug halten. Dem wirken wir aber nicht mit mehr Schutz entgegen, sondern tendenziell mit weniger. Der Reihe nach.
Arbeitsteilung und steigende Produktivität
Schauen wir in die Geschichte der Menschheit zurück, erkennen wir, dass der Wohlstand pro Kopf im Verlauf der Jahrhunderte stetig gestiegen ist. Mit seiner gesellschaftlichen Organisation hat es der Mensch geschafft, ständig mehr Wert zu schöpfen. Aber mit welchen Organisationsformen und Anreizstrukturen schafften und schaffen es die Menschen, die Tätigkeiten der unzähligen Individuen so zu koordinieren, dass die einzelnen Aktivitäten sich nicht gegenseitig behindern und auslöschen, sondern sich wohlfahrtssteigernd ergänzen?
Eine notwendige Bedingung für steigenden Wohlstand ist steigende Produktivität. Wenn es den Menschen gelingt, in ihrer Arbeitszeit mehr Güter oder Dienstleistungen zu produzieren, können sie diesen geschaffenen gesamtgesellschaftlichen Reichtum in der Folge als Wohlstand nutzbar machen.
Ein wichtiger Schritt zu mehr Produktivität wurde in der Vergangenheit durch die Arbeitsteilung möglich: In einer arbeitsteiligen Gesellschaft müssen nicht mehr alle ein bisschen alles machen, sondern die Menschen können ihre speziellen Fähigkeiten entwickeln. Eine arbeitsteilige Gesellschaft verstärkt allerdings das Koordinationsproblem. Damit eine arbeitsteilige Gesellschaft effektiv Wohlstand erzeugen kann, muss sie effiziente Mittel finden, die Beiträge der einzelnen zu integrieren. Zu diesem Zweck gibt es zwei grundlegende Möglichkeiten. Einerseits können die Einzelbeiträge organisch integriert werden (vgl. Émile Durkheim über «organische Solidarität»), d.h. über Marktmechanismen wie Angebot und Nachfrage und Preissignale als Steuerungsmittel. Die andere Möglichkeit ist die mechanische Integration. Hier werden die Individuen über Kontrollmechanismen in eine gesellschaftliche Struktur eingeordnet.
In den modernen Gesellschaften tauchen diese beiden Prinzipien gemischt auf. Die meisten Menschen arbeiten in organisatorischen Strukturen, die vertikal oder horizontal integriert sind. Solche Strukturen können privatwirtschaftlich organisierte Firmen oder Verwaltungen sein. Während die Individuen innerhalb solcher Organisationen mechanisch integriert werden, sind diese Strukturen ihrerseits organisch integriert, d.h. sie stehen im Wettbewerb zueinander. Wie die Geschichte und die Praxis zeigen, gelingt es dem Markt gut, weitgehend autonome Strukturen zu koordinieren. Wenn der Markt die Beiträge von organisatorischen Strukturen wie Firmen koordinieren und integrieren kann, warum kann der Markt seine Integrationsleistung nicht auch auf individueller Ebene entfalten? Warum braucht es noch Firmen?
Industriezeitalter: Kontrolle als Führungsinstrument
Offensichtlich ist die Koordination mit Kosten verbunden, und den Firmen gelingt es als Kooperationsarenen (vgl. Reinhard K. Sprengers Essay «Die Logik des Scheiterns» in dieser Zeitschrift) mit ihrer Organisationsstruktur, die Individuen effizienter zu koordinieren als eine anonyme Struktur wie der Markt. Wie lösen Firmen und Verwaltungen das Problem, das in der ökonomischen Literatur als Prinzipal-Agent-Problem bekannt ist? Wie schaffen sie es, die Interessen des einzelnen Individuums innerhalb der Organisation in Einklang mit dem Unternehmenszweck zu bringen?
Eine naheliegende Option ist, hier auf Kontrolle zu setzen. Wenn die Organisation dem einzelnen keinen Spielraum zugesteht, sondern über Anweisungen und Kontrolle jegliche Tätigkeiten bestimmt, kann sie sicher sein, dass das Individuum im Sinn des übergeordneten Organisationszwecks handelt. Das Fliessband im tayloristisch organisierten Industrieunternehmen setzt das Prinzip «Kontrolle» beispielhaft um. Diese Option ist allerdings nur in einem Arbeitsumfeld möglich, das durch deterministische Abläufe geprägt ist.
Spätestens in der Wissensgesellschaft muss das Prinzip der Kontrolle fehlschlagen. Bestimmend für die Wissensgesellschaft (gemäss Peter F. Drucker) ist der Umstand, dass im Gegensatz zur klassischen Industriegesellschaft nicht mehr fixes Sachkapital verwertet wird. Die Verwertung von Sachkapital kann mit klassischen Methoden – Produkteinheit pro Zeiteinheit – gemessen werden. In der Wissensgesellschaft wird stattdessen immaterielles Kapital, Humankapital verwertet. Massgebend für den Erfolg der Organisation ist also nicht mehr formelles, abrufbares Wissen, sondern lebendiges Wissen wie Erfahrungswissen, Urteilsvermögen, Selbstorganisation. Das in der Industriegesellschaft massgebende formelle Wissen kann dabei einfach kopiert und reproduziert werden, es bildet den Input der Roboter, die in den modernen Fabriken die Massenproduktion auf ein neues Niveau gehoben haben. Die Dynamik in der Wissensgesellschaft wird dagegen durch Wissens- und Humankapital vorwärtsgetrieben. In der Wissensgesellschaft ist Wissen eine Ressource, welche kontinuierlich revidiert und permanent verbessert wird. Wissensarbeit zielt darauf, Wissen zu erzeugen und zu vermehren. Dies mit der Absicht, Innovationen zu schaffen und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern und zu stärken.
Die gut ausgebildeten Individuen bilden also das Humankapital der Unternehmen. In einer Wissensgesellschaft sind diejenigen Unternehmen erfolgreich, die die kreativsten und einfallsreichsten Mitarbeiter finden können. Speziell in einem kompetitiven Umfeld ist es entscheidend für den Unternehmenserfolg, wie gut es den Angestellten gelingt, auf ungeplante und ungewöhnliche Situationen zu reagieren.
In einem solchen Umfeld ist Kontrolle keine Option mehr, die Mitarbeiter auf das Unternehmensziel zu verpflichten, denn Arbeit nach Vorschrift ist das sicherste Mittel, die Kreativität der Mitarbeiter abzutöten. Wollen die Unternehmen erfolgreich sein, müssen sie stattdessen ein attraktives Arbeitsumfeld anbieten, damit sie gut ausgebildete Personen als Mitarbeiter gewinnen und halten können. Die Unternehmen müssen versuchen, die Loyalität der Mitarbeiter zu gewinnen. Nur so haben sie eine Chance, in der Wissensgesellschaft das Prinzipal-Agent-Problem zu lösen.
Wissensgesellschaft: Loyalität zur Firma
Das Kennzeichen von Loyalität ist, dass loyale Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens handeln, auch wenn das Arbeitsumfeld es ihnen erlauben würde, ihren persönlichen Neigungen zu folgen. Loyale und engagierte Mitarbeiter sind aus vielen Gründen vorteilhaft für das Unternehmen. Beispielsweise fehlen solche Mitarbeiter weniger am Arbeitsplatz, sie zeichnen ihren Bekannten gegenüber ein positives Bild der Firma und planen, ihre berufliche Karriere bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber zu machen. Loyale Mitarbeiter zeichnen sich durch eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber aus. Sie sind produktiver, haben weniger Arbeitsunfälle, leisten bessere Qualität und verursachen weniger Kosten durch Fluktuation als Angestellte mit niedriger emotionaler Bindung.
Welche Faktoren begünstigen die emotionale Bindung der Mitarbeiter zu ihrem Unternehmen? Entscheidend für die Loyalität der Mitarbeiter ist das Versprechen, dass sie sich in der Firma entfalten können. Mit anderen Worten: Loyalität gibt es als Austausch gegen Entfaltungsmöglichkeiten. Was die Entfaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz betrifft, sind grundsätzlich zwei Aspekte zu berücksichtigen. Einerseits geht es um die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten: Welche Chancen hat ein Arbeitnehmer, eine ihm passende Karriere innerhalb des Unternehmens machen zu können? Andererseits hat die Entfaltung einen kurzfristigen Aspekt. Hier geht es darum, ob die aktuelle Tätigkeit dem Arbeitnehmer Freude bereitet. Kann der Arbeitnehmer mit einem guten Gefühl sein Tagwerk antreten, weil die Arbeit unmittelbar als sinnvoll und belohnend empfunden wird?
Aufgrund von solchen Überlegungen ergibt sich ein schönes Bild für die arbeitende Bevölkerung. In der Wissensgesellschaft ist es der Wettbewerb, der die Unternehmen zwingt, um die Loyalität ihrer Angestellten zu buhlen. Nur so haben sie eine Chance zu überleben, weil nur loyale Mitarbeiter ihre Kreativität im Sinne des Unternehmens einbringen und mit ihrem Engagement am Arbeitsplatz jenen Strom an Innovationen schaffen, der für das Überleben des Unternehmens notwendig ist.
Menschen brauchen Arbeit
Ein solches Bild steht in krassem Gegensatz zu marxistisch geprägten Ansichten, was das Arbeitsleben betrifft. Gemäss marxistischer Auffassung wird der Arbeiter definitionsgemäss ausgebeutet: er erzeugt den Mehrwert, den sich der Kapitalist als Eigentümer der Produktionsmittel aneignet. Statt selbstbestimmt ist er abhängig und in vielfacher Weise von seiner Arbeit entfremdet. Marx’ Ansicht hat in vielerlei Hinsicht Schwächen, die Ausbeutungsverhältnisse in den Fabriken in der Blütezeit der Industriegesellschaften beschrieb er allerdings stimmig. Heute jedoch leben wir in einer anderen Situation: Ich glaube und hoffe, dass sich die meisten Leser dieser Zeitschrift in ihrem Arbeitsalltag nicht als ausgebeutet erleben.
Klar: die Wissensgesellschaft erstreckt sich nicht über die ganze Gesellschaft. Nicht jeder Angestellte arbeitet in einem komplexen Umfeld und benötigt hohe Qualifikationen, um die Anforderungen bewältigen zu können. Vor allem im Niedriglohnbereich sind die Arbeiten durch Routine und standardisierte Abläufe geprägt. In diesem Bereich ist es naheliegend, dass über Kontrollmechanismen sichergestellt wird, dass die Angestellten den Erwartungen entsprechend arbeiten. Entsprechend gross ist aber auch die Gefahr, dass solche Arbeiten von Maschinen und Robotern übernommen werden.
Sollen solche Personen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) beglückt werden, weil deren Arbeitsplätze im Zug der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt sowieso wegrationalisiert werden? Ich halte das für eine schlechte Idee. Ein BGE bringt einen gesellschaftlichen Konsens zum Ausdruck. Dieser besagt, dass es nicht genug Arbeitsplätze für alle gibt. Ein solcher Konsens hat Auswirkungen auf den Wohlstand, der in der Gesellschaft erarbeitet wird. Dieser wird mit grosser Wahrscheinlichkeit sinken, wenn nur noch ein Teil der Gesellschaft im Wertschöpfungsprozess integriert ist. Ausserdem gibt Arbeit Menschen nicht nur Geld, sondern auch Sinn; sie integriert sie in die Gesellschaft. Nicht zuletzt hat ein BGE Auswirkungen auf das Bildungssystem: Warum soll es noch Bildung für alle geben, wenn es nicht mehr Arbeit für alle gibt?
Ich plädiere stattdessen für eine Gesellschaft, die am Konsens festhält, dass es für alle Personen Arbeit gibt. Wenn die modernen Gesellschaften es schaffen, mit immer neuen Innovationen die Produktivität zu erhöhen und Arbeitsplätze abzuschaffen, so sollte es mit anders gearteten Innovationen auch möglich sein, immer wieder neue Arbeitsplätze zu erfinden. Investitionen in die Bildung sind eine zwingende Voraussetzung dafür: Gut ausgebildete Menschen werden immer Arbeit finden, weil die Wirtschaft solche Personen braucht. Das wird allerdings nicht reichen. Es wird immer auch weniger gut gebildete Personen geben. Hier stellt sich die Frage, unter welchen Umständen Arbeitsplätze für solche Personen angeboten oder wegrationalisiert werden. Falls sie nicht wegrationalisiert, sondern als Arbeitsplätze für schlechter qualifizierte Personen erhalten werden, stellt sich die Frage, ob auch solche Arbeitsplätze als erfüllend und sinnstiftend empfunden werden. Was gibt Menschen Sinn?
Weniger Abschottung, nicht mehr
Sinnstiftend ist eine Arbeit, unabhängig ob sie hohe oder niedrige Qualifikationen erfordert, wenn sie zu Wertschätzung führt. In unserer Gesellschaft wird Wertschätzung oft über Geld sichtbar: Wir erfahren sie, wenn unserer Arbeitsleistung ein Produkt oder eine Dienstleistung entspringt, für die eine andere Person zu zahlen bereit ist. Genau hier entstehen viele der Probleme, die Menschen in der heutigen Arbeitswelt erleben: Sie sehen nicht mehr direkt, was ihre Arbeitsleistung eigentlich bringt. Sie empfinden sie als sinnlos.
Ich glaube, dass dieses Phänomen Arbeitnehmer in der Verwaltung, also beim Staat, besonders oft treffen kann. Warum? Ein Unternehmen, das sich im Markt behauptet, muss Produkte verkaufen. Es hat also einen unmittelbaren Bezug zu Wertschätzung. Viele Angestellte im öffentlichen Bereich wissen insgeheim, dass ihre Tätigkeit keine Werte produziert. Ihre Vorgesetzten können noch so viel verbale Wertschätzung offerieren, der Tatbeweis fehlt. Unter solchen Bedingungen ist es nicht ganz abwegig, mit amtlichem oder regulatorischem Aktivismus Sinn und Existenzberechtigung zu suchen. Auch Arbeitnehmer in sehr grossen oder auch staatlich geschützten Unternehmen kann das treffen: empfundene Sinnlosigkeit und ein fehlender Bezug zu einem tatsächlichen Produkt werden nicht selten mit Bürokratie als Ersatzbeschäftigung wettgemacht.
Die Antwort darauf kann aber logischerweise nicht noch mehr Schutz sein – mehr staatliche Garantien, mehr Regulatorien, höhere Mindestlöhne, noch mehr Entfernung zum Markt und damit noch mehr Sinnlosigkeit –, sondern weniger. Menschen können und werden sich dort Arbeit suchen, ob hochqualifiziert oder niedrigqualifiziert, wo sie tatsächlich Wert schaffen. Das mag im Einzelfall und kurzfristig nicht immer einfach sein. Die Alternative aber wäre langfristig für alle schmerzhafter.
Benno Luthiger
ist Physiker und Ethnologe und hat an der Universität Zürich in Ökonomie promoviert. Er arbeitet als Softwareingenieur an der ETH Zürich und ist seit Jahren aktiv in der Politik, zuerst bei der SP, heute bei den Piraten.