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Hauptsache, die Optik stimmt
Elena Louisa Lange, zvg.

Hauptsache, die Optik stimmt

Unter dem Banner der «Inklusion» werden abweichende Ansichten vom Diskurs ausgeschlossen. Die Ästhetisierung des Politischen ersetzt die eigene Urteilskraft – sie dient letztlich der Machtausübung.

Der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina wollte keine gemeinsame Bühne mit der Pharmakritikerin Kati Schepis. Er sagte seine Teilnahme an einem öffentlichen Event ab. Roger de Weck fürchtete sich vor einer gemeinsamen Diskussionsveranstaltung mit Ulrike Guérot und blieb dem Ereignis vorsichtshalber fern. Und auf einer Podiumsdiskussion echauffiert sich eine Klimaaktivistin über den kritischen Wissenschaftsjournalisten Axel Bojanowski: «Dass der hier überhaupt sein darf!»

Der moralische Puritanismus hat Hochkonjunktur; wer will schon mit den Schmuddelkindern spielen? Das als «Inklusion» titulierte Ausschlussverfahren und der «Diversity» getaufte Meinungsmonismus gründen sich auf einer ebenso oberflächlichen wie wahnhaften Selbstversicherungspraxis. Ziel davon ist die Verhinderung jedes vernünftigen – auf Rede und Widerrede beruhenden – Sprechens: Nur die «Optik» zählt, also die offizielle Selbstdarstellung der eigenen Seite. Die Frage in die Runde, ob Person X nicht der «Optik» einer Veranstaltung schade, ist Alltag geworden.

Bemerkenswert ist die zunehmende Internalisierung dieser Logik selbst in Kreisen, die sich für freie Meinungsäusserung stark machen. Wer sich dem Free-Speech-Aktivismus anschliesst und beispielsweise einen publikumswirksamen Aufruf gegen digitale Zensur unterschreibt, stösst auf Widerstand, wenn er als mögliche Unterzeichner Namen wie Tucker Carlson, Joe Rogan oder J. K. Rowling nennt. Diese seien zu spalterisch, umstritten, kontrovers. Als wäre diese Zensur sekundärer Ordnung nicht irrational genug, sucht man Unterstützung bei Leuten, die mit autoritären Kommentaren zur Covidpolitik aufgefallen sind, dafür aber – so die Logik der Anti-Zensur-Aktivisten – beim linksliberalen Publikum punkten könnten, und wundert sich schliesslich, dass bei diesem der Applaus für das Recht auf freie Meinungsäusserung ausbleibt. Die Unterzeichner aus diesem Lager wollen Teil eines Prestigeprojekts sein, aber nicht zugeben, dass sie im konkreten Fall sehr wohl für die Zensur missliebiger Meinungen eintreten.

Das Fatale am Lagerdenken ist die Rücksichtnahme auf einen ominösen Dritten, der real niemals in Erscheinung tritt, als moralische Instanz – Über-Ich, Staat, Gesetz, Gott, «die Leute» – aber immer schon den Diskurs geordnet hat. Die Suspendierung der individuellen Urteilskraft – des Gewissens – ist inzwischen fester Bestandteil einer Drohmentalität geworden, die mit Mitteln wie Zensur und Kontaktschuld ausgeübt wird. Dabei wird die rein optische, personelle Zusammensetzung von Deklarationen, Talkshows, Podiumsdiskussionen zum Massstab der Selbstversicherungspraxis, nicht die Argumente der Teilnehmer. Ad hominem ist das Mittel der Wahl zur Diskreditierung von Konkurrenten auf dem Marktplatz der Ideen, um den Anschein eigener Überlegenheit zu wahren. Nicht umsonst sind Ästhetik und Optik Disziplinen des sinnlichen Scheins, nicht der Erkenntnis.

Wenn beispielsweise bei Aufrufen oder Podiumsdiskussionen zwischen optisch unliebsamen und Konsensakteuren sorgfältig unterschieden wird, geht es niemals um den Inhalt einer Aussage oder gar um divergierende Überzeugungen, sondern um Macht. Wer dem Zeitgeist folgt, hat nichts zu befürchten. Aber nicht alle dürfen, nicht alle können dazugehören. Die Ressourcen sind schliesslich knapp. Das fängt bei dem Disziplinarverfahren gegen den nicht-gendernden Uniprofessor an und hört beim Einfrieren der Konten kanadischer Trucker, also realer Existenzvernichtung, auf. Man wird hellhörig, sobald jemand das Feld des Sagbaren verlässt, weil dort eine Stelle frei werden könnte.

Alle Versuche, der von den Initiatoren des Zensurzirkus verwendeten Logik der «Optik» entgegenzutreten, müssten sich als politische verstehen. Auch wenn jeder über den eigenen Tellerrand schauen muss, um wirklich diverse Positionen zuzulassen, kann der Widerstand gegen den neuen Autoritarismus nicht in Appeasement bestehen. Das wäre Selbstmord für jede freiheitliche Bewegung. Widerstand heisst, das Bewusstsein zu schärfen für den zivilisatorischen Wert des Vertrauens in andere Menschen und den Respekt für andere, optisch vielleicht nicht immer einwandfreie Meinungen.

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