An die Leser
Die wirtschaftliche Lage ist angespannt, es herrscht Krisenstimmung. Gelassenheit und nicht Hysterie ist in solchen Situationen die einzig vernünftige Haltung. Dass die auf Aktualität fixierten Medien damit nicht viel anfangen können, versteht sich von selbst. Viele Tages- und Wochenzeitungen stimmen das alte Lied der Kapitalismuskritik an. Ewiggestrige, mitunter vulgärmarxistische Verschwörungstheorien sind en vogue wie schon […]
Die wirtschaftliche Lage ist angespannt, es herrscht Krisenstimmung. Gelassenheit und nicht Hysterie ist in solchen Situationen die einzig vernünftige Haltung. Dass die auf
Aktualität fixierten Medien damit nicht viel anfangen können, versteht sich von selbst. Viele Tages- und Wochenzeitungen stimmen das alte Lied der Kapitalismuskritik an. Ewiggestrige, mitunter vulgärmarxistische Verschwörungstheorien sind en vogue wie schon lange nicht mehr: «das» Kapital soll als anonyme Macht die globalisierte Welt beherrschen. Im Gefühl moralischer Überlegenheit werden «die» anderen und «das» System angeklagt. Auch Dieter Meier, den wir als erfolgreichen Musiker, Schriftsteller und Unternehmer um einen Gastbeitrag für diese Ausgabe gebeten haben, bläst in dieses Horn. Doch wenn sich Intellektuelle und Medien in pauschaler Systemkritik zu überbieten suchen, ist jene Vorsicht geboten, die wir unserer Leserschaft zumuten. Es gibt weder «das» Kapital noch «das» von Kapitalisten gesteuerte System der Ausbeutung. Differenzierung tut not. Lesen Sie im Dossier, warum das Unbehagen am Kapitalismus in der gegenwärtig grassierenden Form einer sachlichen Überprüfung nicht standhält.
Die «Schweizer Monatshefte» führen gegenwärtig eine Leseraktion durch, die uns neue Zielgruppen erschliessen soll. Die Rückmeldung einer prominenten Gruppe hat uns überrascht. Unsere Politiker haben uns vielfach geschrieben, wir möchten sie mit der Zusendung von noch mehr bedrucktem Papier in Zukunft verschonen. Der Bitte kommen wir gerne nach, erlauben uns jedoch eine Bemerkung. Wir wissen zwar, dass Lesen auch im 21. Jahrhundert ein Luxus ist. Aber wir machen uns ernsthaft Sorgen um unsere gelebte Demokratie, wenn die, die von Berufs wegen lesen sollten, sich dies nicht mehr leisten wollen oder können. Sie sägen dabei am Ast, auf dem sie sitzen. Denn wenn wir alle in der Sache unsere Volksvertreter als Vorbild nehmen, dann werden bald auch deren Auftritte in den Printmedien von niemandem mehr gelesen.
Mit der vorliegenden Ausgabe beginnen zwei neuen Serien. Es sind weniger die Politiker als die Unternehmer, die unser Land voranbringen. Wir suchen diese an ihren Kraftorten auf und fragen sie in persönlich-philosophischen Gesprächen, was sie motiviert und beschäftigt. Den Anfang macht der Ostschweizer Unternehmer Edgar Oehler.
«Von der Kunst, den Grünen Heinrich zu lesen», so lautet der Titel der zweiten Serie. Sie wird sich bis Ende des Jahres mit dem bekanntesten Roman des Zürcher Stadtschreibers Gottfried Keller beschäftigen und zeigen, dass es sich lohnt, sich in beide Fassungen zu vertiefen, «um noch einmal die alten grünen Pfade der Erinnerung zu wandeln».
Die Herausgeber