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Die NZZ entschuldigte sich bei Banker Thomas Matter, nachdem sie seiner Bank unsaubere Geschäfte unterstellt hatte. Bild: Alessandro della Valle/Keystone.

«Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest»

Journalisten geben nie einen Fehler zu. Es sei denn, der Fehler kann teuer werden.

Ein besonders hübsches Beispiel bot zuletzt die «Süddeutsche Zeitung». Unter der Schlagzeile «Plagiatsverdacht gegen Weidel» klagte sie AfD-Chefin Alice Weidel an, bei ihrer Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Autor der mehrteiligen Story war Redaktor Roland Preuss, auf Seite eins.

Sechs Wochen später gab die Universität Bayreuth bekannt, sie habe keine Belege für Plagiate finden können. Und was schrieb nun Weidel-Ankläger Roland Preuss?

Er schrieb keine Zeile. Stattdessen rückte die «Süddeutsche» eine Kurzmeldung der Deutschen Presse-Agentur ins Blatt, auf Seite sieben.

Es ist ein exemplarisches Muster über die Fehlerkultur in den Medien. Wenn ein Journalist einen Fehler macht, steht er nicht hin und korrigiert öffentlich seine Fehlinformation. Nein, dann duckt der Journalist sich weg.

Abwehrdispositiv gegen Betroffene

In diesem üblichen Branchenverhalten gab es im Jahr 2022 in Dänemark eine kleine Mediensensation. «Ekstra Bladet», die führende Boulevardzeitung des Landes, druckte eine sehr ungewöhnliche Schlagzeile. Sie lautete: «Vi fejlede.» Auf Deutsch heisst das: «Wir haben versagt.»

Das Blatt entschuldigte sich bei seinen Lesern für die allzu regierungsnahe Desinformation, die es in der Coronakrise geliefert hatte, etwa über Wirkungen der Impfung und Zahlen zu den Erkrankungen. Das Eingeständnis eigener Fehler war so spektakulär, dass die Schlagzeile von «Ekstra Bladet» weltweit Schlagzeilen machte. Vom «The Australian» in Sydney bis zum «Daily Telegraph» in London schrieben die verblüfften Redaktionen über den dänischen Ausnahmefall.

Es war ein Ausnahmefall. Ich habe genug Jahre auf Redaktionen verbracht, damit ich weiss, wie dort mit Fehlern umgegangen wird. Redaktionen haben für diesen Fall ein effizientes Abwehrsystem entwickelt.

Nehmen wir mal an, eine Zeitung beschuldige zu Unrecht einen Politiker, sich öffentliche Gelder zugeschanzt zu haben. Der Politiker ruft nun empört an und verlangt eine Korrektur. Man werde zurückrufen, sagt ihm die Redaktionssekretärin, aber natürlich meldet man sich nicht. Am nächsten Tag ruft der Politiker wieder an. «Wir klären das intern ab», sagt man ihm. Dann geschieht lange nichts.

Inzwischen hat der Politiker einen Anwalt engagiert. Der verlangt per Einschreiben eine Gegendarstellung. «Unsere Rechtsabteilung prüft das», antwortet man ihm. Das dauert ein paar Tage. Dann kommt die Rechtsabteilung zum Schluss, dass die Gegendarstellung nicht gerechtfertigt sei. Aber, sagt man dem Politiker, er könne diese Absage selbstverständlich gerichtlich anfechten, allerdings ziehe man den Entscheid dann an die nächsthöheren Instanzen weiter. Das könne erstens Jahre dauern und zweitens teuer werden.

Nun geben die meisten auf.

Journalisten machen praktisch keine Fehler. In den letzten vier Jahren sind in den vier nationalen Schweizer Zeitungen «Tages-Anzeiger», «Blick», «Neue Zürcher Zeitung» und «20 Minuten» genau sieben Gegendarstellungen erschienen. Das heisst also, die Schweizer Zeitungsjournalisten haben in vier Jahren zumindest sieben Fehler gemacht? Nein, das heisst es nicht. Denn unter den Gegendarstellungen stand jeweils der Satz: «Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest.»

«In den letzten vier Jahren sind in den vier nationalen

Schweizer Zeitungen ‹Tages-Anzeiger›, ‹Blick›, ‹Neue Zürcher Zeitung› und ‹20 Minuten› genau sieben Gegendarstellungen erschienen.»

Tamedia unterstellte dem Unternehmer Carl Hirschmann allerlei Frauengeschichten – und entschuldigte sich später dafür. Bild: Walter Bieri/Keystone.

 

Ringier beschuldigte Thomas Borer einer Sex-Affäre. Der Verlag entschuldigte sich später dafür – und zahlte ihm mehrere Millionen Franken als Schadenersatz. Bild: Lukas Lehmann/Keystone.

Falsches Verständnis von Glaubwürdigkeit

Woher kommt diese Aversion der Medienbranche, öffentlich einen Fehler einzugestehen? Es ist eine psychologische Blockade, die mit der branchentypischen Definition von Glaubwürdigkeit zu tun hat. Glaubwürdigkeit heisst Fehlerlosigkeit.

Journalisten sind ja die Scharfrichter der Nation. Managern werfen sie permanent vor, sie seien unfähig, ein Unternehmen richtig zu führen. Politikern werfen sie permanent vor, sie seien unfähig, die Probleme des Landes zu lösen. Fussballtrainern werfen sie permanent vor, sie seien unfähig, erfolgreiche Teams zu bilden.

Aus dieser ständigen Aussenkritik ergibt sich eine reflexartige Abwehr gegen Innenkritik. Journalisten haben eine Höllenangst davor, bei einem beruflichen Misstritt erwischt zu werden. Wer andauernd den anderen Fehler vorwirft, kann nicht gleichzeitig fehlerbehaftet sein, denn dieser Makel unterhöhlte die Glaubwürdigkeit des Kritikers. Es ist wie im Mittelalter. Es darf keine Grossinquisitoren geben, die in Sünde leben.

Verschärft wird dieser Mechanismus durch die gegenseitige Überwachung in der Medienbranche. Redaktionen versuchen die eigene Seriosität stets dadurch zu erhöhen, indem sie der Konkurrenz das Gegenteil nachweisen wollen. Wenn das Schweizer Fernsehen einen Fehler macht, etwa bei falschen Temperaturprognosen, dann stürzen sich alle anderen Redaktionen darauf. Wenn dann wiederum der «Blick» einen Fehler macht, etwa durch enge Verfilzung mit einem Bundesrat, dann stürzen sich wiederum alle anderen Redaktionen darauf. Es ist der Grabenkrieg der Einwandfreien.

Nun wissen aber auch die selbstsichersten Redaktionen, dass sich gelegentlich ein winziger Irrtum in ihre Spalten und Sendungen einschleichen kann. Aus diesem Grund haben sie einen kleinen Garten mit Gartenzweigen angelegt. Sie nennen dieses Gefäss Korrigendum.

Als Korrigendum weist dann das «Oltner Tagblatt» freiwillig darauf hin, dass der Name des lokalen Feuerwehrkommandanten falsch buchstabiert war. Die «Berner Zeitung» korrigiert, dass man das Bild von Nufenenpass und Grimselpass verwechselt hat. Und das Schweizer Fernsehen bedauert öffentlich, dass es von Mutterkühen statt Milchkühen berichtet hat.

Diese Korrigenda-Gärtchen, die in den letzten Jahren populär wurden, haben mit echter Fehlerkultur allerdings nichts zu schaffen. Sie sind Augenwischerei und sollen bloss zeigen, dass auch Journalisten nur Menschen sind.

«Die Korrigenda- Gärtchen, die in den letzten Jahren populär wurden,

haben mit echter Fehlerkultur nichts zu schaffen.»

Drohende Klagen

Wenn es dann bei Fehlern hart auf hart geht, also von Persönlichkeitsverletzung bis Geschäftsschädigung, dann geht man in der Branche wieder in die Defensive. Dann geben Zeitungen und Verlagshäuser nur dann einen Fehler zu, wenn ihnen teure Klagen drohen. Nun geht es nicht mehr um journalistische Rechthaberei, nun geht es ums Geld. In diesem Fall greift der Verleger ein. Er drückt, oft gegen den Widerstand der Redaktion, eine Entschuldigung für einen Fehler durch, weil er damit finanziell besser davonkommt.

Das Haus Ringier etwa entschuldigte sich bei Botschafter Thomas Borer und zahlte ihm mehrere Millionen, nachdem es ihm eine Sex-Affäre unterstellt hatte. Borer hatte mit einer Klage vor einem US-Gericht gedroht, weil seine damalige Frau Amerikanerin war. Das hätte teuer werden können – darum sorry für den Fehler.

Das Haus NZZ entschuldigte sich bei Banker Thomas Matter, dem es bei seiner Swissfirst-Bank unsaubere Geschäfte unterstellt hatte. Matter hatte als Schadenersatz dafür elf Millionen Franken vom Verlag eingeklagt. Das hätte teuer werden können – darum sorry für den Fehler.

Das Haus Tamedia entschuldigte sich bei Unternehmer Carl Hirschmann, dem es allerlei Frauengeschichten unterstellte. Nachdem ihm ein Gericht hohe materielle Nachteile durch die Artikel attestiert hatte, gab Tamedia klein bei. Das hätte teuer werden können – darum sorry für den Fehler.

Kurt W. Zimmermann, zvg.

Fassen wir zusammen: Journalisten machen niemals einen Fehler. Es sei denn, der Fehler wird teuer.

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