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Die «Puppe» war ein Mensch

Ein Propagandavideo der Hamas habe kein totes Kind, sondern eine Puppe gezeigt, berichten «Blick» und «Watson». Recherchen danach zeigen das Gegenteil.

Die «Puppe» war ein Mensch

Aus den Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten erreicht uns über die sozialen Medien täglich viel Bild- und Videomaterial. Doch nicht alles, was auf unseren Bildschirmen erscheint, ist real. Kriegsparteien wissen zu täuschen: Sie fälschen Bilder, reissen sie aus ihrem Kontext und verknüpfen sie mit neuen Narrativen.

Was ist wahr und was ist falsch? Faktenchecks sind ein Mittel, um der Kriegspropaganda im Netz entgegenzuwirken. Doch auch hier sei Vorsicht geboten. Denn Informationen, die im Netz als unwahr deklariert werden, könnten echt sein – und umgekehrt.

Es kommt vor, dass auch Verfasser aufklärender Berichte durch Falschinformationen getäuscht werden. Die offiziellen Konten der israelischen Botschaften in Frankreich, Deutschland und Österreich beim Social-Media-Dienst X teilten vergangenen Oktober einen Post des offiziellen X-Accounts der israelischen Regierung vom 13. Oktober 2023. Die Botschaft: Die Hamas habe am Vortag «versehentlich» ein Video veröffentlicht, in dem kein Kind zu sehen sei, das durch einen israelischen Raketenangriff starb, sondern eine Puppe. Die Hamas löschte das Video kurz darauf.

Weltweit verbreiteten Medien und Menschen in den sozialen Medien den Beitrag als Beispiel für misslungene Kriegspropaganda. In Deutschland berichteten «Bild», die «Frankfurter Rundschau» und T-Online über das Video – mit Verweis auf einen mittlerweile nicht mehr abrufbaren Artikel einer indischen Journalistin. In der Schweiz publizierte der «Blick» das Video in einem Beitrag zu Fake News im Nahostkrieg. Es sei klar erkennbar, dass es sich im Video um eine Puppe handle, hiess es darin. «Watson» übernahm das Narrativ der Hamas-Propaganda von T-Online.

Faktenchecks der französischen Nachrichtenagentur AFP und der indischen NGO Alt News bewiesen aber das Gegenteil. Ihre Recherchen zeigten, dass die Fotos und Videos des Vorfalls vor dem Al-Shifa-Spital in Gaza-Stadt entstanden. Aufnahmen mehrerer Fotografen deuten auf die Echtheit der Bilder hin.

Momen El Halabi, einer der Fotografen, sagte gegenüber der arabischen Faktencheck-Redaktion Misbar, beim toten Kind handle es sich um einen vierjährigen Jungen aus dem Zeitoun-Viertel in der Nähe des Al-Shifa-Spitals in Gaza-Stadt. Gemäss Alt News und der BBC hiess der Junge Omar Bilal al-Banna. Seine Mutter erzählte einer BBC-Reporterin, Omar habe vor dem Raketenangriff draussen mit seinem Bruder gespielt.

Die Verifikation des Videos war aus der Distanz schwer durchführbar. Zeugenberichte und die Überprüfung der Fakten durch Vor-Ort-Recherchen waren nötig, um die Echtheit endgültig zu beweisen. Das zeigt, wie schwierig es ist, aus Informationen Fakten zu gewinnen. Der Instagram-Post der israelischen Regierung ist noch online, mittlerweile aber als Fehlinformation gekennzeichnet worden. Die Falschmeldung wurde nicht korrigiert.

Infolge der Faktenchecks wurden der «Blick»-Beitrag und der Bericht auf T-Online, den auch «Watson» publizierte, angepasst. Der «Blick» und T-Online machten auf die Fehler in der ursprünglichen Version aufmerksam und verwiesen auf AFP und Alt News. T-Online entschuldigte sich für den Fehler.

Der Aufwand hinter den Recherchen zeigt, dass Faktenchecks oft nicht auf die Schnelle durchgeführt werden können. Kann eine Information faktisch nicht verifiziert werden, sollten Journalisten das deklarieren. Kommt es zu fehlerhaften Aussagen, sollten diese transparent angepasst werden – genau wie es in diesem Fall geschah.

Fehler passieren. Es ist vor allem der transparente Umgang damit, der Desinformation korrigiert und verhindert.

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