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Denkverbote

«… wir [lassen] uns von Konservativen keine Denk­verbote beim Thema Geschlechter­gerechtigkeit vorschreiben.»

Christian Lindner, Vorsitzender der deutschen FDP, im Interview mit der NZZ vom 2. Mai 2018


Über Denkverbote zu klagen, hat Konjunktur. Besonders beliebt ist der Begriff in rechtspopulistischen Kreisen, wo man noch die abstruseste Meinung als Querdenken anpreist und nörgelt, man werde «ja wohl noch sagen dürfen, dass…». Kaum setzt Kritik ein, ertönt das Jammerlied: Reinster «Gesinnungsterror» sei das, es herrschten «Denkverbote». Es mag bloss einer gewissen Gedankenlosigkeit geschuldet sein, dass auch der deutsche FDP-Chef Christian Lindner nun die Vokabel benutzt hat, und zwar um die Lacher abzuwehren, die die Erörterung einer internen Frauen­quote hervorgerufen hat. Aber der Begriff «Denkverbot» ist in der heutigen Zeit absurd.

Der Unsinn beginnt schon mit der ersten Hälfte des Wortes. Das Denken selbst kann gar nicht unfrei sei. In einem bekannten Volkslied aus dem Ende des 18. Jahrhunderts ist es herrlich festgehalten: «[Die Gedanken] fliehen vorbei, wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschiessen.» Das Denken kann man sich allenfalls selber verbieten, zum Beispiel das andauernde Denken an den Tod, das einem die Lust am Leben nähme. Also geht es nicht um das Denken selbst, sondern um die Freiheit der Äusserung der Gedanken. In der Tat sind hier Schranken denkmöglich.

Aber ein Verbot? Bei uns? Wo denn bitte? Ein Verbot setzt voraus, dass es eine Instanz mit Zwangsgewalt gibt, die seine Einhaltung überwacht und Verstösse ahndet. In der Tat werden Menschen, die unliebsame Meinungen kundtun, in den illiberalen Teilen der Welt, von China bis zur Türkei, noch heute eingekerkert oder getötet. Doch in den meisten freiheitlichen Demokratien hat man längst Rechtsnormen ersonnen, die den Bürgern die Äusserung ihrer davon unbenommen freien Gedanken nur untersagen, wenn sich mit dieser Äusserung ein Aufruf zur Gewalt verbindet. Das ist ein Gebot der Klugheit; von einem generellen Verbot kann keine Rede sein.

Wer sich der Vokabel «Denkverbot» bedient, fühlt sich von Gegenwind belästigt, vor allem aber vom Druck, der sich in der öffentlichen Debatte dadurch gegen ihn aufbauen kann. Das ist verständlich, und man würde sich mit Timothy Garton Ash dagegen mehr «robuste Zivilität» wünschen. Doch die Bewertung individueller Positionen im sozialen Koordinationsprozess ist ein wichtiges Korrektiv. Und wer seine Gedanken heraus­posaunt, der muss Kritik aushalten. Denkverbote gibt es nicht.

 


Karen Horn
ist Dozentin für ökonomische Ideengeschichte, freie Autorin sowie Chefredaktorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift «Perspektiven der Wirtschaftspolitik».

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