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Renzo Schweri, illustriert von Matthias Wyler / Studio Sirup.

Ein Glas Wein mit Renzo Schweri

Renzo Schweri ist Co-Gründer von der Flaschenpost Services AG, Zürich.

Für einmal musste unsere Redaktion in den Vorbereitungen zu «Ein Glas Wein mit…» keine Flasche des edlen Traubensafts organisieren. Die «Flaschenpost», die ich heute besuche, ist die grösste Online-Weinhandlung der Schweiz: Dank der Zusammenarbeit mit rund 100 unterschiedlichen Lieferanten kann man hier auf ein Sortiment von rund 28 000 verschiedenen Weinen aus der ganzen Welt zugreifen. Renzo Schweri, Co-Gründer der Flaschenpost, begrüsst mich im hauseigenen Lager in Dietlikon – dem Weinmekka der Schweiz. Für unser ­Gespräch darf ich mir eine Flasche aussuchen und entscheide mich für den aktuellen «Rockstar» der Marketingkampagne: den Artuke Tinto 2018, einen fruchtig-kräftigen Rioja zweier aufmüpfiger Jungwinzer aus dem spanischen Baskenland. Der Wein ist typisch für die Flaschenpost: Ambitioniertes Design der Flasche mit schnittiger Story im Hintergrund. Damit’s auch beim Geschmack im Gaumen stimmt, trifft sich jede Woche ein sechsköpfiges Team mit unterschiedlich ausgeprägtem Weinwissen zur Blinddegustation. Nur was hier überzeugt, wird später aktiv beworben.

Schweri gründete das Unternehmen 2006 mit seinem WG-Kollegen Dominic Blaesi, die Begeisterung für Wein inspirierte die beiden zur Geschäftsidee. Was das frühe Amazon für die Bücher war, sollte Flaschenpost für den Wein werden: grosses Angebot, faire Preise, schnelle Lieferung – das Weinkaufen sollte so einfach und bequem wie möglich gemacht werden. In einem «Pilotjahr» lancierten die beiden überzeugten Liberalen eine GmbH im Nebenerwerb, arbeiteten von ihrer WG aus, und wenn Geschäftsmeetings nicht zu vermeiden waren, verwendeten sie einfach die Büroräumlichkeiten von Schweris Vater. «Die regulativen Hürden waren relativ gering, und es wurde auch kein übermässig hoher Kapitalaufwand vorausgesetzt», lobt der Unternehmer den Gründungsprozess in der Schweiz. Anspruchsvoller sei es mit den Zulieferern gewesen, erst nach einiger Überzeugungsarbeit habe man die ersten 25 Partner gewinnen können. Ein Jahr später kündeten die beiden ihre Jobs, 2010 wurde die GmbH zur AG gewandelt. Der Erwerb von Zusatzkapital erwies sich dabei als grosse Her­ausforderung: Schweri und Blaesi trafen sich mit zahlreichen Banken. Da das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt aber noch ein Verlustgeschäft betrieb, klappte es nicht mit einem Kredit – ist der Finanzplatz Schweiz übervorsichtig? Bei der Flaschenpost fand man schliesslich eine Alternative: Zwei Verwaltungsräte beteiligten sich als Investoren.

Insgesamt zeigt sich Schweri zufrieden mit dem Wirtschaftsstandort Schweiz. Er betont die währungspolitische Stabilität und unterstreicht den liberalen Arbeitsmarkt als Stärke. Mängel sieht er an einem anderen Ort: In der Schweiz herrsche eine alarmierende Knappheit an IT-Fachkräften, die weltbekannten Gross­firmen lockten mit hohen Löhnen und würben so den Kleinen die besten Leute ab. Die Flaschenpost hat ihre IT-Abteilung
mittlerweile nach Belgrad ausgelagert. Das funktioniere sehr gut, man erhalte so einen hohen Qualitätsstandard zu günstigeren Konditionen als in der Schweiz, meint Schweri.

Der Unternehmer schwärmt von der Arbeitsmotivation seiner Mitarbeiter: «Wer in der Weinbranche tätig ist, tut das aus Leidenschaft fürs Produkt, nicht aus finanziellen Gründen.» Viele Ziele der Gründungsjahre habe man erreicht, die Erwartungen gar übertroffen, doch den Pioniergeist wolle man sich bewahren. Wie das in der Zukunft aussehen könnte? Der bekennende Optimist Renzo Schweri zeigt sich ambitioniert: Bald sollen Kunden dank künstlicher Intelligenz nur noch Weine vorgeschlagen bekommen, die sie beim späteren Konsum auch tatsächlich mögen. Dank Mikromarketing nie mehr Fehlkäufe tätigen? Darauf stossen wir an: In vino veritas! Vivat!


Wein: Bodegas y Viñedos Artuke, «Artuke Tinto», Spanien, Rioja, 2018 (Tempranillo Viura)

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