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Blattkritik über die  Mai-Ausgabe
Lucien Scherrer, zvg.

Blattkritik über die
Mai-Ausgabe

Die Mai-Ausgabe des Schweizer Monats wird von Lucien Scherrer beurteilt.

«Lasst uns handeln!»: Der Titel der Mai-Ausgabe des Schweizer Monats hört sich beinahe aktivistisch an, sie erinnert an Hilfswerk-Prosa. Die Covergeschichte über die Unternehmerin Magatte Wade ist jedoch kein Aufruf für mehr Entwicklungshilfe in Afrika. Vielmehr erklärt Wade im Interview ganz konkret, welche Probleme Unternehmerinnen in Ländern wie Senegal haben, wie sie von Bürokraten gegängelt werden, mit Vorschriften zur Arbeitszeit und so weiter – und dass die Europäer mit ihrer Armutslinderung zur Hölle fahren sollen.

Das Interview mit Magatte Wade gehört zu den Texten dieser Ausgabe, bei denen man gerne noch mehr gelesen hätte, zum Beispiel, was die junge Unternehmerin zu den chinesischen Investitionen in Afrika sagt. Wer den Schweizer Monat abonniert hat, erwartet gut recherchierte Hintergrundberichte, Einordnungen aus liberaler Warte, aber auch überraschende Standpunkte, originelle Themen-Autoren-Kombinationen und Stimmen, die in den Massenmedien wenig zu hören sind. Was die beiden ersten Punkte angeht, wird man in dieser Ausgabe nicht enttäuscht.

Das CS-Debakel, der Niedergang des Wirtschaftsfreisinns, die zunehmende Tendenz der Politik, mittels Notrecht die Demokratie auszuschalten, das Versagen der Behörden und Verwaltungsräte – all das wird fundiert aufgearbeitet. Manchmal mutet der «Monat» dem Publikum etwas viel zu, mit Fachbegriffen wie «Contingent Convertibles», «Kreditfazilität ELA+» oder «G-SIBs», die man ohne Ökonomiestudium kaum versteht. Zudem schrecken seitenlange Texte mit grauen Grafiken, aber ohne Bilder vom Lesen ab. Mehr Bilder und weniger Blei hätten nicht nur dieser Ausgabe gutgetan. Dafür lockern die Kolumnen, die Buchbesprechungen und Formate wie «Nacht des Monats» das Heft auch dieses Mal auf, und nach meiner Ansicht dürfte es davon noch mehr geben.

Abgesehen von der Titelstory wird man durch die Auswahl der Themen und Protagonisten eher selten überrascht. Dass die Welt entgegen anderer Behauptungen immer besser wird, die Integrative Schule gescheitert ist und die Linken früher weniger staatsgläubig-autoritär waren, mag stimmen. Man hat es jedoch schon oft gelesen, und die Beweisführung überzeugt im Fall der «Bünzlinken» auch nicht: Der Gegensatz zwischen den angeblichen Freigeistern von 1968 und den Spiessern von heute wirkt konstruiert, unter anderem weil er die «autoritäre Phase» der Neolinken von einst ausblendet. Auch die Titelei könnte manchmal etwas origineller sein: Schlagzeilen wie «Der Staat gehört an die kurze Leine» sind in einer liberalen Zeitschrift wie dem «Monat» etwa so überraschend wie «Der Markt versagt» in der Gewerkschaftszeitung «Work».

Die Titelei ist auch das Einzige, was es an der Titelgeschichte zu bemängeln gäbe: Der Untertitel «Für Magatte Wade ist Unternehmertum der Schlüssel zum Wohlstand» hört sich nach einer liberalen Sonntagsrede an – hier hätte etwas Konkretes zu Afrika neugieriger gemacht. Aber den «Monat» kauft man ja auch nicht wegen der Schlagzeilen. Bei mir liegt das Heft manchmal wochenlang auf dem Barmöbel im Wohnzimmer, bis es gelesen ist. Dass die Texte dann meistens immer noch interessant sind, zeichnet diese Zeitschrift aus.

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